Als ich Anfang der Woche durch meinen Insta-Feed gescrollt habe, dachte ich zuerst an einen schlechten Scherz. Dort wurde mir ein Zitat angezeigt, in dem es um „Probleme im Stadtbild“ ging, die angeblich durch Migranten verursacht würde. Doch was mich fast noch mehr erschreckte als das Zitat selbst: Es kam nicht, wie ich sofort vermutete, von der AfD – sondern von unserem Bundeskanzler, Friedrich Merz.
„Fragen Sie mal Ihre Töchter“ – haben Sie das denn getan?
Und damit nicht genug: Als er einen Tag später darauf angesprochen wurde, was er damit meinen würde, und ob er die Aussage vielleicht zurücknehmen möchte, legte Merz direkt noch mal nach und sagte wörtlich: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.“ Zurückzunehmen gäbe es da gar nichts.
Bitte was?! Es hat mich ehrlich gesagt geschockt, dass ein Bundeskanzler, der eine Zusammenarbeit mit der AfD (zum Glück!) kategorisch ausschließt, mit solchen Sätzen trotzdem in eine ähnliche Kerbe haut. Immerhin: Während aus den Reihen der CDU die Forderung laut wird, die Brandmauer zur AfD abzureißen (bitte was?!), hält Merz (noch) dagegen. Die „fundamentalen Unterschiede“ zwischen beiden Parteien, von denen er in diesem Zusammenhang spricht, verschwimmen mit solchen Aussagen zumindest im Punkt Migration allerdings doch sehr.
Meine Wünsche für meine Tochter sind ziemlich klar
Leider ist meine Tochter noch zu jung, um sie zu fragen, welche Probleme Merz wohl meint. Ich bin mir aber sehr sicher, dass ihre vielen Freunde aus unterschiedlichen Ländern das letzte wären, was ihr als „Problem im Stadtbild“ einfallen würde.
Aber wisst ihr was? Auch ich selbst bin eine Tochter. Und deshalb, lieber Friedrich Merz, kann ich Ihnen ziemlich genau sagen, was ich mir für MEINE Tochter wünsche:
1. Endlich genug Kita-Plätze – und ausreichende Betreuungszeiten
Meine Kinder betrifft es zwar nicht mehr, aber noch immer sind viele Eltern verzweifelt auf der Suche nach einem Kita-Platz. Für viele (meist) Mamas bedeutet das gleichzeitig: Sie können nicht (oder nur sehr begrenzt) arbeiten, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten für das Kind (oder die Kinder) haben. Wenn meine Tochter irgendwann selbst Kinder hat, würde ich mir sehr wünschen, dass sie nicht auch vor diesem Problem steht. Sondern frei entscheiden kann, ob und wie viel sie ihr Kind betreuen lassen möchte.
2. Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
Laut Paragraf 218 sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nach wie vor illegal. Sie bleiben zwar straffrei, wenn sie in den ersten 12 Wochen vorgenommen werden, die Frau eine vorgeschriebene Beratung wahrgenommen hat und ärztlich untersucht wurde. Unter bestimmten Umständen ist der Abbruch auch nach der 12. SSW noch möglich.
Heißt aber auch: Auch wenn der Abbruch bis zur 12. SSW straffrei bleibt, ist er trotzdem illegal – und die Frau macht sich strafbar. Eine Reform dieser Regelung, die Abtreibungen legalisieren sollte, blockierte Merz mit seiner CDU – und nimmt damit Frauen die selbstbestimmte Entscheidung. Genau die würde ich mir für meine Tochter und alle anderen Frauen wirklich dringend wünschen.
3. Gleichberechtigung ist kein Thema mehr
Das kommt wahrscheinlich unerwartet, oder? Ist aber genau so gemeint! Ich wünsche mir, dass Gleichberechtigung für meine Tochter irgendwann kein Thema mehr ist – sondern selbstverständlich! Dass wir nicht mehr darüber sprechen müssen, dass Männer und Frauen in den gleichen Jobs auch das gleiche Geld verdienen sollten. Dass Frauenquoten kein Thema mehr sind und Papas in Elternzeit keine Ausnahme.
Und keinen Kanzler, der sich hinstellt und sagt, Frauen seien „nicht so selbstbewusst wie Männer – und mit Ministerposten täte man ihnen keinen Gefallen”.
Übrigens: Der Frauenanteil in der Union liegt bei der CDU bei ca. 22,6 %, bei der CSU sind es ungefähr 25 %. Zum Vergleich: In der gesamten Bundesregierung liegt er bei rund 47 %. Merken Sie vielleicht selbst, Herr Merz, oder?
