Kontaktabbruch: „Ich habe keine Mama und keinen Papa mehr.”

Manche Entscheidungen spalten das Leben in ein Davor und ein Danach. Für Marie war es die Entscheidung, den Kontakt zu ihren Eltern endgültig abzubrechen – ein Schritt, der lange reifte und schließlich unausweichlich war. Heute ist sie 32 Jahre alt, lebt einen selbstbestimmten Alltag und beschäftigt sich beruflich mit Trauerverarbeitung, auch, weil sie selbst lernen musste, Abschiede auszuhalten, die nichts mit dem Tod, aber viel mit Loslassen zu tun haben, wie sie uns in ihrer Echten Geschichte erzählt.

„Ich bin ein Mensch, der sich in Bewegung lebendig fühlt – beim Tanzen, Singen, Collagieren. Ausdruck bedeutet mir viel, und Gerechtigkeit ist mir ein tiefes Bedürfnis. Beruflich bin ich Gestalterin und Pädagogin – ich gestalte schöne Dinge für beschissene Anlässe.

Ich falle an vielen Stellen durchs Raster – und mittlerweile gefällt mir das sogar gut.

Unterschwellig habe ich schon lange gespürt, dass bestimmte familiäre Beziehungen mir nicht guttun. Als Kind hatte ich die Hoffnung, vielleicht gar nicht wirklich in diese Familie zu gehören – vielleicht adoptiert zu sein oder irgendwann noch adoptiert zu werden. Ich zog mich viel in Traumwelten zurück und wollte am liebsten schon in meiner Jugend wegziehen.

Als ich mit 18 Jahren endlich ausziehen konnte, wurde mir schlagartig bewusst, wie viel Stress mein Körper loslassen konnte. Sich wiederholende Albträume, die ich mein ganzes Leben lang kannte, waren plötzlich verschwunden. Das war ein Zeichen, das ich nicht mehr ignorieren konnte.

Ab meiner Jugend wurde der Kontakt zur Familie sehr schwierig.

Ich begann, mir eigene Meinungen zu bilden – das führte regelmäßig zu Konflikten. Besonders weh taten mir Situationen, in denen ich hilfsbedürftig war und nicht mit Hilfe rechnen konnte. Oder wenn meine Entscheidungen negativ bewertet wurden. Bloßstellungen.

Am nachhaltigsten geprägt hat mich die emotionale Gewalt. Ich fühlte mich lange verantwortlich, versuchte zu reparieren oder machte mich möglichst unsichtbar, um gut durchzukommen.

Mit dem Auszug reduzierte ich den Kontakt auf ein Minimum.

Darunter litt vor allem ein Elternteil sehr und ließ es mich auch spüren. Ich versuchte bereits als junge Erwachsene, den Kontakt ganz abzubrechen, aber ich hielt es nicht durch. Die inneren und äußeren Abhängigkeiten waren zu stark. Meine Finanzen, Machtstrukturen und gesellschaftliche Vorstellungen, wie Familie zu sein hat, hielten mich fest im Griff.

Der endgültige Auslöser für den Kontaktabbruch war der Tod eines Freundes. Ich hatte plötzlich einen glasklaren Blick: Ich konnte nicht fassen, wie wenig Zeit ich mit Menschen verbracht hatte, die mir wichtig waren – und wie viel mit solchen, die mir nicht gut taten.

Kurz darauf stand der Muttertag bevor.

Das rosarote Mutterliebe-Gerede in den Medien hielt mir den Spiegel vor. Ich dachte: ‚Das ist nicht meine Realität – und wird es vermutlich auch nie sein.‘ Ich konnte diese Lüge nicht länger leben.

Marie ist mit ihrer Entscheidung im Reinen.

Marie ist mit ihrer Entscheidung im Reinen. Foto: Privat

Der Bruch fühlte sich gleichzeitig authentisch und feige an. Kraftvoll und absolut zerbrechlich. Und verdammt einsam.

Wie mein Umfeld reagiert hat, daran habe ich kaum Erinnerung.

Die meisten wussten von meinem schwierigen Verhältnis zu meinen Eltern. Ich habe Akzeptanz gespürt – aber kaum jemand traute sich, genauer nachzufragen.

Seit dem Kontaktabbruch hat sich alles verändert. Ich habe eine Therapie begonnen und diese Beziehungen intensiv aufgearbeitet. Ich bin gesund geworden – das ist mein größtes Gut. Heute führe ich ein Leben, das mir entspricht. Vieles, was ich aus meiner Kindheit kenne – Feiertage, klassische Beziehungsmodelle – hat an Bedeutung verloren.

Stattdessen haben Freundinnenschaften und echte Begegnungen einen besonderen Platz in meinem Leben bekommen.

Ich habe einen Bruder, zu dem ich Kontakt habe, aber wir sind uns menschlich eher fremd. Es ist eine leise Verbundenheit, kein enger Austausch.

Den Kontakt zu meinen Eltern habe ich vor etwa drei Jahren noch einmal gesucht – mit einem neuen Blick auf die Situation. Ich habe beiden getrennt voneinander einen Brief geschrieben. Mit meinem Vater entstand ein kurzer Briefwechsel. Aber dieser bestätigte mir: Meine Entscheidung ist und bleibt richtig.

Diese Tür ist endgültig zu.

Wenn ich heute auf mein jüngeres Ich blicke, das sich so sehr nach Sicherheit, Geborgenheit und dem Rückhalt einer Familie sehnte, würde ich sagen: Ein Kontaktabbruch ist kein Allheilmittel. Es ist nie eine leichte Entscheidung. Aber es wird gut – wenn du DEINEN Weg gehst.

Such dir Menschen, die ihn mit dir gehen. Auch wenn es nur ein Stück weit ist.”


Liebe Marie, vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft! Wenn ihr mehr über Marie erfahren möchtet, schaut gerne bei ihrem Instagram-Account vorbei: @trauergestalt

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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