„Abnehmspritze” soll bei Kinderwunsch helfen – ist da was dran?

Ich bin in den letzten Monaten immer wieder über Schlagzeilen zu sogenannten „Abnehmspritzen” gestolpert. Gemeint sind damit Präparate wie „Ozempic”, die für Menschen mit Diabetes schon länger genutzt werden.

Nun gibt es aber seit Längerem einen Hype um das Medikament, da es die Kilos purzeln lässt. Doch nicht nur das, auch beim Kinderwunsch sollen Ozempic und Co. Wunder bewirken. Ist da wissenschaftlich überhaupt etwas dran? Ich habe mit einer Expertin gesprochen, was es mit den Gerüchten rund um die Abnehmspritze auf sich hat.

Wie wirkt die Abnehmspritze überhaupt?

Ozempic ist ein sehr wirksames Medikament für Menschen mit schwer einstellbarem Diabetes Typ 2, die zusätzlich auch noch koronare Erkrankungen haben. Das Medikament bewirkt, dass das Gehirn ein Sättigungssignal aussendet. Die Lust zu essen sinkt. Außerdem befiehlt das Hirn dem Magen nach Einnahme des Medikamentes, das Essen länger im Magen zu behalten. Auch das führt zu einem längeren Sättigungsgefühl.

Deshalb verlieren Menschen, die Ozempic nehmen, bis zu 17 Prozent ihres Körpergewichts. Der Wirkstoff Semaglutid wirkt sich auch auf das Belohnungssystem aus: Die Lust auf Junkfood, also sehr fett- und kohlenhydratreiches Essen, nimmt ab.

Für Diabetiker ist das Medikament ein Segen: Selbst Diabetiker, die schon eine vollständige Insulinresistenz haben, können wieder eigenes Insulin herstellen und teilweise ganz auf das Spritzen von Insulin verzichten. Schwierig wird es nur, wenn man die Behandlung plötzlich abbricht.

Umso problematischer, dass Ozempic als „Abnehm-Produkt” im Netz verbreitet wird.

Denn seit der Wirkstoff Semaglutid auch zur Bekämpfung von Übergewicht zugelassen ist, ist die Nachfrage weltweit extrem gestiegen und der Hersteller kommt mit der Produktion nicht hinterher. Viele Menschen besorgen sich Ozempic zum Abnehmen auf eigene Kosten, mit Privatrezept, wie der NDR berichtet

Wir möchten davon abraten, denn Personen, die Ozempic als harmlose Abnehmspritze begreifen, gefährden sich möglicherweise selbst. Es kann erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Außerdem bringen sie Menschen in Gefahr, die aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankung dringend auf Ozempic angewiesen sind.

Die Abnehmspritze ist plötzlich auch in der Kinderwunsch-Community ein Thema.

Auf Tiktok finden sich unter dem Hashtag #ozempicbaby zahlreiche Erfahrungsberichte von Frauen, die behaupten nach der Anwendung endlich schwanger geworden zu sein. „Ich habe jahrelang versucht, schwanger zu werden und mit Ozempic hat es endlich geklappt”, sagt eine Frau in einem Video.

Doch Vorsicht: Nicht immer hatten es die Anwenderinnen darauf angelegt, schwanger zu werden. Einige von ihnen haben nach eigenen Angaben mit der Pille verhütet und waren nach der Anwendung einer Abnehmspritze schwanger geworden.

Expertencheck: Das sagt eine Gynäkologin dazu

Wir haben mit Dr. Urte Pauly, einer Hamburger Gynäkologin, über die Abnehmspritze gesprochen. Was ist dran am viralen Mythos zu den Ozempic-Babys? „Es ist bekannt, dass Übergewicht und ein unerfüllter Kinderwunsch in Zusammenhang stehen: der Eintritt einer Schwangerschaft ist aufgrund einer ungünstigen Hormonkonstellation mit Zyklusstörungen und meist einer Insulinresistenz unwahrscheinlicher und leider sind, wenn eine Schwangerschaft eingetreten ist, Fehlgeburten häufiger”, erklärt die Gynäkologin.

„Darum ist bei Kinderwunsch und Übergewicht prinzipiell eine Gewichtsreduktion angeraten. Die Chance, schwanger zu werden, erhöht sich nach Gewichtsreduktion, wenn die hormonelle Situation sich verbessert und regelrechte ovulatorische Zyklen stattfinden; ist es gelungen, eine bestehende Insulinresistenz günstig zu beeinflussen, erwarten wir einen günstigen Einfluss auf die Eizellqualität.”

Bei Kinderwunsch ist das Medikament aktuell nicht empfohlen!

Also sollten Frauen mit Kinderwunsch über den Einsatz einer Abnehmspritze nachdenken? Die Antwort darauf lautet aktuell (noch) nein. „Der Einsatz von Ozempic bei Frauen mit Übergewicht und Kinderwunsch ist möglich, wird eventuell im Vorfeld einer aktiven Kinderwunschbehandlung auch zunehmend an Bedeutung gewinnen, allerdings muss nach aktueller Empfehlung (Stand: November 2023) das Medikament mindestens zwei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft absetzt werden. Frauen mit Kinderwunsch wurden von den frühen klinischen Studien der Medikamente ausdrücklich ausgeschlossen.”

Wie kommt es zu den Ozempic-Fällen, bei denen Frauen trotz Pille schwanger werden?

Dr. Pauly gibt zu Bedenken, dass es schwierig ist, Aussagen zur Sicherheit von  verschiedenen Verhütungsmethoden bei übergewichtigen Frauen zu machen. „In Studien zur Untersuchung des Pearl-Index werden Frauen mit hohem BMI aufgrund ihrer Risiko-Kollektiv Konstellation ausgeschlossen.

Dennoch ist es aus medizinischer Sicht möglich, dass Ozempic die Wirkung der Pille beeinflusst: „Die Wirkung einer oralen Kontrazeption – also der Pille- kann durch medikamentöse Therapien zur Gewichtsreduktion (wie zum Beispiel mit Ozempic) die Verhütungssicherheit beeinträchtigen. Der Grund hierfür liegt wohl in der veränderten Verdauung durch das längere Verbleiben der aufgenommenen Nahrung im Magen.

Vielen Dank an unsere Expertin Dr. Urte Pauly!

Foto: Tine Acke

Dr. Urte Pauly ist schon lange auf dem Gebiet der Kinderwunschbehandlung und der gynäkologischen Endokrinologie tätig. In ihrer Praxis behandelt sie privatärztlich Patientinnen und Paare: Frau-Mann, Frau-Frau, Frau allein im aktuellen Kinderwunsch mit Samenspende oder im sogenannten „social freezing“ mit Konservierung der eigenen Eizellen für einen späteren Kinderwunsch.

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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