4. Vereinbarkeit, von der nicht nur gesprochen wird
Aktuell wird das Thema Vereinbarkeit viel diskutiert. Dabei gibt es dazu viele verschiedene Meinungen und Ansichten. Für mich heißt Vereinbarkeit zum Beispiel nicht, meine Kinder 50 Stunden die Woche abzugeben, damit ich 40 Stunden in Vollzeit arbeiten kann. Andere wünschen sich genau das, und das ist auch vollkommen okay!
Wichtig ist doch, dass wir eine Regelung finden, mit der jede Familie und jede*r Alleinerziehende das Modell leben kann, das am besten zur jeweiligen Lebenssituation passt. Ohne sich Sorgen darüber zu machen, ob die Kinder auch gut betreut werden oder das Geld reicht.
Ein erster Schritt wären flexiblere Arbeitszeiten, gleiche Gehälter für Männer und Frauen, eine Normalisierung der Elternzeit auch für Papas und bessere Betreuungsstrukturen in Kitas und Schulen (siehe oben).
5. Care-Arbeit wird vernünftig bezahlt
Ich weiß nicht, für was einen Beruf meine Tochter sich einmal entscheiden wird. Aber falls ihr Herz einem sozialen Beruf gehört, wünsche ich mir, dass sie (gut) davon leben kann. Dass sie sich nicht entscheiden muss zwischen Herzensjob und gutem Einkommen. Weil Care-Berufe endlich vernünftig bezahlt werden. Mit einem Gehalt, dass der Verantwortung und ihrem Wert für die Gesellschaft gerecht wird.
6. Frauen sind besser vor Gewalt geschützt
Ich weiß, es ist lange her, aber vielleicht erinnern Sie sich daran, dass sie bei der Abstimmung zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe DAGEGEN gestimmt haben. Ganz ehrlich, solche Dinge bleiben im Gedächtnis, mir zumindest. Ich würde mir sehr wünschen, dass sie sich deutlich für den Schutz von Frauen gegen Gewalt einsetzen. Und nein, damit meine ich nicht die Menschen aus unterschiedlichen Ländern im „Stadtbild“, denn noch immer sind pro Tag 495 Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt.
7. Einen bunten Freundeskreis – so wie jetzt.
In der Klasse meiner Tochter sind Kinder aus vielen verschiedenen Ländern, und in ihrem Freundeskreis sieht es genauso aus. Ich finde diese Vielfalt unglaublich toll, und die Kinder lernen gegenseitig so viele Dinge voneinander. Es zeigt mir auch immer wieder, wie offen Kinder sind, und dass es für sie nie ein Thema ist, woher jemand kommt, oder welche Hautfarbe er bzw. sie hat.
Ich würde mir für meine Kleine sehr wünschen, dass sie sich genau das erhält. Und dass sie nicht durch Aussagen wir Ihre verunsichert wird, denn genau das erreichen Sie damit. Dinge, die bisher vollkommen normal waren, werden plötzlich in Frage gestellt. Zum Glück ist meine Tochter noch zu jung, um sich diese Gedanken zu machen. Aber das wird nicht immer so bleiben.
Ich wünsche mir, dass sie sich sicher fühlt – genau wie alle ihre Freund*innen. Und dass niemand, der nach Deutschland gekommen und hier integriert ist, Angst haben muss, abgeschoben zu werden. Und ja, diese Beispiele gibt es leider!
8. Einen Kanzler oder eine Kanzlerin, die für all das einsteht
Zu guter Letzt wünsche ich mir für meine Tochter einen Bundeskanzler, der für Gleichberechtigung, Offenheit, Vielfalt und Toleranz steht und sich gegen Rassismus stark macht. Der nicht in eine ähnliche Kerbe haut wie die AfD, und der eingestehen kann, wenn er sich vielleicht in der Wortwahl vergriffen hat.
Einen Kanzler, bei dem nicht die 50er Jahre anklopfen, weil sie ihr Frauen- bzw. Rollenbild zurückhaben möchten.
Meine Tochter braucht keinen Schutz vor Vielfalt – sondern vor Rassismus, Ausgrenzung und Hetze.
Und bevor sie das nächste Mal über unsere Töchter sprechen: Fragen Sie doch einfach, was sie sich wirklich wünschen.
Quellen
Die Zeit zur Brandmauer-Debatte, 21.10.25
Tagesschau, Friedrich Merz: Zwischen Brandmauer und AfD-Rhetorik, 21.10.25
Spiegel, Friedrich Merz und die angeblichen Probleme im Stadtbild, 21.10.25