Postpartale Depression: „Ich dachte, ich überlebe das nicht.”

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Dieser Text thematisiert Suizidgedanken und Suizid. Er behandelt also Inhalte, die einige Menschen beunruhigend oder verstörend finden könnten. Leidest du selbst unter solchen Gedanken? Du bist nicht allein! Hilfe und Beratung findest du z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.


„09.02.2022, 06:05 Uhr, der Moment, in dem mir klar wurde, dass mein bisheriges Leben nun von Grund auf anders wird. Ich habe die zweite Linie auf meinem Schwangerschaftstest eindeutig sehen können. Unser größter Wunsch ging in Erfüllung, nämlich ein Baby zu bekommen. Die Freude war endlos.

In den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft hatte ich mit extremer Übelkeit zu kämpfen, kennt man ja. Jedoch machte sich noch ein Phänomen bemerkbar, das ich so nicht kannte: mir machte auch die Hormonumstellung sehr zu schaffen. Traurigkeit, Missmut und Unglücklichsein machten sich breit. Da dachte ich mir schon: Oh, oh, hoffentlich hat das bald ein Ende und vor allem hoffte ich, dass mich das nach der Schwangerschaft nicht nochmal einholt.

Ab Anfang des 4. Monats war dann alles gut.

Keine Übelkeit mehr, keine Stimmungsschwankungen mehr, keine Traurigkeit mehr. Die gesamte restliche Zeit war eine Traumschwangerschaft. Dann war er da, unser kleiner Prinz namens Matteo, geboren am 18.10.2022. Meine Hebamme, die ich zur Nachsorge zu Hause hatte, hat mich bei jedem Besuch gefragt, wie es mir geht, da ich ihr schon erzählt hatte, dass ich ein wenig weinerlich bin. Es war aber erstmal nichts Dramatisches, normaler Babyblues.

Doch genau zwei Wochen später wurde es schlimmer. Auf die Nachfrage meiner Hebamme gestand ich, dass sich mein mentaler Zustand verschlechterte. Sie hat mir daraufhin dringend geraten, umgehend meine Frauenärztin oder meine Hausärztin aufsuchen. Gesagt, getan, ich habe am nächsten Tag sofort einen Termin bei meiner Gyn bekommen, die das Problem sehr ernst nahm, da sie selbst eine gute Freundin aufgrund von Wochenbettdepressionen verloren hatte.

Sie hat sich das Leben genommen.

Auch in der Familie einer Bekannten hatte kurz zuvor eine Mama Suizid begangen, weil sie unter Wochenbettdepressionen litt. Man hört ja ab und zu davon und denkt sich, wie erschreckend das ist, aber wie schlimm es wirklich ist, darüber wird dann doch geschwiegen. Ich habe durch meine Frauenärztin sofort einen Termin beim Neurologen bekommen, der mir dann Antidepressiva verordnet hat.

Er hat mir erklärt, dass ich mir selbst auf keinen Fall Vorwürfe machen soll und dass alles gut wird, irgendwann. Die Wochenbettdepression ist reine Chemie im Hirn und die betroffene Mami hat keinen Einfluss darauf. Jeder fragte mich, ob ich Selbstmordgedanken habe oder ob ich meinem Kind was antun will. Das hat mich überfordert, ich war völlig fertig, da mir bewusst wurde, in welchem Abgrund ich eigentlich gerade festhänge. Der Neurologe erklärte, dass ich nun ca. drei Wochen durchhalten muss, bis die Tabletten zu wirken beginnen.

In dieser Zeit konnte ich, wenn es ganz schlimm war, eine Notfalltablette nehmen, die stärker ist als die anderen.

Die folgenden Wochen waren die pure Hölle. Ich habe nur geweint, hatte einen dauerhaften Nervenzusammenbruch. Ich konnte mich nicht um meinen Sohn kümmern, konnte nichts essen, nicht schlafen, gar nichts. Teilweise bin ich nicht einmal vom Sofa aufgestanden. Noch nie zuvor habe ich mich so schrecklich gefühlt, dabei habe ich früher schon viel erlebt mit Krankheiten und Mobbing. Nichts war vergleichbar schlimm, das würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen.

