Ob ein Kind ein Mädchen oder ein Junge wird, erscheint vielen von uns wie das große Zufallsspiel des Lebens. Doch eine neue Studie des renommierten Weizmann Institute of Science in Israel, veröffentlicht im Fachjournal Science Advances, zeigt: Möglicherweise ist es doch nicht nur Zufall, ob du eine kleine Tochter oder einen kleinen Sohn bekommst.
Entscheidende Phase: Direkt nach der Befruchtung
Die Studie beleuchtet eine entscheidende Phase, die oft übersehen wird: die Tage direkt nach der Befruchtung. In dieser Zeit ist noch unklar, ob sich überhaupt eine Schwangerschaft entwickeln wird – denn der Embryo muss sich erst erfolgreich in der Gebärmutterschleimhaut einnisten.
Das Forscher*innenteam entdeckte, dass die Gebärmutterschleimhaut offenbar das Geschlecht des Embryos erkennen kann – und dass sie darauf unterschiedlich reagiert. Die Daten zeigen, dass weibliche Embryonen in dieser sensiblen Phase statistisch häufiger „abgewiesen“ werden als männliche.
Warum werden weibliche Embryonen kritischer geprüft?
Ein möglicher Grund, den die Forschenden anführen: Weibliche Embryonen teilen sich in den ersten Tagen nach der Befruchtung schneller – sie wachsen zügiger und könnten damit höhere Anforderungen an die Gebärmutterschleimhaut stellen. Der Körper der Frau scheint diese Embryonen kritischer zu „prüfen“.
Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass weltweit leicht mehr Jungen als Mädchen zur Welt kommen – ein Phänomen, das sich in vielen Ländern unabhängig von kulturellen oder sozialen Einflüssen beobachten lässt.
Spielt das Alter der Mutter eine Rolle?
Hier ist die Studienlage nicht ganz eindeutig: In großen Datenanalysen aus Industrieländern zeigte sich kein konsistenter Effekt des mütterlichen Alters auf die Wahrscheinlichkeit eines Jungen oder Mädchens. Das kannst du zum Beispiel in der Studie „The relationship between maternal age and fetal sex ratio” nachlesen, die im Fachjournal Fertility and Sterility veröffentlicht wurde.
Aber es gibt auch solche Studien, die einen Zusammenhang festgestellt haben, wie zum Beispiel die Sex ratio and maternal age in a natural fertility, subsistence population: Daughters, sons, daughters, 2019 in American Journal of Human Biology veröffentlicht. Sie zeigte: Die Forschenden analysierten über 900 Geburten in einer ländlichen Bevölkerung in Guatemala, die ohne moderne Verhütung lebt. Sie stellten fest: Frauen unter 25 bekamen häufiger Mädchen, bei 31-Jährigen lag der Anteil der Jungen mit ca. 55 % am höchsten.
Danach sank die Wahrscheinlichkeit wieder – ältere Mütter bekamen häufiger wieder Mädchen. Dieser nicht-lineare Effekt zeigt, dass das Alter der Mutter tatsächlich mit dem Geschlecht des Babys zusammenhängen kann – allerdings nur in einem bestimmten kulturellen und biologischen Kontext.
Beeinflusst das Geschlecht der Geschwister das nächste Baby?
Parallel dazu zeigen Forschungen, u. a. von der Harvard T.H. Chan School of Public Health, dass Familien, die bereits mehrere Kinder des gleichen Geschlechts haben, statistisch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, erneut ein Kind dieses Geschlechts zu bekommen, wie sich im Fachmagazin Nature nachlesen lässt.
In Daten zu 146.000 Schwangerschaften zeigte sich: Frauen, die erst jenseits der Altersgrenze von etwa 28 Jahren mit dem Kinderkriegen beginnen, hatten häufiger Kinder desselben Geschlechts wie ihre Geschwister – zum Beispiel insgesamt mehr Jungen oder mehr Mädchen in der Familie .
Konkret bedeutet das: Familien mit bereits drei Mädchen hatten 58 % Wahrscheinlichkeit, ein viertes Mädchen zu bekommen, bei drei Jungen lag diese Chance bei 61 %
Können wir auf das Geschlecht Einfluss nehmen?
Obwohl es viele Mythen rund um das Wunschgeschlecht gibt – vom richtigen Zeitpunkt beim Sex bis hin zu Ernährungstricks – fehlt jeder wissenschaftliche Beleg für solche Methoden. Auch die neue Studie des Weizmann Institute of Science in Israel zeigt nicht, dass wir bewusst Einfluss auf das Geschlecht nehmen können. Vielmehr reagieren Körper und Gebärmutterschleimhaut unbewusst – aber hochdifferenziert – auf winzige Signale, die vom Embryo ausgehen.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für Eltern mit Kinderwunsch?
Die neue Forschung macht deutlich: Ob ein Mädchen oder ein Junge entsteht, hängt nicht allein vom Zufall oder den Genen ab. Unser Körper ist ein aktiver Teil dieses Entscheidungsprozesses – auf eine Weise, die wir erst nach und nach zu verstehen beginnen.
Und während wir keinen Einfluss auf das Geschlecht eines Kindes haben, sind unsere Gefühle dazu völlig legitim. Es ist ein Tabuthema, sich ein bestimmtes Geschlecht zu wünschen. Trotzdem haben viele eine Präferenz. Das sagt aber nichts über die spätere Liebe zum Kind aus.
Denn egal welches Geschlecht ein Kind hat – jede Schwangerschaft ist ein einzigartiges Wunder.