Kontaktabbruch zu den Eltern: „Distanz kann die eigene Rettung sein.”

Es gibt Entscheidungen, die so tief gehen, dass sie einem den Boden unter den Füßen wegziehen – und trotzdem notwendig sind. Eine davon: Der Kontaktabbruch zu den eigenen Eltern. Ein Thema, über das kaum jemand spricht. Zu groß ist die Scham, gerade bei Mamas, zu laut das schlechte Gewissen. Denn wie kann man Menschen hinter sich lassen, die einen doch aufgezogen haben? Menschen, die man eigentlich lieben soll?

Psychotherapeutin Aylin Thiel kennt genau diese Fragen aus ihrer täglichen Arbeit. Und sie sagt ganz klar: „Wenn der Preis für Nähe die eigene seelische Gesundheit ist, wird Distanz zur Rettung.

Aus welchen Gründen brechen Kinder den Kontakt ab?

Ein Kontaktabbruch passiert meist nicht wegen eines Streits. Es geht nicht um eine Meinungsverschiedenheit. Es geht um emotionale Gewalt. Um ständige Grenzverletzungen. Um Schuldumkehr. Um das Gefühl, sich selbst aufzugeben, nur um den Familienfrieden zu wahren.

Ein Kontaktabbruch fühlt sich für viele nicht wie Befreiung an, sondern wie Sterben bei lebendigem Leib. Nicht Hass führt zu diesem Schritt – sondern tiefe Enttäuschung, Erschöpfung und das Gefühl: Ich habe alles versucht. Ich kann nicht mehr“, stellt die Psychotherapeutin klar.

Woran merke ich, dass mir der Kontakt zu meinen Eltern schadet?

Was viele nicht wissen: Es gibt Warnzeichen, die zeigen, dass der Kontakt zu den eigenen Eltern mehr schadet als stärkt.
Aylin Thiel formuliert sie klar: „Wenn du dich nach jedem Treffen kleiner fühlst als vorher, wachsam bist wie im Alarmzustand und dich für dein Leben rechtfertigen musst – dann ist das kein liebevoller Kontakt. Liebe sollte dich nähren – nicht verwirren, beschämen oder aushöhlen.“

Und doch ist die Scham oft groß. Gerade für Mütter, die nicht nur Tochter, sondern auch Mama sind. Sie stehen unter doppeltem Druck: sollen Bindung pflegen – um jeden Preis. „Die Botschaft ‚Du hast nur diese Eltern‘ wird so tief eingeprägt, dass viele glauben, Loyalität sei wichtiger als Selbstschutz. Doch Kinder spüren, ob ihre Mama innerlich zerrissen ist – oder in sich ruht.“

Gerade Mamas fällt der Schritt oft schwer

Aylin Thiel erlebt immer wieder, wie sehr Mütter mit sich ringen. Viele wollen „nicht genauso werden“ wie ihre eigenen Eltern – und haben Angst, es doch zu tun. „Wer diese Angst spürt, zeigt schon, wie bewusst er lebt. Nicht das gleiche Blut bestimmt, wie du wirst – sondern deine Entscheidung, es anders zu machen. Heilung beginnt da, wo du dich ernst nimmst.“

Denn wenn die eigenen Eltern dich emotional verletzen, dann verletzen sie – über dich – auch deine Kinder. „Ein klarer Schnitt kann generationsübergreifend heilen. Nicht aus Rache, sondern aus Liebe: zu dir und deinen Kindern.“

Was tun, wenn man an der eigenen Entscheidung zweifelt?

Aylin Thiel weiß: Die Zweifel gehen nicht einfach weg. Auch Sehnsucht kommt – oft in Wellen. Aber: „Sehnsucht ist menschlich. Doch frag dich: Wonach sehnst du dich wirklich? Nach einer Mutter, die dich sieht – oder nach einer, die es nie konnte? Halt dich nicht an Hoffnung fest, die dich kaputt macht. Halt dich an dein Jetzt.“

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus?

Wenn Eltern dann plötzlich vor einer Funkstille stehen, ist der Schock groß. Manche reagieren mit Trotz. Andere mit Schmerz. Aber es kann auch ein Weckruf sein. „Für Eltern ist ein Kontaktabbruch oft ein Spiegel. Es konfrontiert sie mit Fragen, die viele ihr Leben lang vermeiden wollten: Was habe ich übersehen? Wo war ich blind?“

Wer reflektiert, kann erste Schritte auf das Kind zugehen – wenn auch nicht mit Erklärungen, sondern mit echter Verantwortung.
Die ehrlichste Einladung ist eine Entschuldigung, kein Vorwurf. Wer sich nicht rechtfertigt, sondern Verantwortung übernimmt, öffnet Türen, die lange verschlossen waren.“

Und was sagen wir unseren Kindern, wenn sie fragen?

Müssen sie alles wissen? Nein, sagt Thiel – aber sie sollten spüren, dass sie in einem echten Zuhause sind. „Sag ehrlich: ‚Ich habe etwas erlebt, das nicht gut für mich war – und ich will, dass du weißt: Ich passe gut auf mich auf. Und auf dich.‘ Kinder müssen nicht alles wissen. Aber sie dürfen spüren, dass Wahrheit und Liebe sich nicht ausschließen.“

Abschließend betont Aylin Thiel: „Du darfst gehen, auch wenn du liebst. Du darfst bleiben, auch wenn du leidest. Was immer du wählst – es braucht Mitgefühl für dich. Kein Urteil. Keine Scham. Nur die Frage: Was ist gerade wirklich gut für mich?“

Muss ein Kontaktabbruch für immer sein?

Nein, ein Kontaktabbruch ist nicht immer endgültig. Aber er ist eine Grenze. „Und Grenzen sind manchmal die ehrlichste Form von Liebe. Manche Brücken bleiben eingerissen. Andere entstehen neu – wenn beide Seiten lernen, anders zu gehen als früher.”

Noch mehr Tipps, Experten-Wissen und Erfahrungen rund um das Thema Eltern-Kind-Beziehung findest du übrigens auch auf dem Instagram-Kanal von Dr. Aylin Thiel. Schau unbedingt mal dort vorbei!

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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