„Ich dachte: Wenn meine Mama mich geliebt hätte, hätte sie mich nicht weggegeben.”

Für Sarah bedeutete Adoption nicht nur ein neues Zuhause, sondern eine lebenslange Reise zwischen Herkunft und Identität, Wunden und Wachstum. Ihre echte Geschichte zeigt, wie tief Zugehörigkeit gehen kann, auch wenn sie nicht mit der Geburt beginnt. Und wie viel Mut es braucht, beides in sich zu halten: das Licht und die Schatten.

„Ich bin ein absoluter Lebemensch – mit Narben aus den Tälern, durch die ich gegangen bin, und einem tiefen Sinn für die Schönheit der Aussicht von oben. Ich koste das Leben, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn es schwer ist.

Im Moment beschäftigt mich der Bau eines neuen Zuhauses – weniger aus Ziegeln, mehr aus Mut, Erinnerungen und Möglichkeiten. Ich bin gerade nach Irland ausgewandert und versuche, Wurzeln zu schlagen in fremdem Boden. Aber darin bin ich geübt.

Ich kam im Mai zur Welt – aber wirklich gesehen hat man mich in den Wochen und Monaten danach nicht.

Verwandte und Nachbarn fragten sich, wo ich war. Und bald wurden Zweifel laut, ob meine leibliche Mutter für mein Wohl sorgen konnte.

Weihnachten 1992 war für alle drei ein besonderes Jahr.

Weihnachten 1992 war für alle drei ein ganz besonderes Fest. Foto: @grossstadtklein

Kurz vor Weihnachten wurde eine Entscheidung getroffen: Es musste schnell gehen. Meine Eltern haben über Jahre hinweg immer wieder kurzfristig Pflegekinder aufgenommen, jedoch immer auf bestimmte Zeit. Kinder, die schnell einen sicheren oder behüteten Ort brauchten.

So kam es, dass kurz vor Weihnachten ein Anruf kam. ‚Wir haben hier ein Baby, das muss schnell da raus, bevor etwas Schlimmeres passiert. Könnt ihr sie aufnehmen?‘ So kam es, dass meine Eltern an Heiligabend in die Stadt fuhren und erst einmal eine komplette Grundausrüstung für ein Baby kaufte.

Ich wurde damit direkt in mein Weihnachtswunder katapultiert.

Menschen, die sich um mich kümmerten, mich fütterten, mich mit Liebe anschauten, mit mir sprachen. Aus Papieren geht hervor, dass ich mich die Monate zuvor als Baby selbst ernährt hatte. Wenn ich das Glück hatte, dass man mir eine Flasche ins Bett legte (aus dem ich kaum herausgenommen wurde, daher hatte bzw. habe ich bis heute meinen Spaß mit den Folgen einer Rachitiserkrankung), dann angelte ich mir die Flasche mit den Füßen und fütterte mich eben selbst.

Lebenswille kann man mir nicht absprechen, vermute ich.

Für meine Eltern war ich ihr Christkind. Nicht geplant. Nicht erwartet. Aber von Herzen willkommen.

Diesen einen Moment, in dem ich erfuhr, dass ich adoptiert bin, gab es nie. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Meine Eltern haben es mir mit der Zeit erklärt, in meiner Sprache, in meinem Tempo.

Sarah als Kleinkind.

Sarah als Kleinkind. Foto: Privat

Als Kind dachte ich in Bildern: Bauchmama. Herzmama. In der Jugend wurde das Bild klarer, konkreter. Und kurz vor meiner Volljährigkeit bekam ich alle Unterlagen – den Rechtsweg, die Urkunde, die Geschichte hinter meiner Geschichte. Ich fühlte mich nie betrogen, sondern ernst genommen. Und gesehen.

Trotzdem habe ich mich oft ‚anders‘ gefühlt – aber nie wegen meiner Eltern.

Es waren Mitschüler:innen, die mit ihrer kindlichen Grausamkeit Dinge sagten wie: ‚Wenn deine Mutter dich geliebt hätte, hätte sie dich nicht abgegeben.‘ Ich habe das geglaubt. Trotz all der Liebe, die ich zuhause gespürt habe.

Heute bricht mir der Gedanke das Herz, dass meine Eltern das vielleicht je gehört oder gelesen haben. Denn sie tragen keine Schuld an diesen Zweifeln. Es war ein langer Weg, falsche Glaubenssätze zu verlernen und mich auf das Gute zu konzentrieren.

