„Ist das dein Opa?!” Warum ich es toll fand, alte Eltern zu haben

Eigentlich war ich ein recht ausgeglichenes Kind mit sonnigem Gemüt. Trotzdem gab es eine Frage, mit der man mich innerhalb kürzester Zeit auf die Palme bringen konnte, und die lautete: „Ist das dein Opa, der dich da abholt?“ „Nein – mein Papa!“, motzte ich dann und fand die Frage unfassbar unverschämt. Meine Eltern waren 41 und 42 Jahre alt, als ich Ende der 70er zur Welt kam – für damalige Verhältnisse also steinalt. Und das ließ meine Umwelt mich auch ständig spüren. Wie es war, mit „alten Eltern“ aufzuwachsen und was ich rückblickend als Erwachsene darüber denke.

50 ist das neue 40 – ab wann Eltern heute als „alt“ gelten

Wenn ich so zurückschaue, würde ich sagen: Als meine Mutter mich 1979 mit 41 Jahren bekam, haben die Leute ungefähr so viel Theater darum gemacht, wie sie es heute bei über 50jährigen Schwangeren tun.

„Bist du verrückt geworden?!“, soll zum Beispiel meine Oma gewettert haben, als meine Mutter in ihrem „biblischen Alter“ mit dem positiven Schwangerschaftstest winkte. Heute ist es erst dann eine Sensationsmeldung, wenn bei der Mutter eine „5“ vor der „0“steht.

Schon spannend, wie sich die Sichtweise darauf verschoben hat. Meine Mutter galt damals mit gerade Anfang 40 schon als „Oma“. Wie kamen die Menschen bloß auf so einen Unsinn, fragte ich mich als kleines Kind irritiert.

Weil meine Eltern deutlich älter als andere Eltern waren – und sich manchmal auch so verhielten.

Als kleines Mädchen war es für mich völlig normal, ältere Eltern zu haben – es fiel mir selbst ja gar nicht auf. Es war die Umwelt aus anderen Eltern und Kindern, die mich mit der doofen „Opa“-Frage erst darauf brachten, dass irgendwas anders war als bei anderen.

Erst mit steigendem Alter dämmerte mir, dass der Altersunterschied sich auf unser Zusammenleben als Familie auswirkte. Beispiele:

  • Andere Eltern gingen mit ihren Kindern auf Raves (es waren die 90er!) – meine hörten höchstens ABBA und Beethoven und gingen gar nicht mehr aus dem Haus (ich liebe ABBA heute, by the way).
  • Andere Eltern fuhren im Winter mit ihren Kindern Ski – meine sagten nur: “Damit fangen wir doch jetzt nicht mehr an” und holten im Winter den bequemen Schlitten raus.
  • Andere Eltern kauften Ende der 90er die ersten internetfähigen Computer – meine Mutter, heute 85, ist vermutlich der letzte Mensch Deutschlands, der buchstäblich noch nie im Internet war, kein Smartphone besitzt oder jemals irgendwelche anderen Berührungspunkte mit dem Netz hatte. Sie versteht auch noch immer nicht, was ich eigentlich beruflich mache (Online-Redakteurin – was soll das sein?).

Das sind alles Nichtigkeiten, das ist mir bewusst. Ich war ein geliebtes Kind und hatte eine schöne Kindheit – das ist alles, was zählt. Ich schaffte mir ein dickeres Fell an und hörte auf, mich über die blöden Opa-Sprüche zu ärgern.

Na und? Dann waren meine Eltern eben älter als alle anderen.

Dafür hatten sie aber auch viel mehr Zeit für mich. Mein Vater ging mit Mitte 50 in Frührente, er war also in meinen Teenagerjahren viel zu Hause. Genau wie meine Mutter, die mit meiner Geburt bereits 20 Jahre Berufsleben hinter sich gebracht hatte und ins Hausfrauendasein übergegangen war.

