Brief an meine narzisstische Mutter: „Lieber sterben als mit dir leben.”

„Ich hatte leider nicht das Glück, eine schöne Kindheit zu haben. Ich habe sehr viel Gewalt und Missbrauch erleben müssen. Mir ist bewusst, dass es ein heikles Thema ist, aber es liegt mir sehr am Herzen, darüber sprechen zu dürfen. Vor Kurzem habe ich einen Abschiedsbrief an meine narzisstische Mutter geschrieben, den ich hier gerne mit euch teilen möchte

Hallo Mama,

ich beginne mal mit dem, was ich fühle, wenn ich all die Jahre an dich gedacht habe oder an dich denke. Nach 34 Jahren fühle ich noch immer Angst und Traurigkeit. Manchmal überwiegt die Angst und sehr oft auch diese Leere. Diese Leere, einfach kein Vertrauen in dich zu haben, ist extrem frustrierend. Im Alter von 11-12 Jahren hatte ich sogar eine solche Wut auf dich, habe dich so sehr gehasst, dass ich nicht mehr schlafen konnte.

Ich hatte immer die Hoffnung, dass diese Gefühle, Wut, Angst, Verzweiflung, Traurigkeit, abnehmen, aber seit mein eigenes Kind auf der Welt ist, nehmen sie eher zu. Ich wollte dir schon lange vergeben, aber Erlebtes kann man einfach nicht vergessen. In den ganzen Jahren habe ich versucht, dich zu verstehen. Ich habe mir echt viel Mühe damit gegeben.

Seit ich selbst Mutter bin sogar noch mehr als vorher schon.

Ich weiß, dass auch du es nie leicht gehabt hast und dass es sicher extrem anstrengend gewesen sein muss: Drei Kinder, keinen wirklich tollen Mann an deiner Seite. Aber ich frage mich, warum hast du dir keine Hilfe besorgt? Wieso hast du uns geschlagen und warum hast du uns nicht mal umarmt und gesagt ‚Ich liebe euch, es wird alles gut werden. Wir schaffen das schon.‘ Solche Worte fehlen mir extrem.

Genauso wie es mir fehlt, eine Mutter zu haben, die ihre Kinder über alles liebt – egal was kommt, egal, wie man gerade im Leben steht. Du hattest immer die Wahl. Jeder Mensch hat die Wahl, und das jeden Tag. Jeder neue Tag ist eine neue Möglichkeit, um neu wählen zu können, Sachen anders zu machen und nicht mit Wut und Zorn herumzulaufen und andere Menschen damit zu verletzen.

Ich habe mir deine Sicht der Dinge schon oft angehört.

Ich weiß trotzdem immer noch nicht, warum du so wütend reagiert hast. Warum du uns all die Jahre nicht geliebt hast und immer eine solche Wut in dir getragen hast. War es Überforderung? Wir hatten immer eine solche Angst vor dir, Todesangst. Das nennst du wirklich Erziehung? Klar hat man früher vieles anders gemacht, aber warum Gewalt? ‚Eine gesunde Watschen hat noch niemandem geschadet‘, das waren deine Worte.

Aber ich sage dir, dass das nicht stimmt. Es hat uns geschadet! Du hast unser Selbstbewusstsein, unser Selbstwertgefühl, unsere kleine Seele damals zerstört. Wir konnten nie Vertrauen aufbauen. Nicht nur wegen der Gewalt, sondern auch, weil du nie Verständnis hattest und keine Bindung zu dir da war. Für uns Kinder gab es keine Möglichkeit, Dinge zu hinterfragen und an Lösungen zu arbeiten.

All das Negative ist mir geblieben, all diese Angst ist mir geblieben.

Wir alle haben deine Alkoholexzesse miterlebt. Weißt du, warum ich dich nie wirklich umarmen konnte? Weil ich seit Jahren diesen Geruch von Alkohol in der Nase habe. Ich verstehe, dass du dein Leben leben wolltest, aber du hast so gelebt als hättest du keine Kinder.

