Jills kleine Tochter kommt mit einer Lippen-Kieferspalte zur Welt – obwohl bei den Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft alles in Ordnung ist. Jill und ihr Mann sind komplett überrumpelt und fühlen sich nach der Diagnose sehr allein. Denn niemand kann ihnen genau sagen, was das für ihre Tochter bedeutet, und was auf sie als Familie zukommt. Auch die vielen Blicke und Kommentare anderer Menschen verletzten Jill. Inzwischen wurde ihre Tochter operiert – und Jill teilt ihre Echte Geschichte, um anderen Eltern Mut zu machen:
„Nach der Geburt meiner Tochter habe ich sofort gesehen, dass etwas mit ihrer Lippe nicht stimmte. Ich hatte direkt ein mulmiges Gefühl, weil die Hebammen sofort ihren Mund abgetastet und so viel miteinander gesprochen haben.
Dann fragten sie uns, ob wir von der Lippen-Kieferspalte wussten.
Ich wusste gar nicht, worum es ging, und wovon sie sprachen. Was sollte meine Tochter haben?
Das Wochenbett bestand aus viel Recherche, Arztterminen und der Frage, warum die Ärzte die Lippen-Kieferspalte meiner Tochter nicht schon während der Schwangerschaft festgestellt hatten.
Während andere Mamas nach der Geburt in Ruhe mit dem Baby ankommen, bonden, kuscheln und sich einfach nur auf das Baby konzentrieren können, musste ich mich um so vieles kümmern, so viel herumlaufen, so viel herausfinden und planen.
Ich war allerdings heilfroh, dass ich zumindest ohne große Probleme stillen konnte. Es war immer mein größter Wunsch zu stillen und ich liebe es immer noch.
Am meisten hat mich schockiert, wie oft mein Baby angestarrt wurde, weil es anders aussah.
Dabei ist meine Tochter für meinen Mann und mich das wunderschönste Baby auf der Welt.
Wenn ich in der Anfangszeit mit ihr irgendwo hin musste, habe ich mich meistens einfach nur unwohl gefühlt. Die ganze entsetzten Blicke, ungefragten Kommentare und Fragen zu ihrem Aussehen haben mich wirklich getroffen.
Besonders die ältere Generation hat die Lippen-Kieferspalte häufig als ‚Hasenscharte‘ bezeichnet und unhöflich nachgefragt, was denn da passiert sei. So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei.
Im Februar wurde meine Kleine mit knapp 8 Monaten operiert.
Dabei wurde ihre Lippe verschlossen und die Nase korrigiert. Die OP verlief super und war nach 2 Stunden auch schon vorbei. Als wir eine halbe Stunde später zu ihr durften, sah meine Tochter so verändert aus, dass ich sie fast nicht wiedererkannt habe. Durch die ‚neue Nase‘ haben sich ihre Gesichtszüge komplett verändert.
Teilweise war ich sogar etwas traurig, nie wieder ihre schiefen Nasenlöcher und den Zahn durch den Spalt zu sehen. Denn genau so kannte ich mein Baby ja!
Aber alles in allem war ich sehr froh und stolz, dass wir es hinter uns hatten.
Ein paar Stunden nach der OP begann dann der Horror.
Unsere Tochter hat zwar Schmerzmittel bekommen, aber jedes Mal, wenn sie aufgewacht ist, hat sie geröchelt, geschrien und geweint, bis sie wieder eingeschlafen ist. Für mich als Mama war das so schwer, es mitansehen zu müssen und ihr nicht helfen zu können.
Da Stillen erst einen Tag später wieder möglich war, hat sie erst einmal abgepumpte Milch mit einer Löffelflasche bekommen. Auch dabei hatte sie trotz der Medikamente viele Schmerzen und hat geblutet.
Die ersten beiden Nächte waren super anstrengend.
Ich war maßlos überfordert, ängstlich und fertig mit den Nerven.
Ich habe mich kaum getraut, meine Tochter zu halten, weil ich Angst hatte, dass ich ihr wehtun könnte. Wäre mein Mann in der ersten Nacht nicht da gewesen, hätte ich nicht gewusst, wie ich es schaffen soll.
