Sternenkind: „Ich fühlte mich lange für Lucas Tod verantwortlich.”

„Am 30.03.2005 habe ich mein erstes Kind auf die Welt gebracht, doch mir waren nur 23 Stunden mit ihm vergönnt. Ich merke heute noch, nach 18 Jahren, dass viele Menschen nicht damit umgehen können, wenn ich von Luca berichte. Ich möchte deswegen mit meiner Geschichte dazu beitragen, dass das Thema enttabuisiert wird. Und ich wünsche mir, dass ich anderen Sterneneltern Mut machen kann.

Es war eine Geburt ohne Komplikationen.

Luca kam in der 35. Schwangerschaftswoche in Paris in einem kleinen Privatkrankenhaus zur Welt. Wir waren überglücklich und konnten es gar nicht fassen. Wir waren so fasziniert von ihm. Er kam in der Nacht und mein Arzt empfahl uns damals, ihn in ein anderes Krankenhaus verlegen zu lassen, da Luca etwas zu früh auf die Welt kam.

Einfach nur zur Beobachtung, sagte man uns. Natürlich haben wir noch in der Nacht unsere Familien angerufen. Wir wollten unseren Eltern in Deutschland direkt aus Frankreich die frohe Botschaft mitteilen. Für meine Eltern war Luca das erste Enkelkind. Mein damaliger Mann und ich waren überglücklich. Irgendwann fuhr er nach Hause und ich wurde in mein Zimmer gebracht, damit ich erst mal schlafen und mich nach der Geburt etwas erholen konnte.

Als ich am nächsten Tag aufwachte, konnte ich mein Glück immer noch nicht fassen.

Ich rief meine Eltern noch einmal an, berichtete wieder von der Geburt, von Luca, davon, wie glücklich ich war und dass ich jetzt nur auf meinen heutigen Exmann, Andrew, warten würde und wir dann zu unserem Kind ins Krankenhaus fahren. Kurze Zeit darauf, als ich gerade frühstückte, kam eine Krankenschwester in mein Zimmer. Sie legte mir einen Zettel hin mit dem Kommentar ‚Rufen Sie dort mal im Krankenhaus an, da liegt Ihr Sohn.‘ Mehr sagte sie nicht.

Ich habe mir bis dahin noch nichts gedachte. Also wählte ich die Nummer und hatte dann jemand von der Station am Telefon. Ab da begann der Albtraum. Ich meldete mich und sagte: ‚Ich bin die Mutter von Luca und wollte mal fragen, wann ich meinen Sohn besuchen darf.‘ Da sagte mir die Frau am Telefon, dass ich gerade auf der Intensivstation für Kinder angerufen habe und es Luca gar nicht gut gehen würde.

Ich konnte es gar nicht greifen, fragte immer nur, was er denn hat.

Die Frau konnte es mir am Telefon nicht genau beantworten. Sie sagte, dass sie gerade versuchen, Luca zu retten. Dann ging alles ganz schnell. Ich legte auf und rief Andrew an. Er und ich fuhren sofort gemeinsam rüber zu Luca. Als wir ankamen, wurden wir schnell eingekleidet und dann durften wir durch die Schleuse zu unserem Kind.

Und da standen wir wie gelähmt, fassungslos vor dem Inkubator. Luca lag dort mit unzähligen Kabeln, überall piepste es. Ich weiß gar nicht, wie lange wir einfach nur dastanden. Es war so grausam anzusehen und ich war einfach wie betäubt. Überall waren Krankenschwestern. Man merkte, dass alle dort um sein Leben kämpften. Irgendwann kam ein Arzt zu uns und wir hatten ein erstes Gespräch. Er erklärte uns, dass Luca, kurz nach seiner Ankunft im Krankenhaus, zusammengebrochen war und er uns auch noch nicht so wirklich sagen könnte, was los sei.

Sie hätten ihm Antibiotikum gegeben, aber keins hatte ihm bisher helfen können.