Alle mussten nach deiner Pfeife tanzen. Wenn wir nur versuchten, eine eigene Meinung zu haben, wurde Gewalt angewendet. Ich habe Ängste davon bekommen, Alpträume, Panikattacken. Noch heute flattert mein Herz, wenn du anrufst – aus purer Angst.

Wir hatten nie ein Zuhause.

Ja, wir hatten ein Bett, Kleidung und Essen, aber nie ein Zuhause aus Geborgenheit, ein Zuhause aus Liebe. Egal, wo wir waren, ob bei dir oder bei den Großeltern, es war immer Gewalt im Spiel. Eine Mischung aus Alkohol, Gewalt, Missbrauch und der Abwesenheit von Liebe.

Aber ich glaube trotz allem an die Liebe, denn eine Person gab es, die mir gezeigt hat, dass es Liebe gibt: Meine Schwester. In dieser schrecklichen Zeit hatte ich sehr viel Glück, sie zu haben – und damit das Glück, Liebe zu erfahren, verstanden zu werden, mich festhalten zu können, wenn ich nicht mehr konnte vor lauter Angst. Diese Liebe war und ist meine Schwester für mich. Wir haben uns gegenseitig unterstützt, sonst wäre heute vielleicht eine von uns heute gar nicht mehr am Leben.

Verstehst du das, deine Kinder wollten lieber sterben, als mit dir den Tag zu verbringen.

Du hast natürlich versucht, mich gegen sie aufzubringen, aber das kannst du nicht, denn meine Schwester ist meine Lebensretterin. Sie ist meine beste Freundin, meine wahre Liebe. Das Band zwischen uns ist nie abgerissen. Unser Band dagegen ist schon vor vielen Jahren zerrissen, Mama. Bei jeder Auseinandersetzung, bei jedem Gewaltausbruch hast du es zerstört.

Bis heute hast du nie bereut, uns geschlagen, verletzt und misshandelt zu haben.

Du hast nie an uns geglaubt und nie Rücksicht genommen. Dass du viele Männer hattest, ist das eine, aber sie auf deine eigenen Kinder loszulassen, das andere. Du denkst, dass du alles richtig gemacht hast, aber das hast du nur in deiner Welt. Nicht in meiner, nicht in der meiner Schwester und auch in keiner anderen Welt.

All die Sicherheit, die ein Kind braucht, hast du mir genommen, einfach so. Nicht eine Sekunde hast du daran gedacht, wie es mir geht, sondern einfach nur so gehandelt, wie es für dich am bequemsten war. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne dich umzudrehen und einen Schritt auf dein Kind zu zumachen. Ich hatte immer das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, nie so zu sein, wie du es möchtest, nie vollständig zu sein.

Du hast dich immer darüber lustig gemacht, dass ich als Kind so viele Tagträume hatte.

Ja, es stimmt, ich habe tagsüber viel geträumt. Ich träumte, ich sei ein Vogel und könnte vor all dem Leid einfach wegfliegen, mich von allem lösen und glücklich und fröhlich sein. Nachts hatte ich dagegen die schlimmsten Alpträume.

Manchmal träumte ich von einer grausamen Hexe, die ans Fenster klopft, um mich zu holen. Und ich träumte jahrelang von einem Baby, das auf dem Wickeltisch liegt und schreit, als plötzlich zwei Hände versuchen, dem Schreien ein Ende zu setzen. Jedes Mal wachte ich weinend auf und habe mich all die Jahre gefragt, warum ich sowas träume.

Diese Alpträume waren auch der Grund, warum ich früher sicher war, dass ich keine Kinder bekommen möchte.

Ich hatte immer Angst, ich wäre diese Person, die versucht, das Baby zum Schweigen zu bringen. Doch ungefähr eine Minute nach der Geburt meines Kindes sah ich wieder dieses Bild vor mir und plötzlich wusste ich: Das Baby in meinen Träumen war ich selbst. Eine tiefe Gewissheit erfüllte mich.

Wie man so schön sagt: Kinder sind das Ebenbild ihrer Eltern.

