Der Verlust eines Babys ist für die Eltern ein unvorstellbarer Schmerz. Ein Moment, in dem die Welt stillzustehen scheint, und nichts mehr so ist, wie es vorher war. Er hinterlässt nicht nur große Trauer, sondern auch viele offene Fragen. So war es auch bei Inke, die ihr Baby nach Komplikationen bei der Geburt wenige Tage später gehen lassen musste. In ihrer Echten Geschichte erzählt sie, was ihr in dieser schweren Zeit geholfen hat, und wie die Geburt ihres zweiten Kindes ihr half, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten:
„Es ist jetzt 13 Jahre her, dass ich mir während meiner ersten Schwangerschaft viele Gedanken darüber gemacht habe, wie ich mir meine Geburt wünsche. Ich wollte kein steriles Krankenhaus mit gestressten Ärzten. Ich wollte das Beste für mein Kind und habe mich nach längeren Gesprächen für eine Hausgeburt entschieden. Aber die Geburt, die schön werden sollte, natürlich und harmonisch, endet in einer Katastrophe.
Ich erinnere mich daran, dass ich einen Blasensprung hatte.
Irgendwann rief ich meine Hebamme an und meinen damaligen Freund der noch unterwegs war. Es war 6 Uhr morgens, und ich war sehr aufgeregt und hatte etwas Angst.
Mittags bekam ich dann Wehen. Ich hatte vorher einen Hypnobirthing-Kurs mitgemacht, konnte aber die Übungen daraus leider nicht anwenden. Denn innerhalb einer Stunde waren die Wehen so schnell und intensiv, dass ich nicht mehr sprechen konnte.
Ich war überfordert und fühlte mich hilflos.
Denn das alles passte überhaupt nicht zu dem, was mir im Geburtsvorbereitungskurs erzählt wurde.
Mein Freund rief unsere Hebamme an und bat sie, zu kommen. Sie dachte zuerst, es könne nicht stimmen, da ich ja Erstgebärende war. Als sie dann doch irgendwann kam, war mein Muttermund schon sehr weit geöffnet.
Als ich am frühen Abend von den Schmerzen komplett überwältigt war und fast kollabiert wäre, sollte ich versuchen, zu pressen.
Das Kind sollte gleich kommen – aber es kam nicht.
Nach einer gefühlten halben Ewigkeit verschlechterten sich die Herztöne meines Babys, und plötzlich hieß es, dass ich ins Krankenhaus verlegt werden müsse. Auf dem Weg dorthin und auch in der Klinik habe ich nur noch geschrien. Vor Schmerzen, vor Angst und vor Überforderung.
Ich wollte nur noch, dass mein Sohn endlich geholt wird – egal, wie.
Als ich nach dem Notkaiserschnitt wieder aufwachte, war mein Bauch weg.
Mein Freund weinte. Ich wollte wissen, wo mein Kind war. Es war wie im schlechten Film.
Mein Sohn war direkt in ein anderes Krankenhaus verlegt worden. Dort lag der auf der Intensivstation. Man sagte mir, wenn er überleben würde, würde er große Schwierigkeiten haben.
Durch die Beruhigungsmittel, die ich bekommen hatte, konnte ich überhaupt nicht verstehen, was mir erklärt wurde.
Erst 24 Stunden später konnte ich meinen Sohn das erste Mal sehen.
Er war an viele Kabel angeschlossen. Vollkommen reglos. Hirntot. Drei Tage nach seiner Geburt wurden die Geräte ausgeschaltet. Er durfte in meinen Armen sterben. Daran erinnere mich zum Beispiel gar nicht einmal mehr.
Die traumatische Erfahrung begleitet mich auch 13 Jahre später noch.
Zwar habe ich mir kurz nach der Geburt Unterstützung gesucht, war bei einer Hebamme, die sich auf Geburtstraumata spezialisiert hat, und bei einem Psychotherapeuten. Aber wirklich abgeholt habe ich mich von beiden nicht gefühlt.
