Immer mehr Eltern vertrauen ihre Kleinkinder früh der Kita an – oft, weil es die Umstände verlangen. Doch was, wenn ausgerechnet eine Erzieherin selbst sagt: „Ich könnte mein eigenes Kind nicht mit gutem Gefühl dorthin bringen“? Aus jahrelanger Erfahrung berichtet Marie* in ihrer Echten Geschichte, warum das System ihrer Meinung nach versagt – und warum sie selbst ihr Kind erst viel später in eine Betreuungseinrichtung geben würde.
„Ich arbeite als Erzieherin, seit ich 20 Jahre alt bin – also mittlerweile seit knapp acht Jahren. Nach der Schule wusste ich noch nicht so recht, was ich machen wollte. Ich war damals ein Jahr lang in einer Krippe und es hat mir richtig gut gefallen.
Die Erzieherinnen dort waren begeistert von meiner Arbeit und haben mich sehr bestärkt. Also bin ich irgendwie dabeigeblieben und habe danach die Ausbildung zur Erzieherin begonnen.
Relativ früh hatte ich aber schon das Gefühl, dass im System etwas nicht stimmt.
Nach meiner Ausbildung habe ich meine erste Stelle in NRW angetreten – und direkt erlebt, was Personalmangel bedeutet.
Es kam oft vor, dass Kollegen kündigten oder sich krankmeldeten und es keinen Ersatz gab. Dann standen wir plötzlich zu zweit in einer Krippengruppe mit zehn Kindern, was ich damals schon als extrem belastend empfunden habe. Später bin ich nach Niedersachsen gezogen und habe dort als Erzieherin gearbeitet.
Ehrlich gesagt, hat mich das, was ich dort erlebt habe, völlig schockiert.
In Nordrhein-Westfalen betreut man in der Krippe drei Erzieher auf zehn Kinder – in Niedersachsen sind es drei Erzieher für 15 Kinder. Und diese fünf zusätzlichen Kinder spürt man ganz massiv.
Die Kita, in der ich gearbeitet habe, war zudem eine neu eröffnete Einrichtung. Das Team musste sich erst noch finden und wegen vieler krankheitsbedingter Ausfälle standen wir oft alleine da. Es gab Tage, an denen ich mit zehn Krippenkindern komplett alleine war. Zum Glück hatten wir da noch keine 15 Kinder.
Aber auch mit zehn Kleinkindern alleine zu arbeiten, ist brandgefährlich.
Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich beim Wickeln war, während die anderen Kinder unbeaufsichtigt im Gruppenraum spielten. Ein Kind drehte den Wasserhahn auf, ein anderes räumte Schubladen aus, wieder ein anderes spielte mit dem Wasser im Klo. Zum Glück ist nie etwas wirklich Schlimmes passiert – aber es hätte jederzeit etwas passieren können.
Man kann beim Wickeln ja nicht einfach weggehen. Man muss beim Kind bleiben und es durchgehend im Blick behalten. In dieser Zeit sind die anderen Kinder zwangsläufig unbeaufsichtigt. Es war einfach ein permanentes Risiko, das wir in Kauf nehmen mussten, weil das Personal fehlte.
Dasselbe Bild zeigte sich beim Mittagsschlaf.
Eigentlich braucht in dem Alter jedes Kind eine Bezugsperson, die es sanft in den Schlaf begleitet. Aber wie soll das gehen mit zwei oder drei Erziehern und 15 Kindern?
Egal wie sehr wir uns bemüht haben, liebevoll auf jedes Kind einzugehen – die Realität war: Die Kinder, die besonders laut oder auffällig waren, bekamen mehr Aufmerksamkeit. Die ruhigen Kinder, die einfach so mitliefen, gingen unter.
Es wird immer so viel über Bildungsangebote und individuelle Förderung gesprochen.
Aber die Realität ist: Schon allein organisatorische Aufgaben wie Frühstück vorbereiten, Wickeln, Anziehen für draußen – all das frisst so viel Zeit, dass echte individuelle Betreuung kaum möglich ist.
Ich finde es traurig, dass gerade die Jüngsten darunter leiden. Kinder unter zwei Jahren brauchen eigentlich besonders viel Nähe, Zuwendung und eine feste Bezugsperson.
Man kann in einer Krippe einfach nicht ein Kleinkind permanent auf dem Arm tragen, es knuddeln, ihm die Aufmerksamkeit schenken, die es braucht – weil man ja noch 14 andere Kinder betreuen muss.
