Wie es ist, um ein Kind zu trauern und wieder Mutter zu werden

„Ich glaube nicht, dass sie das jemals getragen hat“, sagte Myra Sack zu ihrem Mann Matt. Das Paar befand sich im Zimmer ihrer verstorbenen Tochter Havi und sortierte Kleidung aus. Die trauernde Mama hat ihre berührende Geschichte zwischen Trauer, Hoffnung und Liebe für Today.com aufgeschrieben.

Sie saß mit ihrem Mann im Kinderzimmer ihres verstorbenen Kindes und räumte es leer – für ein neues Kind, ihren kleinen Sohn. Denn Myra ist in der 39. SSW und bereitete sich darauf vor, ein drittes Baby in ihrem Leben Willkommen zu heißen, während sie ihr erstes Kind viel zu früh loslassen musste. Was könnte ein besseres Symbol für diesen Prozess sein, als das Ausräumen und Umdekorieren des Kinderzimmers?

Das Vorbereiten des Zimmers für den neuen kleinen Bewohner wirbelt bei den Eltern Erinnerungen und Emotionen auf.

Als Myra danach die Treppe heruntergeht, um Beutel voller Kleidung wegzubringen, in die Havi nie hineinwachsen durfte, bemerkt sie einen kleinen Aufkleber an ihrer Socke.

„In der Nacht zuvor hatte ich auf meinen Zehenspitzen gestanden und dutzende glitzernde Aufkleber von der Wand in Havis Schlafzimmer gepult. Ich beobachtete, wie Matt sich nach denen an der Decke streckte, dann hinüber zu dem großen Aufkleber mit dem Baum, der über Havis Bettchen hing, und weiter zum Streifenhörnchen, das direkt über ihrem Wickeltisch klebte. Schniefen. Pulen. Schniefen. Pulen. Eine Sticker-Collage aus Erinnerungen und zerbrochenen Hoffnungen und Träumen. Mir war nicht klar, wie schmerzhaft es sein würde, sie alle physisch zu entfernen.”

„An ihrem ersten Geburtstag waren wir noch hoffnungsvoll und waren noch nicht an diesem tiefsten, dunkelsten Ort in unseren Köpfen und Herzen angelangt. Wir konnten uns nicht vorstellen, sie zu verlieren. Aber wir machten uns bereits Sorgen um ihre Entwicklung. Aus diesem Grund beschloss Havis brillanter Vater, ihren Raum mit kräftigen Farben und einladenden Bildern zu beleben; wir hofften, dass sie das zum Brabbeln oder Krabbeln anregen würde.”

Manchmal kommt es Myra rückblickend so vor, als hätten sie geahnt, dass die Zeit mit ihrer kleinen Tochter begrenzt war.

„Vielleicht ist es bei allen Neu-Eltern so, aber unser Stolz und unsere Liebe zu unserer Tochter waren überwältigend. Im Nachhinein frage ich mich manchmal, ob uns etwas dazu gebracht hat, sie besonders doll zu lieben. Denn im Laufe der Monate entstanden an diesem einen Ort in meinem Kopf, wo die größten Ängste wohnen, Sorgen um Havis Entwicklungsfortschritte.”

Irgendwann werden die Sorgen der Eltern so groß, dass sie einen Spezialisten aufsuchen. Die kleine Havi ist zu diesem Zeitpunkt ein Jahr alt, sie kann kaum krabbeln und spricht nicht. Es steht schnell fest, was dem Kleinkind fehlt: Havi leidet an der Tay-Sachs-Krankheit.

Kinder mit der Tay-Sachs-Krankheit verpassen ab dem 6. Lebensmonat wichtige Entwicklungsschritte und leiden an progressiver intellektueller Behinderung, das heißt, sie verschlimmert sich im Laufe des Lebens des Kindes. Die Krankheit endet innerhalb weniger Jahre tödlich, es gibt keine Behandlungsmöglichkeiten.

Als sie die Diagnose erhielten, brach für die Familie eine Welt zusammen:

„Ein Film lief vor meinem inneren Auge ab, der eine Zukunft zeigte, die wir nie erleben würden. Wir würden Havis erste Schritte nie sehen. Sie nie Mama oder Papa sagen hören. Ihr niemals zusehen, wie sie auf einem Spielplatz spielt, Freunde findet oder in den Schulbus steigt. Wir würden ihr niemals bei den Hausaufgaben helfen oder sie zu Fußballspielen oder zum Tanzunterricht mitnehmen… die Liste war endlos.”

Auch im Globe Magazin spricht ihre Mama öffentlich über ihren Umgang mit der Krankheit und der schrecklichen Prognose. Und der ist anders, als viele von einer Familie in einer solchen Situation erwarten würden.

Denn Matt und Myra beschließen, dass sie alles tun wollen, um die verbleibende Zeit mit ihrem Kind so schön wie möglich zu machen.

Sie finden die unvorstellbare Kraft, um jeden einzelnen Tag mit Havi zu genießen. „Drei Tage nachdem wir erfahren hatten, dass Havi noch etwa ein Jahr zu leben hatte, feierten wir. Ihre Tanten, Onkel, Großeltern und liebe Freunde kam zu Havis Fest. Sie alle wussten instinktiv, dass da zu sein, das Beste war, was sie tun konnten.”

