Zu schüchtern oder zu zutraulich? So lernt dein Kind den Umgang mit Fremden

Die einen Kinder klammern sich völlig verschüchtert an Mama, obwohl sie den Nachbarn schon tausend Mal gesehen haben. Die anderen Kinder quatschen problemlos Fremde im Park an und setzen sich dazu. Gar nicht so einfach, da eine gesunde Balance zu finden, ohne bei den Kleinen Angst vor Fremden zu schüren oder eher zurückhaltende Kinder zu überfordern.

Wir haben Claudia Schwarzlmüller, Diplom-Psychologin für Kinder und Jugendliche mit jahrzehntelanger Erfahrung gefragt, wie wir Kinder im Umgang mit Fremden am besten unterstützen können – egal ob besonders schüchtern oder besonders zutraulich.

Aber welche Distanz ist bei Kindern eigentlich „normal“?

„Es ist wirklich spannend: Erwachsene haben immer ungefähr den gleichen Wohlfühl-Abstand zu anderen Menschen. Du fühlst dich sofort seltsam, wenn dir jemand im Gespräch zu nah kommt und regulierst das wieder, indem du zurückweichst, erklärt die Expertin. „Bei Kindern kann sich dieser „Sicherheitsabstand“ innerhalb von Minuten ändern, je nach Vertrautheit und Gefühlslage. Auch beim Kennenlernen von neuen Leuten können Kinder sehr sprunghaft sein. Im einen Moment wünschen sie sich viele Meter Abstand, Minuten später klammern sie sich schon ans Bein des Erwachsenen.

Um den Wohlfühl-Abstand eines Kindes herauszufinden, hat die Psychologin einen einfachen Trick:

„Schau das nächste Mal genau hin, wenn du auf ein sehr kleines Kind das erste Mal zugehst, das auf dem Arm von Mama den Abstand zu dir nicht selbst regulieren kann. Du gehst langsam auf das Kind zu und kannst meistens feststellen, dass es an irgendeinem Punkt den Kopf von dir wegdreht. Das bedeutet: Du bist mir jetzt zu nah, wir kennen uns ja noch gar nicht.

Wenn du dann anhältst und nur einen Schritt zurückgehst, schaut dich das Kind meist sofort wieder an. Probier mal aus, das funktioniert oft wie an einem Gummiband: Ein Schritt vor, Kopf wird weggedreht, ein Schritt zurück, Kind schaut dich wieder an. Es ist sehr schön und respektvoll dem Kind gegenüber, wenn du diesen Abstand dann akzeptierst und wartest, bis das Kind von selbst auf dich zukommt.“ Auf diese Weise lernen Kinder, dass ihr Bedürfnis nach Abstand und Sicherheit von den Großen respektiert wird.

Mein Kind ist super schüchtern – wie kann ich es unterstützen?

Das Gefühl, das Tempo selber regulieren zu dürfen, ermutigt vor allem auch schüchterne Kinder schneller auf Fremde zuzugehen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Kinder ihre Persönlichkeit von Anfang an mitbringen und ihre Zurückhaltung ein Persönlichkeitsmerkmal ist. „Du kannst gerne mal Erwachsene ermutigen, „doch einfach weniger schüchtern zu sein“, das bringt leider wenig. Bei Kindern ist es nicht anders“, erklärt Claudia Schwarzlmüller.

Aber: „Gute Erfahrungen mit anderen Menschen helfen, Schüchternheit auf Dauer etwas abzumildern.

Sollte dein Kind sich bei Partys an dich klammern und nicht von dir weggehen, kannst du ihm helfen, indem du einfach mit ruhiger Stimme die Situation und die Menschen beschreibst. „Schau, da ist Onkel Anton, der macht sich jetzt einen Kaffee. Und da hinten spielen Fritz und Hugo“ etc. Hilf deinem Kind, die Situationen lesen zu lernen, indem ihr gemeinsam zuschaut und verbalisierst, was ihr seht. Einige Kinder beobachten erst eine lange Zeit, bevor sie selbst aktiv werden. Daran ist gar nichts falsch, das ist einfach typbedingt.“

Und was, wenn mein Kind eher etwas zu offen Fremden gegenüber ist?

„Kindern, die extravertiert sind und sich immer schnell und begeistert auf andere stürzen, kann man auf die gleiche Weise helfen. In ihrer Begeisterung fehlt ihnen manchmal noch die Feinabstimmung mit anderen Personen. Wenn du selbst siehst, dass es dem Erwachsenen unangenehm ist und der sich bedrängt fühlt, dann frag dich, wie du das eigentlich feststellst. Wie „liest“ du das? Siehst du es am Gesicht? An der Körperhaltung? An dem, was er oder sie sagt? Dann hilf deinem Kind, das auch zu sehen.

Das ist ein Prozess, in dem das Kind lernt, ins Gesicht der anderen zu schauen und festzustellen, wie das aussieht, wenn jemand keine Lust hat, oder fröhlich oder verärgert ist. Schaut gemeinsam in Gesichter und versuch, dein Kind sehen zu lassen, was im Gegenüber vorgeht. Ab drei Jahren kann man das bewusst verstehen und lernen. Das klappt nicht sofort, sondern ist ein Lernprozess. Wenn du deinem Kind hilfst, selbst die Situation zu erkennen, dann gibst du ihm sozusagen das Steuerruder für soziale Situationen in die Hand“, erklärt die Psychologin.

Und mit diesen Skills, soziale Situationen zu erkennen und zu verstehen, stärken wir unsere Kinder für ihr ganzes Leben. 

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Jana Krest
Obwohl ich ein absolutes Landkind aus der Eifel bin, lebe ich schon seit einigen Jahren glücklich in Hamburg. Hier habe ich nach meinem Bachelor in Medien- und Kommunikationswissenschaften und Soziologie auch noch meinen Master in Journalistik und Kommunikationswissenschaften gemacht. Während meines Studiums kümmerte ich mich frühmorgens, wenn die meisten noch schliefen, bei der Deutschen Presse-Agentur darum, dass die nächtlichen Ereignisse aus ganz Norddeutschland in die Nachrichten kamen. Und ich hatte jahrelang noch den für mich besten Nebenjob der Welt: Die süßen Kinder von anderen betreuen. Nachdem ich Echte Mamas zunächst als Praktikantin kennenlernen durfte, schreibe ich nun als Redakteurin über alles, was Mamas beschäftigt: Von praktischen Ratgeber-Texten über aktuelle Trends bis hin zu wichtigen Recht- und Finanzthemen.

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