Kinder sind heute weniger lebenstüchtig – ist da was dran?

Du kennst es sicher: Du willst alles richtig machen. Deinem Kind Liebe schenken, es fördern, aber nicht überfordern. Für es da sein, aber nicht zu sehr einengen. Irgendwo zwischen Montessori-Spielzeug, Kita-Warteliste und dem nächsten Elternabend stellt sich vielleicht auch bei dir manchmal die Frage: Wächst mein Kind eigentlich zu einem starken, selbstständigen Menschen heran? Oder mache ich – bewusst oder unbewusst – etwas falsch?

Inmitten dieser Widersprüche wächst eine neue Elterngeneration heran – engagiert, reflektiert, liebevoll. Und trotzdem bleibt die Frage: Bereiten wir unsere Kinder eigentlich noch gut aufs Leben vor? Oder fehlt ihnen am Ende genau das – Lebenstüchtigkeit?

Wir haben mit Prof. Dr. Norbert Schneider, Soziologe und langjähriger Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, genau darüber gesprochen. Seine Antworten sind klar, unbequem und gleichzeitig wohltuend ehrlich.

„Kinder sind nicht weniger lebenstüchtig – aber sie erleben weniger echtes Leben“

„Lebenstüchtigkeit entwickelt sich im Alltag, in seiner Vorhersehbarkeit, aber auch in seinen Unwägbarkeiten.“, sagt Prof. Schneider.
Kinder müssen ihn so erleben dürfen wie er ist. Und genau daran mangelt es heute oft.“

Er meint damit nicht, dass Kinder früher besser oder robuster waren – aber: „Früher war der Alltag eine Art Schule des Lebens. Heute wird das, was das Leben ausmacht – Chaos, Unsicherheit, Widersprüche – oft ausgeblendet.“

Ein Beispiel: „Kinder dürfen mitbestimmen, wohin es in den Urlaub geht. Aber sie dürfen nicht alleine zur Schule laufen. Da stimmt doch was nicht.“

Frust ist nicht gefährlich – Frust ist wichtig

Die Botschaft dahinter: Wir trauen unseren Kindern oft Dinge zu, die keine echten Herausforderungen darstellen – während wir ihnen genau das verwehren, woran sie wachsen würden.

Kinder müssen auch Frust erleben dürfen. „Frustrationstoleranz ist ein ganz zentraler Aspekt von Lebenstüchtigkeit“, sagt Schneider. „Wenn ich nie warte, nie verliere, nie etwas nicht bekomme – wie soll ich dann später mit Rückschlägen im Leben umgehen?“

Es geht nicht um Härte – es geht um Echtheit.

„Ich beobachte viele Eltern, die aus Liebe alles geben wollen – aber dabei vergessen, dass Kinder auch lernen müssen, mit Enttäuschung umzugehen.“ Denn: „Wer keine Krisen erlebt, kann keine Resilienz aufbauen.

Was Kinder heute besonders gut können

Trotz aller Kritik ist Prof. Schneider überzeugt: „Kinder heute können Dinge, von denen frühere Generationen nur träumen konnten.“
Er nennt drei besondere Fähigkeiten heutiger Kinder:

Kommunikation: „Viele Kinder wachsen in einem Umfeld auf, in dem Gefühle benannt werden, in dem über Konflikte gesprochen wird. Das stärkt ihre emotionale Intelligenz.“

Vielfaltstoleranz: „Sie erleben Unterschiede – kulturell, familiär, genderbezogen – als normal. Das war früher nicht so.“

Bildung: „Kinder sind heute in ihrer Gesamtheit besser gebildet als je zuvor. Sie verfügen über mehr Fremdsprachkompetenzen und haben mehr Auslandserfahrungen als die Generationen zuvor.”

Diese Fähigkeiten machen Kinder heute in vieler Hinsicht sozialer, reflektierter und empathischer – aber oft eben auch verletzlicher.

Eltern müssen nicht perfekt sein – sie müssen bei sich bleiben

Perfektionismus ist mit Elternschaft nicht vereinbar“, sagt Schneider. „Und Elternschaft bedeutet früher oder später: Kontrollverlust. Wer das nicht akzeptieren kann, wird scheitern.“

Er spricht von der täglichen Begegnung mit dem Chaos – und wie wichtig es ist, dass Eltern sich selbst nicht darin verlieren.
Eltern müssen sich abgrenzen – von den Kindern, von den Erwartungen, vom Idealbild.“Ein Satz bleibt besonders hängen:
„Kinder sind das, was sie immer waren: Egozentrisch und sensibel – verletzend und verletzlich.“

Damit meint er nicht, dass Kinder ihren Eltern etwas Böses wollen – sondern, dass sie sich selbst am nächsten sind. Und dass Eltern deshalb nicht permanent „verfügbar“ sein müssen.

Was Kinder wirklich brauchen

Schneider ist überzeugt: „Kinder brauchen Eltern, die wissen, was sie können – und was nicht.“ Statt Druck, immer alles „richtig“ machen zu müssen, brauchen Kinder Eltern, die echt, zumutbar, authentisch sind.
Denn: „Am wichtigsten für glückliche Kinder sind zufriedene Eltern.“

„Mehr Gelassenheit wagen“

Am Ende fragen wir ihn, was er sich wünscht – für Eltern, für Kinder, für Familien. Seine Antwort ist still, aber deutlich:
Mehr Gelassenheit wagen. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir müssen nur aufhören, ständig zu glauben, wir täten nicht genug.“

Vielen Dank an Herrn Prof. Dr. Schneider für das interessante Gespräch!

Prof. Dr. Schneider

Prof. Dr. Schneider

Du möchtest das Thema gerne vertiefen? Dann kannst du dich auf das neue Buch von Prof. Dr. Schneider und Maria M. Bellinger freuen: „Mut tut gut – Warum wir unseren Kindern mehr zutrauen können.” Der Erscheinungstermin ist der 26.8.25

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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