Die kleine Havi wird mit Geschenken überschüttet und genießt jede Sekunde der kleinen Party zu ihren Ehren. „Wir mussten unseren Schmerz nicht mit falschem Lächeln kaschieren, noch mussten wir uns vor ehrlicher Freude und Lachen verstecken, die aus den tiefsten, schmerzhaftesten Stellen kommen können. In dieser Nacht verließ Havi nie die Arme oder den Schoß von jemandem, der sie liebte.”

Damit entstand eine Tradition, an der die kleine Familie festhielt, egal wo sie gerade war.

Fortan feierten sie jeden Freitag Havis Existenz, auch wenn nicht alle Menschen, die ihnen begegneten damit einverstanden waren. Über ein Jahr lang leben Myra und Matt im Moment, versuchen jedes Lachen ihrer Tochter auszukosten. Innerhalb des letzten Jahres mit Havi wird Myra erneut schwanger und Havis kleine Schwester Kaia macht sich auf den Weg zu ihnen. Während die kleine Kaia ihren Platz auf dieser Welt einnimmt, verabschiedet ihre große Schwester sich.

„An Havis 57. Feier, dem 15. Januar 2021, erlebten wir einen atemberaubenden Sonnenaufgang. Wir nutzten die warme Sonne, um mit ihr spazieren zu gehen. Havi hatte vor zwei Tagen aufgehört zu essen. Wir konnten sehen, dass sie bereit war für das, was als Nächstes kommen würde. Ich war es natürlich nicht. Wie könnte ich es sein? Aber es war mir so wichtig, mich nach ihr zu richten, dass ich einfach versuchte, an den Momenten festzuhalten, die ihr noch zu geben blieben.”

Am Abend feiert Havi zum letzten Mal mit all ihren Liebsten.

Wieder sind Familienmitglieder und die engsten Freunde zusammengekommen, um bei Havi zu sein und ihr Liebe zu schenken. Nur wenige Tage später, am darauffolgenden Mittwoch, tat das kleine Mädchen seinen letzten Atemzug. In ihrem Zuhause, in den Armen ihrer Eltern.

„Wir haben unsere erstgeborene Tochter Havi Lev Goldstein am 20. Januar 2021 verloren. Zwei Jahre, vier Monate und sechzehn Tage, nachdem sie mir im Kreißsaal des Brigham and Women’s Hospital in Boston auf die Brust gelegt wurde.”

Die Zeit danach ist eine Zeit der Trauer, in der es trotzdem schöne Momente gibt.

„Wir haben Hunderte von Fotos im ganzen Haus aufgehängt. Wir haben ihr Zimmer in einen Zufluchtsort verwandelt, der uns weiterhin Kraft und Energie gibt. Jeden Abend stoßen wir auf sie an: „Auf Havi!“ Kaia ist jetzt fast zwei Jahre alt, hebt ihre Schnabeltasse und sagt Havis Namen mit uns, bevor wir essen.”

Myra ist inzwischen zum dritten Mal schwanger, dieses Mal wird es ein kleiner Junge. Ein Bruder für Havi und Kaia. Mit der kleinen Kaia spricht Myra viel über die Ankunft des kleinen Geschwisterchens, die Zweijährige ist voller Vorfreude. Doch auch mit der verstorbenen Tochter spricht die Mama oft im Stillen.

Das Ausräumen des Zimmer ist für die Eltern ein großer Schritt und Myra spricht in Gedanken zu ihrer Ältesten:

„Havi, ich weiß, dass du verstehst, warum dein kleiner Bruder in dein Zimmer zieht. Wir haben uns bemüht, einen Weg zu finden, es dir zu überlassen – wir haben sogar einen Architekten beauftragt, ein zusätzliches Schlafzimmer für deinen kleinen Bruder im Obergeschoss zu entwerfen. Am Ende entschieden Dad und ich jedoch, dass es einen besseren Weg gibt, deinen Platz zu Hause zu bewahren. Wir verlegen dein Zimmer nach unten und schaffen dort einen friedlichen Ort für dich.”

Myra denkt an die erste Zeit mit ihrem ersten Baby zurück. Sie fragt sich, wie es sein wird, wenn sie im Zimmer der verstorbenen Schwester bald wieder ein Kind stillen wird. Sie empfindet Trauer, aber auch Dankbarkeit. „Havi, du warst immer so geduldig mit mir, als ich lernte, eine Mutter zu sein.”

Dann kommt der kleine Ezra zur Welt.

„Wie ist es also, ein neues Wesen in der Familie willkommen zu heißen, nachdem man den Verlust eines Kindes erlebt hat? Unbeschreiblich kostbar und hart. Es gibt nichts Wunderbareres als den Beginn eines neuen Lebens. Und gleichzeitig waren so viele Momente in diesen ersten Tagen und Wochen ständige Erinnerungen an Havis Abwesenheit. Manchmal scheint es unmöglich, dass Freude und Angst nebeneinander existieren, doch für uns muss es so sein.”

In Myra und Matts Herzen wird jedes ihrer drei Kinder den gleichen Platz einnehmen, egal ob sie greifbar sind oder in einer anderen Welt leben. Die Liebe für ihre Kinder ist endlos, auch wenn sie eines von ihnen viel zu früh gehen lassen mussten.

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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