Ich bin davon überzeugt: Es sollte überhaupt nicht erlaubt sein, Babys unter einem Jahr in die Krippe zu geben.
Die ersten Lebensjahre sind für die psychische und emotionale Entwicklung so entscheidend – und die wichtigste Bindungsperson sollte in dieser Zeit die Mutter oder der Vater sein.
Natürlich wird in der Kita gespielt, getröstet und zugehört – aber bei 15 Kindern ist es schlicht unmöglich, jedem wirklich gerecht zu werden. Körperlich belastet mich der Beruf auch sehr – durch das viele Heben, Bücken und die Lautstärke. Und emotional tut es einfach weh, zu sehen, dass man den Kindern nicht das geben kann, was sie eigentlich brauchen.
Manchmal denke ich, gerade die stillen Kinder sind die wahren Verlierer in diesem System.
Die, die sich anpassen, ruhig sind, sich selbst beschäftigen – sie gehen im Alltag oft unter, während die lauteren Kinder mehr Aufmerksamkeit einfordern.
Trotzdem bin ich im Beruf geblieben – weil ich die Arbeit mit Kindern an sich wunderschön finde. Aber in Niedersachsen Erzieherin sein – das möchte ich auf Dauer nicht. Es sind einfach zu viele Kinder, zu wenig Personal, zu viel körperliche und emotionale Belastung.
Dieses System ist für niemanden gesund.
Wenn ich selbst ein Kind habe, würde ich es frühestens mit zwei Jahren in die Krippe geben – und dann auch nur halbtags, von acht bis dreizehn Uhr. In dem Alter profitieren Kinder von sozialen Kontakten und Angeboten. Aber ein Baby ganztags in die Krippe zu geben, finde ich einfach nicht richtig.
Viele Eltern sehen während der Eingewöhnung nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Krippenalltag. Sie sehen, wie niedlich alles wirkt, wie schön die Kinder spielen – aber sie sehen nicht, wie stressig und chaotisch es oft wirklich ist.
Gerade bei der Eingewöhnung geben sich die Erzieher besonders viel Mühe, sich Zeit zu nehmen und Vertrauen aufzubauen.
Der normale Alltag aber sieht oft ganz anders aus.
Ich glaube, wenn Eltern das ganze Ausmaß erleben würden, würden sie vieles mit anderen Augen sehen.”
Liebe Marie* (echter Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir alles Liebe für die Zukunft!
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Liebe Ronja,
vielen Dank für deinen Kommentar, der sicher vielen Elternteilen aus dem Herzen spricht.
Herzliche Grüße,
Laura
Liebe Marie*
Wie schade, dass du das so erlebt hast, in den Einrichtungen in denen du bisher warst.
Und der Personalmangel ein sehr großes Problem.
Ich glaube, dass meine Kinder in ihrer Einrichtung sehr gut aufgehoben sind und waren. Alles drei sind mit 13/14 Monaten gestartet und zwei sind von Beginn an sehr gerne hingegangen, eins hatte zu Beginn Schwierigkeiten. Und ja, natürlich fragt man sich, ob dass die richtige Entscheidung war. Aber in der Realität, wenn ich mit den Kindern Zuhause bin, kann ich mich auch nicht immer so um sie kümmern wie sie es immer brauchen.
Also Elternteil Zuhause, hat man ja nicht nur das Kind, sondern auch den Haushalt. Viele Tätigkeiten kann ich auf abends verschieben (wäsche zusammen legen, aufräumen) aber saugen mit einem schlafenden Kind? Kochen kann ich zum Beispiel auch nicht verschieben. Und da spreche ich noch nicht von einfachen „Angeboten wie Wasserfarben malen“.
Ich freue mich sehr, dass es Erziehende wie dich gibt, die die Bedürfnisse der Kinder in den Vordergrund stellen und Dimmer im Blick haben, so gut es eben geht.
Vielen Dank für deine wertvolle Arbeit.
Und noch was, bei uns gibt es Notbetreuung, wenn nicht genügend Erziehende für die Anzahl der Kinder da sind. Auch mal sehr kurzfristig und manchmal über Wochen und Monate (verkürzte Öffnungszeiten, zum einhalten der Pausen). Das ist natürlich sehr anstrengend zum organisieren für die Eltern, aber es ist notwendig, auch für unsere eigenen Kinder.
Liebe Grüße