Wie ich einmal aus Verzweiflung in den Pausenbrot-Streik trat

Wenn ich mir einen Film aussuchen könnte, den ich live und in Farbe durchleben dürfte, dann wäre das vielleicht irgendeine schöne Liebesschnulze oder ein richtig spannender Actionfilm.

Aber ganz sicher nicht „Und täglich grüßt das Murmeltier” – und schon gar nicht in der Brotdosen-Special-Edition.

Leider sah mein Leben lange Zeit genau so aus, als meine Tochter zur Grundschule ging.

Denn jeden Abend fischte ich ihre Brotdose aus dem Ranzen – und jeden Abend fand ich den gesamten Inhalt vollkommen unangetastet an derselben Stelle wieder vor.

Anfangs glaubte ich noch an einen Zufall, aber irgendwann zogen die Wochen ins Land, ohne dass sich an dieser allabendlichen Wiederholung irgendwas änderte.

Meistens fehlte das Obst. Immerhin. Und stets versicherte mir meine Tochter mit treuherzigem Blick, es läge nicht an den Inhalten, und dann versprach sie, morgen aber bestimmt was zu essen.

Ich hörte mich selbst Sätze sagen wie:  „Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages” oder „Mit leerem Magen lernt es sich schlecht” – und klang wie meine eigene Mutter. Sowieso erinnerte mich die ganze Posse stark an meine Kindheit.

Kulinarisch gesehen waren die Brotdosen-Inhalte zu meiner Schulzeit leider ungenießbar – sorry, Mama.

Meine Mutter kannte nämlich nur zwei Brotbeläge: Butterbrot mit verschwitzter Salami oder daumendick Leberwurst. Manchmal zwängte ich sie mir rein, aber meistens ernährte ich mich tagsüber von den Milch- und Kakao-Tütchen, die es am Schulstand zu kaufen gab und die wenigstens ein bisschen sättigten. Abends gab’s dann Ärger von Mama, dem ich mit der Bitte um etwas mehr Abwechslung begegnete – leider ohne Erfolg. Mama blieb ein großer Salami-Leberwurst-Fan.

Ich wollte das selbst als Mutter alles ganz anders und natürlich viel besser machen.

Und ganz ehrlich: Verglichen mit meinen Erfahrungen lebte meine Tochter seit ihrem Schulbeginn bei mir im Pausenbrot-Himmel.

Was habe ich in den Monaten vor meiner Brotdosen-Eskalation für einen Zirkus veranstaltet, um ihr den Konsum der Inhalte näherzubringen:

  • Natürlich durfte sie jeden Morgen mitentscheiden, was in der Brotdose landete.
  • Natürlich gab es stets eine große Auswahl an verschiedenem Schnittobst und -gemüse, an Joghurtvariationen, Smoothies, Mini-Sandwiches, Mini-Pancakes und und und…
  • Natürlich zog ich andere Mütter zurate, deren Kinder offenbar (im Gegensatz zu meinem) stets begierig über ihr Frühstück herfielen.
  • Und natürlich beugte auch ich mich irgendwann dem allgemeinen Bento-Druck und schnitt Vollkorn-Toast in sonstwas für aberwitzige Figuren und Formen, sortierte die Brotdosen-Inhalte nach Farbe und machte ein verdammtes Kunstwerk daraus.

Kurz gesagt: jedes 5-Sterne-Hotel-Frühstücksbuffet wäre beim Anblick der Brotdosen-Inhalte meiner Tochter vor Neid erblasst.

Trotzdem blieb der Erfolg aus. Trotzdem grüßten mich jeden Abend fröhlich dieselben Snacks, denen ich morgens schon in weiser Voraussicht „Auf Wiedersehen!” gesagt hatte.

Und so trat ich eines Tages aus purer Verzweiflung unangekündigt in den Pausenbrot-Streik.

Ich hatte es satt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, da ich ihre Pausensnacks immer selbst zum Abendbrot aß, wie es sich für jede aufopferungsvolle Mutter gehört. Ich war fest entschlossen, aus diesem Zeitschleifen-Karussell auszusteigen.

Ihr einfach nur nichts mitzugeben, wäre mir aber zu simpel gewesen.