Die Laborwerte brauchten noch Zeit, sie warteten noch auf das Ergebnis. Andrew und ich waren total verzweifelt und hilflos. Wir standen die ganze Zeit an dem Inkubator. Ich glaube, ich bin noch nicht mal zur Toilette gegangen. Irgendwann merkte ich aber, wie mich nach der Geburt die Kraft verließ. Das merkten die Schwestern auch und von irgendwoher brachten sie mir einen Stuhl, den man in eine Liegeposition stellen konnte.

Plötzlich hörte ich dann nur noch einen Ton von den Geräten und alle liefen hektisch zu Luca. Ich sprang auch auf, stellte mich neben ihn und sah, wie der Arzt versuchte, Luca zu reanimieren. Im nächsten Moment standen alle Ärzte und Schwestern mit gesenktem Kopf da. Keiner bewegte sich mehr, bis sich auf einmal eine Schwester wegdrehte und zu weinen anfing. Da begriff ich, dass wir alle den Kampf verloren hatten.

Luca war tot.

Der Arzt sprach dann noch kurz mit uns und wir wurden in einen anderen Raum gebracht. Wenig später brachten sie uns Luca. Wir verabschiedeten uns von ihm. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie es mir den Boden unter den Füßen wegriss. Ich war fassungslos, konnte das alles gar nicht begreifen. Mittlerweile wurden uns die Laborwerte mitgeteilt. Luca ist an Streptokokken B gestorben. Nach einer Weile fuhren wir in unsere Wohnung in Paris zurück.

Luca trug bei unserer Verabschiedung eine weiße Mütze, diese nahmen wir zusammen mit seinem Geburtsbändchen mit nach Hause. Wochenlang habe ich immer wieder an diesem Mützchen gerochen, weil ich den Geruch von ihm nicht verlieren wollte. Wir haben noch im Krankenhaus unsere Familie informiert, dass Luca gestorben war.

Ich habe meinen Vater noch nie weinen gesehen, aber einmal gehört, und zwar bei diesem Telefonat. Er konnte auch nicht zur Beerdigung nach Paris kommen, weil Lucas Tod seinen Blutdruck so heftig in die Höhe trieb. Er musste sogar Medikamente nehmen. Zum Glück ist ihm damals nichts passiert.

Die Gespräche, die wir nach Lucas Tod im Krankenhaus führten, waren kurz und sachlich.

Mein Frauenarzt dagegen wollte nicht mehr wirklich mit mir sprechen. Ich bin eine Woche nach Lucas Tod noch einmal zu ihm in die Sprechstunde, weil ich Fragen hatte. Ich war total verloren und saß bei ihm im Wartezimmer zwischen den hochschwangeren Frauen, da musste ich irgendwann weinen. Die Sprechstundenhilfe kam dann ganz schnell und hat mich zum Arzt reingeschickt.

Der wirkte ziemlich genervt von mir. Ich habe dann meine Fragen gestellt, da ich noch gar nicht richtig greifen konnte, was da passiert ist. Er meinte dann nur, dass Luca an Streptokokken B gestorben sei und ich wohl Überträgerin gewesen bin. Ich solle nach Hause gehen und mich erholen. Ich sei doch noch jung und das nächste Mal klappt es dann schon. Ich war geschockt von den Aussagen des Arztes.

Danach machte ich mir noch jahrelang schwere Vorwürfe.

Der Arzt hatte mir durch die Blume gesagt, dass ich meinen eigenen Sohn umgebracht hatte. Er hatte es so unsensibel verpackt. Danach habe ich mit keinem Arzt mehr gesprochen. Ich war traumatisiert. Dagegen fielen die Reaktionen von unseren Familien viel besser aus, sie haben uns sehr geholfen. Andrew und ich sind erst Mal zu meinen Eltern nach Deutschland geflogen, wo wir etwas aufgefangen wurde. Aber natürlich musste Andrew irgendwann zurück nach Paris wegen der Arbeit.

