Wie soll ich als Einzelkind bloß Geschwister erziehen?

Als mein Sohn auf die Welt kam, war das Glück für mich perfekt. Unsere kleine Familie war komplett, mein Wunsch nach einem zweiten Kind erfüllt – und meine Tochter war endlich große Schwester. So lange hatte sie sich schon auf ihren kleinen Bruder gefreut. Meinen Bauch gestreichelt, eine Spieluhr davor gehalten und stolz für Fotos neben Mama posiert.

Ach, was habe ich mir das alles schön vorgestellt. Meine beiden, wie sie einträchtig miteinander spielen, kuscheln, zusammen Quatsch machen und glücklich sind, dass sie einander haben. Naja, dass es ab und zu Streit geben würde, hatte ich natürlich eingeplant 😉 Aber auf das, was mich dann erwartete, war ich einfach nicht vorbereitet. Der Alltag bringt mich oft an meine Grenzen. Manchmal sogar soweit, das sich mich frage: Kann ich als Einzelkind überhaupt Geschwister erziehen?

Ich selbst bin als Einzelkind aufgewachsen

Einer der Gründe, warum ich mir immer unbedingt (mindestens) zwei Kinder gewünscht habe, ist, dass ich selbst als Einzelkind aufgewachsen bin. Bitte versteht mich nicht falsch, ich hatte wirklich eine schöne und glückliche Kindheit mit den besten Eltern, die man sich vorstellen kann. Es hat mir an nichts gefehlt, und ich habe die Zeit sehr genossen. Und trotzdem habe ich meine Freund*innen manchmal beneidet. Denn die meisten hatten Geschwister.

Sie hatten immer jemanden zum Spielen, Quatsch machen und Zusammenhalten. Klar, manchmal hat es auch genervt, dass sie immer die kleine Schwester oder den kleinen Bruder mitnehmen mussten. Aber sie waren immerhin nie allein. Und ich habe oft nicht verstanden, warum sie sich darüber beschwert haben.

Plötzlich gab es ständig Streit und Eifersüchteleien

Als meine beiden noch ganz klein waren, lief es auch genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Große freute sich über ihren kleinen Bruder, war stolz wie Oskar und kuschelte gern mit ihm. Manchmal mussten wir sie bremsen, damit sie nicht zu wild mit dem Kleinen ist, aber im Großen und Ganzen lief es prima. Bis der Kleine größer wurde.

Plötzlich fingen die beiden an, sich ständig zu kabbeln. Erst wurde heimlich geknufft, gezwickt oder geschubst, wenn Mama nicht hingeschaut hat. Dann wurden die Zankereien mehr. Gefühlt gab es ständig nur noch Streit, Geschrei und Eifersüchteleien. Ich konnte mir nicht erklären, woher dieser Umschwung kam und hoffte inständig, dass es nur eine Phase war. Doch damit lag ich leider falsch (oder es ist eine seeehr lange Phase).

Die ständigen Streitereien machen mich kirre – und ratlos

Sie streiten sich immer noch, und das gefühlt den ganzen Tag. Morgens nach dem Aufstehen geht es los und endet erst abends, wenn das Licht ausgeht. Wer muss zuerst die Zähne putzen – und wer war beim letzten Mal dran? Wer sitzt beim Essen neben Mama? Wie viel Kakaopulver hat der/die andere in seiner Milch?

Sie kabbeln sich wirklich um jeden Pups. Wenn sie beim Kaffeekochen helfen möchten, beobachten sie mit Argusaugen, wer wie viele Löffel Kaffeepulver in den Filter tun darf. Dann gießt der andere das Wasser hinterher und schaltet die Maschine an – schon gibt es Geschrei, dass das jetzt ein Handgriff mehr war. Und Mama steht mehr als ratlos daneben.

Zusammen einkaufen? Eine Katastrophe. Zusammen Auto fahren? Nicht ohne Gezeter vom Rücksitz und den ein oder anderen Knuff in die Seite – bis Mama kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht. Das ständige Gezanke macht mich wirklich kirre. Und ratlos. Und manchmal auch ganz schön wütend. 

„Das ist unfair!“ – der Satz treibt mich an den Rand des Wahnsinns

Warum ist das Puzzle, Kuscheltier, Spielzeugauto… (ersetzt es gern durch ein beliebiges anderes Wort), das die letzten 8 Wochen in der Ecke lag, plötzlich genau dann das einzig Interessante, wenn es der kleine Bruder/die große Schwester in der Hand hat?