Ich hasste mich selbst dafür, dass ich ‚nichts auf die Reihe kriege‘ und nicht die glückliche Mama bin wie alle anderen Mamas. Ich dachte zumindest, dass alle anderen Mütter rund um die Uhr überglücklich sind. Mittlerweile habe ich erkannt, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, dass man ein ‚Super-Duper-Happy-Family‘-Bild vermittelt bekommt. Jede Mama soll gefälligst froh und glücklich sein, weil mit Baby alles so toll ist. Aber wer genau fühlt das tatsächlich so?

Ich denke heute, dass fast keine Familie so startet.

Und schon gar nicht die, die von Wochenbettdepressionen betroffen sind. Einmal war ich (warum auch immer) nicht erreichbar. Plötzlich standen mein Bruder und dessen Freundin total fertig vor meiner Tür und umarmten mich mit den Worten: ‚Gott sei Dank, wir dachten, du hast dich umgebracht!‘. In diesem Moment wurde mir erst bewusst, wie schlimm das alles eigentlich ist. Ich war geschockt. Doch knapp zwei Wochen, nachdem ich die Tabletten bekommen hatte, ging es langsam bergauf.

Meine Selbstmordgedanken und die Hoffnungslosigkeit ließen nach, ich konnte langsam mein Kind annehmen. Ich bin aber bis heute völlig traumatisiert von dieser Zeit und habe nun panische Angst davor, nochmal schwanger zu werden. Ich habe riesige Sorgen, dass das nochmal passiert. Ich bin ehrlich: ein zweites Mal überlebe ich das nicht. Während der schlimmen Phase dachte ich ebenfalls, dass ich das nicht überleben kann.

Wie schlimm ist das, solche Gedanken zu haben?

Da wird man Mama und fühlt so und will seinem Leben am liebsten ein Ende setzen und ganz nebenbei wird dieses Thema auch noch als Tabu behandelt. Das ist fatal. Das ist lebensgefährlich für die Betroffenen. Ohne meinen Partner, meine Familie, ohne meine Hebamme, die so super reagiert hat, und auch ohne meine Ärzte hätte ich aufgegeben. Ich war völlig unfähig, darüber nachzudenken, dass ich mein Kind alleine lasse. An solche Dinge kann man in der Hölle der Depression gar nicht mehr denken.

Deshalb ist es mir ein unglaubliches Anliegen meine Geschichte zu teilen und damit zu unterstützen, dass Wochenbettdepressionen viel mehr thematisiert werden. An alle Betroffenen: Holt euch Hilfe. Lasst die Gefühle raus. Sprecht über eure Sorgen. Nehmt die Unterstützung an, die ihr bekommt. Und vor allem: SCHÄMT euch NICHT! Man kann es nicht beeinflussen, egal, wie sehr man sich das wünscht.

Nun, fast ein halbes Jahr nach der Geburt, bin ich endlich dabei, die Tabletten langsam abzusetzen.

Dabei kann ich nur hoffen, dass ich keinen Rückfall bekomme. Gerne stehe ich betroffenen Mamis für Fragen und Austausch zur Verfügung. Ich weiß, wie schlimm das ist! Also, nochmal an alle Betroffenen: Ihr schafft das, aber sucht unbedingt Hilfe und vor allem tauscht euch mit anderen aus! Schweigt es nicht tot, dann können wir bestimmt einigen Mamis das Leben und die Psyche und auch Babys retten, #wirmüssenzusammenhalten.”


Du möchtest gerne mit Mama Lena in den Austausch gehen? Dann schreibe einfach unserer Redakteurin unter [email protected], die dann den Kontakt herstellt.

Liebe Lena, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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