Also packte ich ihr eine Woche lang eine leere Brotdose mit „liebevollen” Botschaften in den Ranzen.

Angefangen bei

„Hier könnte dein Pausenbrot sein, WENN DU ES ESSEN WÜRDEST”

über

„Na, hungrig?”

bis hin zu

„Deine Freundinnen geben dir sicher gern was ab”.

Im Nachhinein betrachtet war das natürlich keine pädagogische Glanzleistung, aber ich bin auch nur ein Mensch und hatte das Bedürfnis, meinem mütterlichen Frust Ausdruck zu verleihen.

Keine Reaktion seitens meiner Tochter. Nicht mal ein Wimpernzucken. Es ließ sie völlig kalt.

Mehr noch: sie schien es nicht mal großartig zu bemerken, dass irgendwas fehlte.

Also ging ich nahtlos in Phase 2 meines Pausenbrot-Streiks über, kapitulierte vollends und mottete sämtliche Brotdosen entnervt im Keller ein. Sie wurden ja ohnehin nicht mehr gebraucht.

Fein!

Ich versuchte, es positiv zu sehen: Die gewonnene Zeit am Morgen konnte ich prima für mich selbst nutzen.

Aber dann erwies sich meine Tochter als der Endgegner schlechthin und tat etwas, womit ich niemals gerechnet hätte.

Sie holte eine ihrer Brotdosen heimlich wieder hervor, packte mir ganz liebevoll ein Frühstück ein und stellte sie mir morgens mit einem „Mama”-Zettel versehen neben den Kühlschrank. Darin fand ich neben allerlei leckeren Sachen einen kleinen Brief, in dem stand:

„Es tut mir leid, Mama. Ich vermisse mein Frühstück sehr. Bitte gib mir wieder was mit. Ich hab dich lieb.”

Dann erzählte sie mir, dass sie selbst morgens meistens wenig Appetit hätte, aber ihrer Freundin gern regelmäßig was abgäbe, die mochte das Obst so gern. Leider sei die Freundin meistens ganz schön hungrig, deren Eltern hätten nicht so viel. Wie schön es doch wäre, ihr weiterhin was abgeben zu können.

Die volle Breitseite.

Was soll ich sagen – bis zum heutigen Tag bin ich demütig wieder festes Mitglied im Volle-Brotdosen-Club und schnibbele mit Hingabe Apfelschnitze – in der Gewissheit, dass jeder einzelne davon seinen Sinn hat, selbst dann, wenn sie abends braun geworden wieder zu mir zurückkehren.

Und in der Gewissheit, dass mein Kind sich genauso gut mittags oder abends zu Hause sattessen kann. Und in der Gewissheit, dass wir unfassbar privilegiert sind, und dass ich mich nie wieder so anstellen werde.

Übrigens ist „Und täglich grüßt das Murmeltier” ein sehr lustiger Film.


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Ilona Utzig
Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser. Bei Echte Mamas bin ich Senior SEO-Redakteurin. Meine journalistische Ausbildung abolvierte ich bei Hamburger Jahreszeitenverlag, um anschließend Skandinavistik, Politikwissenschaft und Germanistik zu studieren. Nach langen Jahren als Finanz-Redakteurin liegen mir heute noch die Themen Vorsorge, Vereinbarkeit und Care-Arbeit am Herzen.

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Aki
Aki
1 Jahr zuvor

Meine Kinder nehmen ein Stück Obst mit , Frühstück Zuhause und Mittagessen reichen…

Nathalie
Nathalie
1 Jahr zuvor

Die Geschichte ist sehr rührend und man fühlt definitiv mit 😅

Mein Sohn ist 5 und Essen ist bei uns ein Thema für sich, vor allem wenn es gesundes geben soll. Ich war zur Anfangzeit der Kita sehr engagiert und begeistert, hatte mir richtig Gedanken gemacht und wollte auch für mehr Auswahl beim Frühstück sorgen. Bananen und Äpfel gehen immer, die werden auch gegessen, aber kleine Naschereien sind in der Kita verboten und alles was süß ist hat leider nichts auf den Broten zu suchen und so wurde das langweilige Frühstück zum Stressthema, denn trotz Verbote gibt es Freunde mit Nutellabrote und Frust, sowie die Langeweile und Ablehnung von Gemüse oder anderem Obst, da es ja nicht unbedingt alles mitgegeben werden darf. Versucht da mal die essensmuffel zu motivieren etwas zu essen, wenn Käse und kinderwurst bis Leberwurst etc aus den Ohren raushängen.