Ich glaube „Das ist unfair!“ ist wohl der Satz, den ich in den letzten Monaten am häufigsten gehört habe. Und der mich langsam oder sicher an den Rand des Wahnsinns treibt. Die ständigen Eifersüchteleien sind mir einfach so fremd, und ich kann sie mir auch nicht erklären. Denn ich gebe wirklich mein Bestes, um keinem von beiden das Gefühl zu geben, ich würde ihn bzw. sie benachteiligen. Warum es trotzdem nicht funktioniert? Ich habe keine Ahnung.

Ich musste mit niemandem teilen

Vielleicht fehlt mir als Einzelkind das Verständnis, weil es bei mir ganz anders war. Ich musste mit niemandem teilen. Weder mein Essen, noch mein Spielzeug und auch nicht die Aufmerksamkeit meiner Eltern. Dieses Gefühl, dass da noch jemand ist, der einem eventuell etwas streitig machen könnte, und gegen den man sich (offensichtlich) in einer Tour behaupten muss, kenne ich nicht.

Diese Erfahrung fehlt mir als Einzelkind einfach – und in meiner romantischen Vorstellung vom Geschwister-Sein kam sie definitiv auch nicht vor.

Warum können die Zwei sich nicht einfach vertragen?

Wenn ich meine beiden so sehe, und ihr Gezanke mich den letzten Nerv kostet, überkommen mich manchmal die Zweifel. Warum können sie sich nicht einfach vertragen? Warum sind sie nicht dankbar, dass sie einander haben? Dass immer jemand zum Spielen da ist?

Gleichzeitig spüre ich eine Unsicherheit in mir aufsteigen: Warum kann scheinbar nichts, was ich sage oder tue, sie dazu bringen, endlich mal friedlich zu sein? Sie überzeugen, dass niemand bevorzugt oder benachteiligt wird? Wie soll ich ihren Streit schlichten, ohne mich auf die ein oder andere Seite zu schlagen? Und wann sollte ich sie einfach streiten lassen, und wann muss ich eingreifen?

Natürlich ist mir klar, dass es normal ist, dass Geschwister „auch mal streiten“. Aber muss das „auch mal“ wirklich jeden Tag sein und das gefühlt von morgens bis abends? Oder mache ich als Einzelkind vielleicht grundsätzlich etwas falsch, weil mir diese Erfahrung einfach fehlt? 

Und plötzlich schmilzt mein Mamaherz

Und dann sind sie da, diese Momente. In denen meine Beiden nach all den Streitereien plötzlich einträchtig nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Die Große den Kleinen in den Arm nimmt und ihm etwas vorliest, oder sie zusammen ein Buch anschauen. Sie das Kinderzimmer in eine Höhle verwandeln und stundenlang friedlich und glücklich darin spielen.

Als der Weihnachtsmann da war, saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, plötzlich beide ganz ruhig. Die Große hat die Hand ihres kleinen Bruders genommen, und ihm ein Küsschen gegeben – und mein Mamaherz ist geschmolzen.

Aus dem Nichts verbünden sie sich plötzlich gegen Mama und Papa und sind plötzlich ein eingeschworenes Team, das nichts trennen kann. Und so anstrengend auch das für den Papa und mich sein kann – ich freue mich sehr darüber. Denn es zeigt mir, dass ich wohl doch nicht alles falsch mache. Dass die Streitereien vielleicht einfach dazugehören, auch wenn es schwer für mich ist, das zu verstehen.

Und dass es am Ende des Tages eben doch dieses Band unter Geschwistern gibt, das sie verbindet – und das habe ich mir für die beiden so sehr gewünscht.

Wiebke Tegtmeyer
Nordisch bei nature: Als echte Hamburger Deern ist und bleibt diese Stadt für mich die schönste der Welt. Hier lebe ich zusammen mit meinem Mann und unseren beiden Kindern. Nach meinem Bachelor in Medienkultur an der Uni Hamburg, einem Volontariat zur Online-Redakteurin und einigen Jahren Erfahrung als (SEO-)Texterin bin ich nach meiner zweiten Elternzeit bei Echte Mamas gelandet. Hier kann ich als SEO-Redakteurin meine Leidenschaft für Texte ausleben, und auch mein Herzensthema Social Media kommt nicht zu kurz. Dabei habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Ernährung von der Schwangerschaft über die Stillzeit bis hin zum Babybrei beschäftigt. Und wenn ihr auf der Suche nach einem Vornamen für euer Baby seid, kann ich euch garantiert passende Vorschläge liefern. Außerdem nutze ich die Bastel-Erfahrungen mit meinen beiden Kindern für einfache DIY-Anleitungen. Wenn der ganz normale Alltags-Wahnsinn als 2-fach Mama mich gerade mal nicht im Griff hat, fotografiere ich gern, gehe meiner Leidenschaft für Konzerte nach oder bin im Volksparkstadion zu finden.

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