Ungarn: Vor der Abtreibung müssen Frauen die Baby-Herztöne hören

Gerade erst wurden in vielen  Bundesstaaten der USA die Abtreibungsgesetze verschärft, nun wird auch Frauen in Ungarn der Schwangerschaftsabbruch erschwert. Manchmal macht es mir Angst, wie schnell Konservative in Sachen Frauenrechte eine Rolle rückwärts erzwingen können.

„Hör mal, wie das Herzchen wummert“

Eine Beratungspflicht bestand – ähnlich wie in Deutschland – in Ungarn auch schon vorher. Danach darf dort eine Frau bis zur 12. Woche abtreiben, wenn eine Krisensituation vorliegt. Nun brauchen Betroffene aber außerdem eine Bescheinigung, dass ihnen „die Faktoren, die auf das Vorliegen der Lebensfunktionen des Embryos hinweisen, auf eindeutige Weise zur Kenntnis gebracht wurden“.

Der Beamtensprech übersetzt: Schwangere müssen sich vor einem Abbruch zum Beispiel die Herztöne als recht eindeutigen Lebensbeweise anhören.

Vielleicht gibt es sie ja wirklich – Frauen, die eine Abtreibung nur als eine weitere Verhütungsmethode betrachten und einfach mal so ganz lässig das lästige Etwas im Bauch „wegmachen“ lassen. Aber meistens wird eine solche Entscheidung von einer Frau in Not und aus tiefergehenden Gründen getroffen. Da hat es schon etwas von seelischer Grausamkeit, die Schwangere noch einmal ausgiebig mit den „Lebensfunktionen“ des Embryos im Bauch zu konfrontieren. Die Idee dazu kam übrigens der rechtsextreme Partei Mi Hazánk, die aktuell mit im Parlament sitzt.

Recht auf Leben vs. Recht auf Selbstbestimmung

Im nicht weit entfernten Polen  ist es mittlerweile nahezu unmöglich, legal einen Abbruch vornehmen zu lassen. Seit 2020 gelten nicht einmal mehr schwere Fehlbildungen des Fötus als zulässiger Grund. Erlaubt ist der Abbruch dort nur nach einer Vergewaltigung, Inzest, oder wenn das Leben  der Mutter in Gefahr ist.

Nicht einmal letzteres wird von allen Ärzten akzeptiert. Im vergangenen Jahr starb dort eine Frau an einem septischen Schock. Zuvor hatte man ihr trotz medizinischer Gründe eine Abtreibung verwehrt. Und gerade drohen – ebenfalls in Polen – einer Aktivistin drei Jahre Haft, weil sie eine Schwangeren mit der Abtreibungspille versorgte. Die Betroffene hatte einen gewalttätigen Mann, der sie zu einer Austragung zwingen wollte.

Wenn das Recht auf Leben und das Recht auf Selbstbestimmung aufeinanderprallen, gibt es keine einfachen Entscheidungen. Ich habe selbst zwiespältige Gefühle dazu – und bin zugleich verdammt dankbar, dass ich nie in eine Situation gekommen bin, in der ich eine solche Entscheidung treffen musste. Denn das kann unter bestimmten Umständen jeder von uns passieren.

Wieso gibt es nur noch Extreme?

Die Kluft zwischen den Lagern  „Pro-Life“ und „Pro Choice“ ist tief. Ersteres scheinen sogar noch eine vergewaltigte 13-Jährigen zur Austragung zwingen zu wollen. Gleichzeitig unterstellen seine Vertreter dem „Pro Choice“-Lager gerne, gewissen- und grundlos noch bereits voll entwickelte Babys töten zu wollen (was Quatsch ist). Dazwischen scheint es kaum Abstufungen, aber jede Menge „Hate“ zu geben. Aber ist es echt so simpel?

Ich selbst würde mich bei „Pro-Choice“ eingruppieren. Das Werbeverbot gehört für mich unbedingt gekippt und die Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Doch ich weiß, dass es einigen Mitstreiter*innen sauer aufstoßen würde, dass ich aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt für die Abschaffung der Beratungspflicht bin. Die besteht hierzulande immer noch, wenn es keine medizinischen oder kriminologischen Gründe für einen Abbruch gibt.

Manchmal kommt es eben später doch zu Reue und Selbstzweifeln – dann hilft es Betroffenen vielleicht, die Entscheidung so bewusst wie nur möglich getroffen zu haben. Und manchmal wird eine Abtreibung dann eben doch nicht vorgenommen. Zum Beispiel, weil einer Betroffenen zur Entscheidung für das Kind nur etwas Unterstützung fehlte – emotional oder finanziell – von der sie bis dahin nicht wusste, dass sie ihr zusteht.

Aber geht es überhaupt um das Recht des ungeborenen Kindes?

Ich befürworte die Beratungspflicht allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie schnell und leicht zugänglich ist und wertneutral bleibt. Das ist leider nicht immer der Fall. Manchmal kann es auf wenige Tage ankommen, bevor die Zwölf-Wochen-Frist ausläuft, manchmal drängen persönlichen Ansichten der Beraterin in eine bestimmte Richtung. Da sollte sich dringend etwas ändern, sonst erhöht sich der Druck auf eine Frau in einer Notlage eventuell enorm.

Doch egal, wie man zu dem Thema steht: Mir kommt es so vor, als ginge es bei den neuen Verboten und Einschränkungen ohnehin gar nicht um das ungeborene Leben. Die radikalsten „Pro Life“-Vertreter sind gar nicht für das Baby, das dann womöglich schwer krank oder unter anderen miesen Bedingungen auf die Welt kommt. Sie sind eigentlich gegen die Freiheitsrechte der Frauen. Klammert sich da etwa jemand verzweifelt an veraltete Strukturen? Dann besteht ja vielleicht die Hoffnung, dass es sich um die letzten Zuckungen eines veralteten Systems handelt.

Jana Stieler
Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger "Berge" (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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