Das Thema Schuld bekam zum Beispiel nicht genügend Raum.
Die Suche nach Versäumnissen bis hin zu direkten Schuldzuweisungen sind für viele Hinterbliebene ein wesentliches Element ihres Trauerprozesses. Hätte der Tod verhindert werden können? Habe ich mich falsch verhalten? Haben andere sich falsch verhalten?
Vorwürfe in alle Richtungen können sich jahrelang quälend über alle anderen Gedanken und Gefühle des Trauerns legen. Die Begleitenden denken häufig ‚Das muss ich ihnen abnehmen!‘. Aber ür Trauernde können Schuldzuweisungen wichtig und stabilisierend sein.
Mein Ex-Partner und ich haben uns 6 Wochen nach dem Tod unseres Sohnes getrennt.
Es gab nie eine richtige Aussprache. Meine Familie und meine Freunde waren überfordert.
Es gab nur wenige, die mich mit meinem Schmerz aushalten konnten und wollten. Das ist hart, aber auch oft Realität.
Nachdem ich mir 3 Monate Zeit genommen habe, bin ich wieder arbeiten gegangen.
Ich hatte zu dieser Zeit eine gut laufende Yogaschule, und meine Schüler sind damals geblieben und mir mit Respekt und Mitgefühl begegnet. Damit gab es noch einen anderen Sinn in meinem Leben. Das Unterrichten und Begleiten von Menschen. Meine Arbeit war in dieser Zeit ein wichtiger Halt für mich.
Ich bin zu meinem Yogalehrer nach Frankreich gefahren und einige Zeit später für drei Monate nach Indien. Die Landung in Indien war auch dieses Mal ein Perspektivwechsel. Der Geruch, die Farben, das Licht, der totale Wahnsinn.
Das war auch unglaublich heilsam, da ich mich dort sehr sicher und zuhause fühle und immer wieder die gleichen Menschen dort getroffen habe, Indien Friends sozusagen.
Außerdem habe ich bei einem Rückbildungskurs für verwaiste Mütter andere Frauen kennengelernt, die auch ihre Kinder verloren haben.
So unterschiedlich wir und unsere Geschichten auch alle sind, so wertvoll waren unsere Begegnungen. Sie verbinden uns bis heute, und wir treffen uns noch immer regelmäßig. Denn dieses Schicksal schweißt zusammen, weil man sich versteht. Auch darüber bin ich sehr dankbar.
Irgendwann habe ich darüber nachgedacht, noch einmal ein Kind zu bekommen. Auch damit war ich in der Gruppe nicht allein, denn allen dort ging es so. Wir durften es aussprechen und uns darüber austauschen, ohne dass es jemand bewertet.
Als ich circa ein Jahr nach dem Tod meines Sohnes wieder schwanger war, war es so ein Glücksgefühl.
Die Schwangerschaft war eine Herausforderung, da ich jetzt wusste, was auf dem Weg bis zur Geburt alles passieren kann. Die Leichtigkeit der ersten Schwangerschaft war nicht mehr vorhanden.
Dazu kommt, dass mehrere Hebammen es aufgrund meiner Vorgeschichte abgelehnt haben, mich zu betreuen.
Deshalb bin ich sehr dankbar, dass die Fundus-Hebammen in Hamburg mich so geduldig betreut und begleitet haben. Und auch meine Gynäkologen waren sehr liebevoll und haben niemals negativ über meine Entscheidung für eine Hausgeburt gesprochen.
Sie haben sich Zeit genommen, mir zugehört und versucht, mich für eine natürliche Geburt zu gewinnen. Haben mir alle Fragen beantwortet. Und am Ende meinen Wunsch nach einem geplanten Kaiserschnitt respektiert und begleitet.
Ich denke, meine zweite Geburtserfahrung war Teil meiner Heilung.
