Mein Vater und meine Mutter teilten sich die Elternzeit ab meiner Geburt 50/50 auf. So war es normal für mich, dass mein Papa mit mir in die Krabbelgruppe oder zum Arzt ging und für mich kochte. Ihn vormittags ganz für mich zu haben, während meine Mutter und Schwester außer Haus waren, fand ich richtig gut. Am liebsten galoppierte ich dann auf seinem Rücken sitzend durch die Wohnung. „Hü pielen“, nannte ich das.
Erst später bekam ich mit, dass Nachbar*innen und Bekannte ihm vorwarfen „Weiberarbeit“ zu machen und bemerkte, dass die meisten Väter meiner Freund*innen immer auf der Arbeit waren.
Wie progressiv sich meine Eltern damals verhielten, wird mir erst jetzt vollends bewusst. Knappe dreißig Jahre später spricht zwar keiner der Männer in meinem Umfeld mehr von „Weiberarbeit“, wenn es um die Erziehung von Kindern oder die Haushaltsführung geht. Trotzdem nehmen die meisten von ihnen nur einen oder maximal zwei Monate Elternzeit. Weil sie „eben mehr verdienen“, kurz vor einer Beförderung stehen oder befürchten, dass eine längere Auszeit ihrer Karriere schaden könnte. Die Haus- und Sorgearbeit wird heutzutage nicht mehr prinzipiell abgelehnt, sondern subtil ignoriert: Viele Väter „sehen es einfach nicht“, wenn das Klo dreckig ist oder die Küche mal durchgesaugt werden müsste. Sie wollen darum gebeten werden eine Waschmaschine anzuschmeißen oder den Tisch abzuräumen. Der Freund von einer Bekannten bezahlt lieber eine Reinigungskraft, statt selbst den Putzplan einzuhalten. An den Wochenenden möchte er nach einer langen Arbeitswoche ausschlafen, während die Mutter mit den zwei kleinen Kindern um 6 Uhr morgens aufstehen soll.
Diese Privilegien und die damit einhergehende Mehrbelastung der Partnerinnen werden von vielen Männern – über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg – auch im Jahre 2022 noch als selbstverständlich wahrgenommen.
Natürlich bin ich in meinem Bekanntenkreis nicht der einzige Vater, der für sein Kind da ist und putzen kann. Eine Bekannte von mir ist schon zwei Monate nach der Geburt ihres Kindes wieder Vollzeit arbeiten gegangen, während ihr Freund ein Jahr lang zu Hause geblieben ist. Der Mann einer Kollegin freut sich darüber, mal acht Monate lang nicht im Baumarkt arbeiten zu müssen. Er backt, kocht und putzt nämlich viel lieber.
Dennoch bekommen wir alle häufig dasselbe zu hören, wenn wir uns auf dem Spielplatz mit Müttern unterhalten. Diese Reaktionen deuten darauf hin, dass wir eher die Ausnahme als die Regel sind: „Das finde ich ja toll, dass du so viel Elternzeit genommen hast!“, „Du bist ja total fortschrittlich!“, „Da hat deine Freundin aber den Jackpot geknackt!“, „Du machst später einen Braten? Mein Mann weiß nicht mal, wie man Nudeln mit Tomatensauce kocht.“
Warum ich mich über solche „Komplimente“ nicht freuen kann, liegt auch in einer weiteren Schieflage begründet:
Väter scheinen heutzutage nichts falsch machen zu können.
Wenn sie arbeiten gehen, versorgen sie ihre Familie. Wenn sie – wie ich – zu Hause bleiben, gelten sie als fortschrittlich. Aber wenn eine Frau zu Hause bleibt, ist sie altmodisch. Wenn sie arbeiten geht, vernachlässigt sie ihr Kind. Wenn ich mich mit meinem Sohn in der Öffentlichkeit bewege, bekomme ich ständig signalisiert, wie toll ich das alles mache.
Meine Freundinnen werden eher darauf hingewiesen, was sie alles „falsch“ machen:
„Ist es nicht zu kalt, um mit dem Kind Fahrrad zu fahren?“, „Wenn Sie Ihren Spatz so hochheben, ist das schlecht für die Schultergelenke!“, „Jetzt weint er – seien Sie doch nicht so ungeduldig mit ihm!“
Mütter scheinen alles „richtig machen“ zu müssen, während von Vätern erstmal nur erwartet wird, dass sie ihre Kinder nicht aus Versehen umbringen. Alles Weitere zählt als Bonus.
„ Ja, Väter bringen sich mehr in Erziehung und Sorgearbeit ein als früher. Ja, sie nehmen häufiger und länger Elternzeit. Ja, die Benutzung eines Staubsaugers dürfte den meisten von ihnen vertraut sein. Ja, viele gehen empathisch auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ein. Und doch sind es vor allem Frauen, die nach einer Trennung alleinerziehend sind und in die Armutsfalle geraten. Mütter schultern weiterhin zu einem Großteil den „Mental Load“, also die Organisationsarbeit, die mit dem Großziehen von Kindern einhergeht. Es sind ihre beruflichen Karrieren, die durch Kinder häufig ins Stocken geraten. Sie leiden am meisten unter den Idealvorstellungen, die mit einer glorifizierten Mutterrolle einhergehen. Die konstante Überlastung hat negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Nur wer diese Ungerechtigkeiten anerkennt und zumindest in der eigenen Familie beseitigt, ist für mich ein guter Vater.
Tobias Wilhelm, geboren 1988 in Wiesbaden, studierte Drehbuch und Dramaturgie an der Filmuniversität Babelsberg. Er lebt mit seinem Pflegekind in Berlin. Von ihm ist das Buch „Sowas wie dein Papa“.
Über das Buch: Was macht eigentlich einen guten Vater aus?
Ein junger Mann hat sich als potentieller Pflegevater beim Jugendamt beworben. Dann zieht von einem Tag auf den anderen das lebhafte Kleinkind Noah bei ihm ein.
Vom unerfüllten Kinderwunsch, über bürokratische Belange und das Einleben in den neuen Familienalltag – warm und authentisch erzählt Tobias Wilhelm von den Gefühlen und Unwägbarkeiten im Leben eines alleinerziehenden Pflegevaters, das sich am Ende doch kaum von dem eines „ganz normalen“ Vaters unterscheidet.
Tobias zu seinem Buch: „Ich bin selbst Pflegevater, doch dieses Buch ist keine Autobiographie. Die geschilderten Begebenheiten wurden mir von anderen Pflegeeltern oder Sozialarbeiter*innen berichtet, der Fachliteratur entnommen, teilweise sind sie mir selbst vertraut. Die Geschichte, die ich erzähle, ist wie ein Puzzle aus verschiedenen Erfahrungswerten zusammengesetzt. Der Antrieb für das Buch ist, eine größere Aufmerksamkeit für dieses Thema und die damit einhergehenden Schicksale zu schaffen.“