Ich hoffe sehr, es wird in der Grundschule besser. Hier ist wesentlich mehr Freiheit für das Gestalten einer richtigen Bentobox und für Ganztagszeiten wird dann für die Kinder extra gekocht und gemeinschaftlich gegessen.

Ich fühle mit euch Mamis mit und drücke euch die Daumen, aber seht es entspannt. Wie oft haben wir Brote mit Freunden getauscht oder dem Freund etwas abgegeben, der nichts dabei hatte? Unsere Krümel werden diese oder ähnliche Anekdoten an unsere künftigen Enkel weiter geben und vielleicht haben wir dann etwas zu lachen 🤗❤️

Single-Papa Benjamin
Single-Papa Benjamin
1 Jahr zuvor

Schön zu hören dass ich nicht allein mit diesem „Problem“ bin. Alles Gute und viel Erfolg damit in der Zukunft.

Andrea
Andrea
1 Jahr zuvor

Ich kenne das Problem ebenfalls und prima wie du damit umgehst. LG andrea

Sarah
Sarah
1 Jahr zuvor

Volle Brotdose – ein Alarm Zeichen:

Ich packe auch nach den fünf Bento Kategorien; Fisch/Fleisch, Obst, Gemüse, Milchprodukt und Getreideprodukt. Meist dann noch eine kleine Süßigkeit. In der Kita war die Brotdose mit ähnlichem Inhalt fast immer leer. Während Wachstunsschüben ganz. Frisch eingeschult erwartete ich das nicht. Schließlich ist alles neu, ungewohnt und der Fokus liegt ganz wo anders. Aber nach einigen Wochen aß meine Tochter plötzlich gar nichts mehr aus der Brotdose obwohl sie gerne und viel isst und ein großer Gemüse und Obst Fan ist, wovon ich am meisten einpacke. Wie herauskam, lag daran dass sie gemobbt wurde und sich verweigerte. Seit wir dieses Problem gelöst haben, funktioniert auch das Essen wieder besser.

Ich selbst kann mich an eine Zeit als Schulkind erinnern, in der ich die Brotzeit wegschmiss, weil ich meine Mutter nicht enttäuschen und mir die regelmäßige Konfrontation ersparen wollte, wieso ich es nicht gegessen habe. Ich aß nichts, weil ich mich lieber bewegte oder mit den anderen Kindern spielte. Meine Mutter hat es irgendwann rausgefunden, weil ich sie auf Nachfrage nicht anlügen wollte/konnte. Ist schon auffällig wenn sie jeden Tag ratzeputz leer ist. Ab da spielte und bewegte ich mich nicht mehr in der Pause. Zwang mir die Brotzeit meistens rein und schmiss sie nicht mehr weg.

Mein Fazit: Immer mit den Kindern reden. Damit kommt viel ans Licht. Nicht alle Kinder haben vormittags Hunger insbesondere wenn sie vor der Schule frühstücken. Meine Tochter hat so einen schlechten Kreislauf, dass sie vor der Schule essen muss. Bewegung ist mindestens genauso wichtig, wenn morgens, mittags und abends genug gegessen wird. Die Kinder machen das auch nicht, weil sie ihre Eltern ärgern wollen oder das Essen nicht schätzen. Einfach kein Essen mehr zu packen finde ich zu radikal. In diesem Fall hat es vieles ans Licht gebracht. Ich denke ein oder mehr Gespräche hätten es vielleicht auch sanfter gelöst.

Last edited 1 Jahr zuvor by Sarah
Andrea
Andrea
1 Jahr zuvor

Uff
Was für eine Achterbahn der Gefühle.
Zuerst zustimmendes Nicken, kichern, Lachen…

Und jetzt kullern mir die Tränen übers Gesicht.

Sehr guter Schluß 💖 wir sollten dankbar und achtsam sein, für das, was wir haben!