„Wie es wirklich ist, in einem Messie-Haushalt aufzuwachsen.”

„Ich bin Michaela und 29 Jahre alt. Seit ein paar Wochen sprechen mein Mann und ich über eigene Kinder, weshalb ich an meine Kindheit zurückdenken muss. Die war leider alles andere als schön.

Ich habe jahrelang in einem Messie-Haushalt gelebt.

Messies sind Menschen, die Dinge sammeln und anhäufen, bis sie selbst kaum noch Platz zum Leben haben. Die meisten haben schon mal von einem besonders krassen Fall gehört, wissen aber gar nicht, dass das Ausdruck einer ernsthaften psychischen Erkrankung ist. So war es auch bei uns.

Schon als ich noch ganz klein war, ist mir aufgefallen, dass meine Mama nicht so für mich da sein kann, wie ich es als Kind gebraucht hätte. Manchmal fand ich sie weinend im Bett und versuchte unbeholfen, sie zu trösten. Sie hatte zwar auch gute Phasen, aber die Depression holte sie immer wieder ein. Mein Vater war geschäftlich viel unterwegs, richtig schlimm wurde es, als meine Eltern sich trennten.

Damals war ich neun Jahre alt.

Schon vorher machte meine Mutter nur das Nötigste. Wir hatten unglaublich viele alte CDs, Bücher, leere Kartons und ungeöffnete Briefe, die überall herumlagen. Doch als meine Eltern noch zusammenlebten, raffte sie sich immerhin dann auf, wenn mein Vater von seinen Geschäftsreisen zurückkam. Dann wurde geputzt und der Kühlschrank aufgefüllt.

Nach der Trennung erreichte das Chaos ein völlig neues Level. Es war, als hätte meine Mutter jeden Halt verloren, sie hatte quasi nur noch schlechte Phasen und wollte nicht mehr vor die Tür gehen. Sie fing an, Müll zu sammeln und konnte sich von nichts mehr trennen.

Es sammelten sich so viele Dinge an, dass auf dem Fußboden nur noch ein schmaler Gang frei blieb, überall lagen Verpackungen und Tüten. In den Zimmerecken stapelten sich irgendwann alte Joghurtbecher und leere Marmeladengläser, in denen Käfer und Maden herumkrochen.

Ich versuchte mich irgendwie mit dem Dreck zu arrangieren.

Immerhin waren Bad und Kinderzimmer noch einigermaßen in Ordnung. Wenn ich versuchte, etwas aufzuräumen oder Platz zu schaffen, reagierte meine Mutter richtig panisch. Sie schrie mich an, wollte nicht, dass irgendwas verändert wird. Wenn sie schlief versuchte ich, etwas Müll zur Seite zu schaffen, um die Gänge freizuhalten. Die vollen Müllsäcke stelle ich ins Wohnzimmer, das bald nicht mehr begehbar war.

Ich fühlte mich hilflos, wusste nicht, wie ich das Chaos bewältigen, wo ich anfangen sollte. Ich traute mich nicht, Freundinnen zu uns einzuladen und wurde in der Schule von anderen Kindern geärgert. Ich hatte oft schmutzige Klamotten an, war ungewaschen.

Irgendwann fiel mein verwahrloster Zustand auch den Lehrern auf.

Meine Klassenlehrerin wollte meine Mutter sprechen und ich wusste nicht, was ich sagen soll. Als meine Mutter dauerhaft nicht erreichbar war, kam das Jugendamt. Sie riefen meinen Vater an, der mich abholte und zu sich nahm. Er war geschockt, wie es mittlerweile bei uns aussah. Keiner hat was geahnt, weil meine Mutter niemanden mehr reingelassen hatte.

Sie bekam psychologische Hilfe, zog schließlich in eine betreute Wohneinrichtung und ich durfte sie regelmäßig besuchen. Ich blieb bei meinem Vater und seiner neuen Freundin. Dort hatte ich anfangs erhebliche Schwierigkeiten: Ich hatte nicht gelernt, Ordnung zu halten und warf Müll einfach in eine Zimmerecke. Ich wusste nicht, dass man dreckiges Geschirr in die Spülmaschine stellt und dass man nicht wochenlang die gleiche Kleidung trägt.

Woran ich mich aus dieser Zeit besonders gut erinnere, ist meine Scham.

Ich schämte mich vor den anderen Kindern, die mich komisch fanden und über mich lachten und ich schämte mich vor den Erwachsenen, die mich mitleidig anschauten. Trotzdem schaffte ich es, meinen Schulabschluss zu machen, begann eine Ausbildung und zog in eine andere Stadt. Doch obwohl ich alles hinter mir lassen wollte, hat meine Messie-Kindheit mich sehr geprägt.

Ich bin zwanghaft ordentlich und kann es nicht ertragen, wenn nicht alles perfekt geputzt ist. Es fällt mir schwer, Menschen zu uns einzuladen, ich habe Angst, dass andere schlecht von mir denken könnten. Deswegen bemühe ich mich gerade um einen Therapieplatz, denn ich möchte meine Probleme lösen, bevor ich selbst Mutter werde.”


Liebe Michaela, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg. Am liebsten erkunde ich mit ihm die vielen grünen Ecken der Stadt. Auch wenn ich selbst keine Mama bin, gehören Babys und Kinder zu meinem Leben dazu. Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert und ich komme als „Tante Lena“ zum Einsatz. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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Jessica
Jessica
9 Monate zuvor

Omg….ich habe mich gerade total in deiner Geschichte wiedererkannt!Bei mir und meiner Schwester es leider genau so…Nur das wie bei ihr bleiben mussten und als meine Schwester 16 war ist sie dann ausgezogen und ich war nur noch bei ihr. Ich habe auch genau das selbe Problem das ich ungerne Menschen in unserer Wohnung habe . Ich habe ständig das Gefühl es wäre nicht sauber oder ordentlich genug! Danke das ich jetzt nicht mehr alleine damit fühle!