Meine Tochter hat fast jede Stunde gespuckt, gewürgt und geschrien. Damit das operierte Nasenloch in Form bleibt, haben die Ärzte ihr einen Retainer eingesetzt. Jedes Mal, wenn sie spucken musste, flog er raus, und wir mussten ihn wieder einsetzen. Das war für meine Kleine so schmerzhaft, dass ich jedes Mal mitweinen musste.
Zwei Tage nach der OP wurden wir entlassen, ab da ging es bergauf.
Zuhause konnte ich sie fast ausschließlich stillen, sie hatte weniger Schmerzen, hat mehr gelacht und mehr gespielt. Bis sie wieder fit war, ging es wirklich sehr schnell.
Als sie sich die ersten Tage im Spiegel angeschaut hat, hat man richtig gemerkt, dass sie weiß, dass sie jetzt anders aussieht. Natürlich musste auch sie sich erst einmal daran gewöhnen.
Heute erinnern nur noch ihre Narbe und eine etwas geschwollene Lippe an die vergangene Zeit.
Doch selbst jetzt werden wir noch darauf angesprochen, was denn passiert sei, und wieso sie eine Narbe habe.
Ich erzähle die Geschichte meiner Tochter gern, aber manche gemeinen Kommentare kränken mich auch heute noch. Nach wie vor wird meine Kleine stärker angestarrt als ‚normale’ Babys. Ich wünsche mir sehr, dass sie keine schlechten Erfahrungen machen muss, wenn sie größer wird.
Ich muss zugeben, dass ich davor etwas Angst habe. Wie werden die Kinder im Kindergarten oder in der Schule reagieren? Werden sie fragen, was meine Tochter da hat? Was passiert ist? Wird sie deshalb vielleicht sogar ausgegrenzt oder gemobbt?
Ich möchte, dass meine Tochter behandelt wird wie jedes andere gesunde Kind.
Sie ist nichts ‚anders‘, sie ist nicht ‚besonders‘, sie ist ein ganz normales Kind – nur eben mit einer Narbe an der Lippe. Diese Narbe wird sie ihr Leben lang tragen.
Eventuell braucht sie auch noch weitere Operationen an ihrem Kiefer, oder wenn die Narbe nicht verblasst. Vielleicht braucht sie auch eine Sprachtherapie, weil sie durch die zusammengenähten Nerven nicht jeden Laut direkt produzieren kann. Das wissen wir jetzt noch nicht.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden ihre Kinder auch eine Lippen-Kieferspalte haben, und es ist nicht sicher, ob ihre Geschwister auch davon betroffen sein werden.
Anfangs habe ich mich oft gefragt, ob es meine Schuld ist.
Ob ich irgendetwas in der Schwangerschaft getan habe, das die Lippen-Kieferspalte ausgelöst hat. Inzwischen weiß ich, dass es oft einfach eine Laune der Natur ist, und dass die Fehlbildung bei Neugeborenen sehr häufig vorkommt.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, es gibt einfach viel zu wenig Aufklärung zu diesem Thema.
So viele Menschen haben uns gefragt, was mein Kind denn habe. Ob es auf den Mund gefallen sei, ob es behindert sei, ob das bei der Geburt passiert sei usw. Dabei ist mir aufgefallen, wie wenig Menschen eigentlich über Lippen-Kieferspalten Bescheid wissen.
Mein Mann und ich hatten vor der Geburt zu diesem Thema auch noch nichts gehört.
Ich möchte die Geschichte meiner Tochter teilen, weil ich selbst niemanden mit der gleichen Erfahrung gefunden habe.
Es gibt keine Blogs oder öffentlichen Social Media-Kanäle, die über die Spalten erzählen. Im Internet findet man kaum Informationen und wenn doch, sind sie oft veraltet.
Gerade am Anfang habe ich mich sehr allein gefühlt mit der Situation. Die Ärzte und Hebammen konnten mir auch kaum Infos geben, außer einer kurzen Broschüre, die alles super sachlich erklärt. Selbst in der Klinik, in der meine Tochter operiert wurde, wussten die meisten Pfleger*innen nicht genau Bescheid. Sie mussten jedes Mal den Chirurgen anrufen, wenn etwas bei meiner Tochter gemacht werden sollte.
Ich hätte so gerne richtige Erfahrungsberichte anderer Eltern gelesen oder mich mit jemandem austauschen können.“
Liebe Jill, vielen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast – und anderen Mamas und Papas zeigst, dass sie nicht allein sind!
Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.
Wir freuen uns auf deine Geschichte!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]