Außerdem fand ich meine Eltern wesentlich entspannter als andere Eltern. Beispiele:

  • In wessen Wohnzimmer hat sich an regnerischen Nachmittagen die halbe Kindernachbarschaft versammelt, um gemeinsam mit meinem Papa Knight Rider zu gucken und ungestört Chips zu futtern? In unserem. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, saßen die anderen oft schon da und warteten auf mich.
  • Wo durfte man Konsolenspiele suchten und wurde nicht angemeckert? Bei meinen Eltern. Mein Vater war Gameboy-süchtig.
  • Wo gab es immer eine offene Süßigkeitenschublade und im Sommer freien Ausgang ohne Nennung des Aufenthaltsortes bis Einbruch der Dunkelheit? Bei meinen Eltern.
  • Wo ließ man immer Gnade vor Recht ergehen, wo gab es kein Gebrüll geschweige denn Ohrfeigen oder ähnliche Handgreiflichkeiten? Bei mir zu Hause.

Das habe ich bei Freunden mit teils wesentlich jüngeren Eltern ganz anders erlebt.

Dass meine Eltern mich sehr liebevoll und gewaltfrei erzogen haben, lag natürlich eher in ihrer Persönlichkeit verankert als an ihrem Alter.

Aber ja, ich denke schon, dass ihr Alter ihnen auch eine gewisse Gelassenheit verliehen hat. Sie standen mitten im Leben – und nicht mehr so sehr unter Druck.

Trotzdem gibt es einen großen Nachteil an älteren Eltern: Die geringere Zeit.

Meine Kollegin Wiebke hat neulich einen – wie ich finde sehr bewegenden – Artikel mit dem Titel “Wie es sich für mich anfühlt, eine späte Mutter zu sein” geschrieben und sich dabei unter anderem auch mit der Frage beschäftigt, ob man mit jüngeren Eltern mehr gemeinsame Lebenszeit erhält. Sie schrieb:

Allerdings weiß ich aus eigener Erfahrung leider auch, dass ein jüngeres Alter keine Garantie dafür ist, dass man mehr Zeit zusammen hat. Mein Papa war erst 30, als ich geboren wurde – und ich war 28, als er viel zu früh starb.

Ihre Worte haben mich sehr berührt.

Wiebke war 28, als ihr – bei Wiebkes Geburt junger – Vater starb. Ich verlor meinen – bei meiner Geburt alten – Vater erst, als ich 37 war. Ich hatte Glück, dass ich 9 Jahre mehr mit ihm verbringen durfte. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man ältere Eltern hat.

Was ich damit sagen will: Jüngere Eltern zu haben, ist zwar keine Garantie dafür, dass man mehr Zeit zusammen hat – so weit, so richtig. Aber:

Ältere Eltern zu haben bedeutet dagegen, mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit weniger Zeit mit ihnen verbringen zu können. Vor allem hat man weniger aktive, gemeinsame Zeit, in der sie gesundheitlich fit sind.

Umso wichtiger ist es, diese kostbare Zeit gut zu nutzen.

Und sich als Eltern nicht auf sein Altenteil zurückzuziehen, sondern aktiv am Leben der Kinder teilzuhaben.

Ich war erst Mitte 30, als meine Eltern pflegebedürftig wurden. Da ich selbst mit Ende zwanzig Mutter geworden bin, hatte ich in dieser Lebensphase die Rush Hour schlechthin: Ein kleines Kind und pflegebedürftige Eltern, die doppelte Care-Arbeit. Bei den meisten meiner Freundinnen setzt das erst jetzt so langsam ein, zehn Jahre später – so mit Mitte vierzig.

Nachdem mein Vater verstarb, holten wir meine Mutter mit Ende 70 aus meiner Heimat Düsseldorf zu uns nach Hamburg.

Seitdem haben wir nochmal alles aus der gemeinsamen Zeit rausgeholt, was möglich war: Gemeinsame Ausflüge, Geburtstagsfeiern und sogar Kreuzfahrten mit Rollator am Start. Jetzt geht das nicht mehr – Mama wird nun bettlägerig, und ich bin froh über jeden Tag, den sie noch bei mir ist. Die Zeit geht so schnell vorbei.

 

Ilona Utzig
Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser. Bei Echte Mamas bin ich Senior SEO-Redakteurin. Meine journalistische Ausbildung abolvierte ich bei Hamburger Jahreszeitenverlag, um anschließend Skandinavistik, Politikwissenschaft und Germanistik zu studieren. Nach langen Jahren als Finanz-Redakteurin liegen mir heute noch die Themen Vorsorge, Vereinbarkeit und Care-Arbeit am Herzen.

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