Unsere Freunde in Frankreich haben nicht wirklich mit uns darüber gesprochen. Sie haben sich nicht getraut. Ich habe eigentlich auch erst Jahre später angefangen, darüber zu reden. Es gab vor 18 Jahren auf diesem Gebiet noch nicht so viel Unterstützung. Ich habe das große Glück, dass ich ein sehr positiver Mensch bin und ich mich irgendwann dafür entschieden habe, wieder glücklich zu sein. Das war eine bewusste Entscheidung.

Andrea hat nach Luca noch zwei Töchter bekommen.

Andrea hat nach Luca noch zwei Töchter bekommen. Foto: Privat

Am Anfang hat es mir geholfen, meine Trauer zuzulassen.

Ich lag oft wie gelähmt im Bett und mir sind einfach nur die Tränen die Wangen runtergelaufen. Aber irgendwann habe ich mich an das Leben vor Luca erinnert. Ich war schon immer eine sehr aktive Person. Ich mache viel Sport und reise für mein Leben gerne. Mein Exmann und ich haben uns den Raum der Trauer gegeben, aber uns irgendwann gewagt, wieder die Dinge zu machen, die uns vor Luca erfüllt haben.

Nach Lucas Tod hatte ich das Glück, zwei gesunde Kinder auf die Welt zu bringen. Zoe kam am 17.08.2006 und Enya am 12.01.2009 zur Welt. Zoe und Enya habe ich unter Antibiotika entbunden. Ich habe über die Jahre gelernt, zu akzeptieren, dass Luca nach 23 Stunden gehen musste. Mit der Zeit habe ich mir erlaubt, dass auch ich lebensfroh und glücklich sein darf. Ich werde ab und an gefragt, ob ich zu Lucas Grab fahre. Er ist in Paris beerdigt. Ich brauche aber keinen Friedhof, um an ihn zu denken.

Stattdessen habe ich mir ein Tattoo für meine drei Kinder stechen lassen, das mir sehr viel bedeutet.

Es sind drei Schmetterlinge: Der große steht für Luca, der mittlere für Zoe und der kleine für Enya. Ich habe irgendwann entschieden, diesen Schicksalsschlag als Teil von mir anzunehmen. Ich habe aufgehört, mir immer wieder die Fragen zu stellen, warum mir das passiert ist oder ob ich es hätte verhindern können. Diese vielen Fragen, die es sowieso nicht ungeschehen machen. Nein, nach einer Zeit der Trauer habe ich mich ganz bewusst bemüht, wieder Freude in mein Leben zu lassen.

Andrea hat sich ein Tattoo stechen lassen, das für ihre drei Kinder steht.

Andrea hat sich ein Tattoo stechen lassen, das für ihre drei Kinder steht. Foto: Privat

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen Luca sehr präsent ist und dann auch Phasen, in denen er weniger präsent ist. Da bald sein 18. Geburtstag ist, ist er aktuell sehr präsent für mich. Heute gibt es auch fantastische Hilfe, die es vor 18 Jahren noch gar nicht gab. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, dass Eltern von Sternenkindern nicht alleine gelassen werden. Deswegen unterstütze ich die „Sternenkindersprechstunde im Haus der Familie‘ in München. Hier bekommen Eltern Hilfe, die Ähnliches erleben mussten wie ich.

Ich hätte mir vor 18 Jahren so eine tolle Unterstützung gewünscht.

Zu Ehren von Lucas 18. Geburtstag am 30. März nehme ich am 25.03.23 in München am Mammutmarsch teil und sammle Spenden für die Sternenkindersprechstunde. Dazu habe ich zusammen mit meiner Tochter Zoe ein Video gedreht. Zoe und ich hatten sehr viel Spaß bei dem Dreh. Wir sind zusammen in den Wald gefahren, haben gelacht. Für diese Momente im Leben bin ich unendlich dankbar.”


Wenn ihr das Video sehen oder einfach mehr über Andrea Hefner ([email protected]) erfahren möchtet, dann schaut gern auf ihrem Facebook-Profil oder ihrem Instagram-Account vorbei!

Liebe Andrea, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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