Zähne weißer, Narben weg: Schulfotograf retuschiert Kinder-Bilder

Ehrlich gesagt, habe ich mir noch nie Gedanken über dieses Thema gemacht, bis ich bei parents.de darüber gestolpert bin: Offenbar ist unter (amerikanischen) Eltern ein Streit darüber entbrannt, ob man die Schulfotos von Kindern retuschieren sollte. Narben weg, Pickel weg, Sommersprossen weg. Stattdessen weißere Zähne und perfekte Haut. Der Gedanke alle Eigenheiten zu eliminieren, kommt mir erstmal seltsam vor. Wollen wir unseren Kindern nicht gerade beibringen, sich mit all ihren vermeidlichen Makeln anzunehmen?

Per Mausklick hübscher?

Auch Jennifer aus Maryland fand es befremdlich, dass sie dem Foto-Unternehmen 12 Dollar zahlen sollte, um die Fotos ihrer 12-jährigen Tochter anzuhübschen. „Ich war schockiert“, sagte Jennifer. „Ich bin total dagegen, die Fotos von Kindern zu retuschieren. Wir bringen ihnen damit nur bei, dass sie die ganze Zeit perfekt aussehen sollen und sich jeder ,Makel‘ mit einem Mausklick beseitigen lässt.“

Sie ärgerte sich so sehr, dass sie diese Praktiken bei Twitter anprangerte.

Einige Eltern – inklusive mir – stimmen ihr zu. Wieder andere widersprachen. Eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn von einer Katze gekratzt wurde, bevor in der Schule Fotos gemacht wurden. Nun sei der Junge jedes Mal beschämt, sich auf den Bildern zu sehen. „Ich wünschte, wir hätten eine Wahl gehabt.“

„Lasst meinem Kind sein Gesicht“

Ich gebe zu, dass ich solche Spuren auf Fotos sogar ganz charmant findet. Zwar kaufe ich die Schulfotos immer pflichtschuldig, erkenne meinen Sohn auf den steifen Aufnahmen aber gar nicht richtig. Niemals würde mir der Gedanke kommen, sein Gesicht auf Bildern glattzubügeln und ihm so die Lebendigkeit zu nehmen. Allerdings sind sowohl er als auch wir insgesamt sowieso eher schmerzbefreit, was die Optik angeht. Doch egal, wie man selbst dazu steht: In jedem Fall ärgerlich ist es, wenn die Bilder direkt ohne Einwilligung der Eltern verändert werden. Eine Mutter vermisste so ganz unerwartet die Sommersprossen ihrer Tochter.

„Verändert keine Dinge, die einfach zum Gesicht des Kindes gehören“, schrieb sie. Ich finde, sie hat Recht. Im Grunde haben die Fotoleute nämlich dreist über das Aussehen ihrer Tochter geurteilt, indem sie entschieden, dass deren Gesicht ohne Sommersprossen ansehnlicher wäre.

Wie war das nochmal mit der Bodypositivity?

Ich fand mich früher immer auf allen Fotos doof. Wenn ich sie jetzt ansehe – unverfälscht, weil zumindest teilweise noch analog aufgenommen – kann ich das nicht mehr begreifen. Ich freue mich, „echte“ Erinnerungen zu haben. Sie alle erzählen Geschichten: Der kleine Sonnenbrand, nachdem ich blöderweise an einem kanarischen Strand eingeschlafen bin; die Narbe zwischen den Brauen, nachdem ich mich als Kind mit einer Heizung angelegt hatte; die Sommersprossen, die zur Jahresmitte hin immer mehr wurden. Ich fände es schade, wenn wir alle aussehen, wie die Gesichter auf  Fernsehzeitschriften, wo man Kate Winslet nicht von Julia Roberts unterscheiden kann.

Klar bearbeite ich auch Bilder, helle hier eine zu dunkle Aufnahme auf oder gönne mir dort einmal einen Farbfilter. Aber ich greife nicht in die Beschaffenheit von Körpern und Gesichtern ein. Wie soll mein Sohn lernen, dass sein Wert nicht ans Aussehen gekoppelt ist, wenn ich es so offensichtlich für notwendig halte, daran herumzupfuschen? Dabei wünschen wir uns doch für unsere Kinder, dass sie all ihre liebenswerten Eigenheiten so betrachten wie wir sie sehen: mit Zuneigung und noch mehr Gelassenheit. Abfeiern müssen sie ihr Aussehen schließlich auch nicht, gibt doch echt Wichtigeres!

Jana Stieler

Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger „Berge“ (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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