Und ja, ich war dein Ebenbild, dein Ebenbild aus Gewalt, Hass und Traurigkeit. Aber du warst die Erwachsene und hattest die Möglichkeit, zu all dem Nein zu sagen. Nein, zu all dem, was schlecht ist. Es war dir völlig egal und das ist es heute noch.

Genau aus diesem Grund werde ich nicht bereuen, dass ich versucht habe, mich zu wehren und ganz sicher werde ich es nicht bereuen, dass ich gesagt habe, was ich fühle und was ich niemals bei dir gefühlt habe. Ich könnte ewig so weiterschreiben, nur habe ich für dich schon so viel Zeit verschwendet. Zu lange habe ich mich gequält und zu lange habe ich damit Zeit verbracht, es verstehen zu wollen.

Es fällt mir heute leicht, Lebewohl zu sagen.

Lebewohl zu dem zu sagen, was mir jahrelang Angst gemacht hat, mich gequält hat, mein Leben bestimmt hat. Das ist unsere Geschichte, Mama. Und jetzt wird unsere Geschichte enden, denn meine Zukunft ist mir wichtiger als meine Vergangenheit, meine Familie ist mir wichtiger als diese Ängste. Mein Leben ist mir wichtiger und deswegen muss ich dich loslassen.

Ich möchte mit dieser Angst und mit diesen Gefühlen nicht mehr weiterleben, die du bei mir auslöst. Ich muss für mich den Frieden finden und brauche deswegen eine endgültige Entscheidung. Ich bin es nicht nur mir schuldig, sondern auch dir.

Wir hatten manchmal auch schöne Zeiten, kleine Momente, aber die schlimmen Zeiten überwiegen.

Die schlechten Gefühle deswegen sind so furchtbar, so etwas soll mein Kind nie erleben müssen. Ich habe eine wundervolle Familie geschenkt bekommen, eine Familie, wie ich es mir immer erträumt habe. Einen tollen Mann an meiner Seite und meinen geliebten Sohn. Wir tragen so viel Liebe in uns, es ist absolut kein Platz für Zorn und Gewalt.

Wir geben uns gegenseitig ein Zuhause.

Deswegen wünsche ich dir heute nichts Schlechtes mehr, ich möchte nur meine absolute Ruhe finden, um noch weitere 50 Jahre meinen Sohn zu begleiten und ihm die Mama zu geben, die ich nie hatte. Die ich mir jeden Tag wünschte, aber aus irgendeinen Grund nie bekam.

Ich sage Lebewohl, Mama, habe ein schönes Leben.”


Liebe Patricia, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg. Am liebsten erkunde ich mit ihm die vielen grünen Ecken der Stadt. Auch wenn ich selbst keine Mama bin, gehören Babys und Kinder zu meinem Leben dazu. Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert und ich komme als „Tante Lena“ zum Einsatz. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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Rebell
Rebell
3 Monate zuvor

Ich sitze seit Monaten an dem Brief an meiner Mutter, aber ich bin wie gelähmt. Jedesmal, wenn ich erneut einen Versuch starte, fühlt es sich wie ein Sog an, der mich nach unten zieht. Gleichzeitig kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen, weil sooo viel passiert ist und ich mit meinem Adhs-Hirn komplett überfordert bin auf den Punkt zu kommen. Außerdem versuche ich möglichst sachlich zu bleiben, aber es kommt sofort diese Wut auf und ich höre sie jetzt schon sagen: „Wie kannst du nur? Wegen dir bekomme ich einen Herzinfarkt!“ Dein strukturierter Brief hat mir sehr als Krücke geholfen. Danke dafür und alles gute für dich und dein Seelenheil.

Regina
Regina
1 Jahr zuvor

Das ähnelt unglaublich meinen Kindheits- und Jugenderfahrungen. Nur musste ich über fünfzig Jahre alt werden, um zu begreifen, was da passiert ist und noch passiert. Welches Glück, dass ich meinem Sohn nicht eine solche Mutter war. Wir sind das Thema tatsächlich ausführlich zusammen durchgegangen, so sehr war ich durch den Wind in der Angst, ich könnte unbewusst auch so sein wie meine „Mutter“.