Der geplante Kaiserschnitt fand in einem ruhigen, freundlichen Umfeld statt. Ohne Stress, ohne Hektik, alle waren tiefenentspannt. Und ich konnte mich zu 100 % auf alle verlassen.
Mein Baby wurde geholt, es hat geschrien und wurde mir sofort auf den Bauch gelegt. Ich durfte diese unglaublich schöne lebensverändernde Erfahrung machen, meinen gesunden Jungen im Arm zu halten. Was für ein Glück! An dieser Stelle: Danke, UKE Hamburg!
Aber ich möchte am Ende nicht verschweigen, dass ein zweites gesundes Kind nicht die alleinige Lösung ist.
Wenn die Trauer und auch das Trauma nicht angemessen verarbeitet werden, dann holen sie dich irgendwann wieder ein.
Rückblickend kann ich sagen, dass die richtige Verarbeitung erst viel später stattgefunden hat.
Heute weiß ich, dass ich als Betroffene wütend sein darf, auf die Menschen, die beteiligt waren. Und dass es heilsam sein kann, seine Gedanken und Gefühle zuzulassen und auszusprechen.
Ich muss niemandem verzeihen oder das Schicksal schönreden.
Ich muss nicht so tun, als würde dieser schlimme Verlust meine Persönlichkeitsentwicklung auf die nächste Stufe stellen, und ich könnte viel daraus lernen.
Nein. Muss ich nicht.
Die Trauer braucht Raum und Zeit, der Schock muss verarbeitet werden.
Was ich gelernt habe: Die Gesellschaft ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Das ist jetzt nicht als Vorwurf gemeint. Aber es sollte normal sein, dass ich mindestens ein Jahr (oder wie lange ich auch immer brauche), trauern kann, muss, möchte und darf.
Trauer ist eine gesunde Reaktion. Aber die Reaktionen anderer Menschen vermitteln einem oft das Gefühl, dass man nicht normal ist, wenn man nicht „schnell genug“ wieder zum Alltag zurückkehrt. Als wäre nichts gewesen.
Aber unterdrückte Trauer kann krank machen.
Ich hatte einige Symptome, die auf eine Posttraumatische Belastungsstörung hindeuteten. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff Trauma allerdings noch nicht so verbreitet.
Während ich meinen zweiten Sohn aufzog, wurde mir klar, dass ich das Erlebte und den Verlust noch nicht zu 100 Prozent verarbeitet habe. Heute weiß ich, dass das auch nicht möglich und auch gar nicht notwendig ist.
Das Erlebte braucht auch heute einen Platz in meinem Leben.
Mein Leben darf schön sein, und gleichzeitig darf ich traurig sein, wenn ich daran denke, was ich verloren habe. Und zwar meinen Sohn und ein Stück meiner Leichtigkeit und Naivität.
Mit einigen meiner alten Freunde bin ich enger verbunden als zuvor, und es sind auch neue Freunde dazugekommen, auf die ich mich verlassen kann.
Manchmal vermisse ich meine alten Freunde und mein altes Leben. Aber vielleicht hätten sich diese Beziehungen auch ohne meine Erfahrung verändert, weil ich mich sicher auch so verändert hätte.
Was bleibt, ist mein Wunsch, ein sinnstiftendes Leben zu führen.
Und das tue ich. Denn mein Geburtstrauma hat mich zu einer beruflichen Neuausrichtung geführt. Heute arbeite ich in meiner eigenen Praxis hauptsächlich mit Frauen, die Verlusterfahrungen und Traumata erlebt haben. Bei den verwaisten Eltern e.V. Hamburg leite ich im Ehrenamt Gruppen für Sternenmütter.
Und ich sehe meinen zweiten Sohn aufwachsen und seinen Weg gehen.“
Liebe Inke, vielen Dank, dass wir deine emotionale Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir alles Liebe für die Zukunft!
Mehr über Inke und ihre Arbeit findet ihr auf ihrem Instagra-Account @therapie_ashtanga_inke_shenar
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