Ich durfte am eigenen Herzen erfahren, wie tief und still Liebe sein kann.

Meine Eltern haben jahrelang um mich gekämpft – unter der ständigen Angst, dass jemand kommt und mich wieder mitnimmt. Und heute weiß ich: Diese Liebe war nie weniger wert, nur weil sie nicht genetisch verankert ist. Sie ist vielmehr das größte Geschenk meines Lebens.

Wenn ich je selbst vor der Entscheidung stünde, würde ich Adoption mit ganzem Herzen bejahen. Denn ich habe erlebt, dass Familie eine Entscheidung ist – kein Zufall.

Ich habe auch über meine leiblichen Eltern nachgedacht.

Meine leibliche Mutter lebt nur ein paar Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Meine Mama hat ihr über die Jahre hinweg sogar Fotos von mir geschickt – ein stilles Zeichen der Offenheit.

In meiner Jugend wurde der Drang stärker: Ich wollte sie sehen, verstehen. Wir haben sogar eine Zeit lang in derselben Pflegeeinrichtung gearbeitet – und standen mal gemeinsam im Aufzug. Die optische Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Aber sie war und blieb eine Fremde.

Wer mein Erzeuger ist, werde ich nie wissen.

Mehr aus Spaß und Interesse habe ich mich mit DNA-Forschung beschäftigt – eine bestimmte Region in Irland tauchte dabei immer wieder auf. Und wie der Zufall – oder das Schicksal – so will, ist genau dorthin mein Weg gegangen.

Was ich heute fühle, wenn ich an meine leiblichen Eltern denke? Wut. Aber ich weiß: Wut frisst. Also versuche ich, sie umzuwandeln in Verständnis. Ich habe selbst noch kein Kind bekommen, aber ich weiß um postnatale Depressionen, um Überforderung, um Ausweglosigkeit. Und trotzdem tut es weh.

Denn ich trage Spuren dieser ersten Monate in mir – körperlich, seelisch.

Ich bin auch wütend auf das System. Auf das, was hätte früher gesehen werden können. Auf das Schweigen und Nichts-Tun, als meine leibliche Mutter das Krankenhaus beispielsweise direkt nach der Geburt ohne mich verließ.

Besonders in der Pubertät war meine Adoption sehr präsent. Diese Suche nach Identität – wer bin ich, wenn ich nicht durch Gene definiert bin? Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie in dieser Zeit nicht verletzt reagiert haben, sondern geduldig geblieben sind. Sie haben meine Suche mitgetragen – auch wenn es wehgetan haben muss.

Zugehörigkeit war für mich nie ein Ort – sondern Menschen.

„Zuhause ist, wo sie sind.”

„Zuhause ist, wo sie sind.” Foto: Privat

Ich gehöre zu meinen Eltern, und sie zu mir. Wir sind ein kleines Team, das sich gegenseitig trägt. Zuhause ist, wo sie sind. Und wenn sie mich in Irland besuchen, dann ist Zuhause aktuell plötzlich doppelt da – in mir und um mich herum. Ich habe eine Mutter, die beste, die ich mir wünschen konnte. Das genügt mir.

Ich habe meinen Frieden, selbst erarbeitet. Dafür habe ich heute nicht nur eine Herkunft – sondern (m)ein Fundament.

Was ich anderen mitgeben möchte, die selbst adoptiert wurden oder über eine Adoption nachdenken?

Ich weiß, dass meine Geschichte eine von den wahrlich guten und schönen ist – eine mit einem liebevollen Zuhause, mit Menschen, die mich wollten, die mich gewählt haben.

Adoption kann tief, heilend und schön sein – aber sie ist vermutlich nie einfach. Wenn du adoptiert bist, darfst du alles fühlen: Dankbarkeit, Wut, Trauer, Liebe. Alles hat seinen Platz.

Heute hat Sarah ihren Frieden gefunden.

Heute hat Sarah ihren Frieden gefunden. Foto: Privat

Und wenn jemand überlegt, ein Kind zu adoptieren:

Liebe zeigt sich nicht über DNA, sondern über Taten, Geduld und jeden einzelnen Tag, den du da bist.”


Liebe Sarah, vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir alles Liebe für die Zukunft! Wenn ihr mehr über Sarah erfahren möchtet, schaut gerne bei ihrem Instagram-Account vorbei: @grossstadtklein

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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