Nachgefragt: Zögern Kinderärzte wirklich, Kinder gegen Corona zu impfen?

Stimmt es, dass viele Kinderärzt*innen sich nicht an einer Corona-Impfkampagne für Kinder beteiligen wollen?

Viele Eltern sind verunsichert, was das Thema Corona-Impfung bei Kindern betrifft. Schlagzeilen wie „Nur wenige Kinderärzte in Hamburg wollen gegen Corona impfen” machen es ihnen nicht leichter, sich für eine Impfung ihrer Kinder zu entscheiden. Schließlich muss es ja einen Grund für die Zurückhaltung der Arztpraxen geben, oder?

„Die Frage war nicht, ob wir impfen möchten!”

Wir haben bei einer Hamburger Kinderärztin nachgefragt, was wirklich hinter solchen Aussagen steckt. Dafür sprechen wir mit Frau Dr. Annette Lingenauber, sie ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in Hamburg. Sie stellt klar: „Die Frage war nicht, ob wir impfen möchten!” Diese Aussage verwundert zunächst, denn Hamburgs Sozialsenatorin gab gegenüber dem NDR an, dass auf Anfrage nur ein Viertel aller Kinderärzt*innen bereit war, Kinder gegen Corona zu impfen.

Lingenauber erklärt: „Die Aussage der Hamburger Sozialsenatorin ist leider gründlich missverstanden worden. Die Anfrage, wie viele Impfstoffe wir bestellen möchten, erreichte die Praxen nur zwei Tage nach der EMA Zulassung, noch lange vor einer STIKO Empfehlung, auch vor Entscheidungen, ob wir ein Kinderimpfzentrum planen.”

Weil eine erneute Impfstoffbestellung bereits am 7.12. möglich gewesen sei, sei es nachvollziehbar, dass einige Kollegen zunächst noch abgewartet hätten.

Hohe Belastung für das Personal in den Praxen

Die Hamburger Kinderärztin ergänzt, dass die Belastung der Kinderarztpraxen momentan extrem hoch ist: „Neben den 1. und 2. Impfungen der Jugendlichen, der Testung der in der Schule positiv getesteten Kinder und der im Winter vollen Infektsprechstunde läuft ja auch die Routineversorgung mit Vorsorgeuntersuchungen und Grundimpfungen weiter. Die Belastung für das gesamte Praxispersonal ist seit Monaten immens hoch, die Impfung der Altersgruppe 5-11 kommt jetzt noch hinzu.

Darin liege der eigentliche Grund, dass der Berufsverband der Hamburger Kinderärzte mit Vertretern der Kliniken und der Stadt zusammengeschaltet habe, um Impfstellen außerhalb der Praxen zu schaffen. „Die Beratungen sind noch nicht komplett abgeschlossen. Es ist aber geplant, eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, in der durch Kinderärzte geimpft wird.”

Wie gehen Kinderärzt*innen mit der Empfehlung der Stiko um?

Die aktuelle Empfehlung der STIKO sieht so aus, dass die Impfung vorerst nur für vorerkrankte Kinder, also Risikopatienten, empfohlen wird. Dürfen Kinderärzte eigentlich auch ohne die ausdrückliche STIKO-Empfehlung Kinder ab 5 Jahren impfen? Schließlich gibt es viele Mamas, die Angst um ihre (gesunden) Kinder haben und diese lieber schon gestern als erst morgen geimpft hätten.

Auch darauf hat Dr. Lingenauber eine klare Antwort: „Die Empfehlungen der STIKO sind so ausgefallen, wie wir es erwartet haben – also zunächst die Impfung chronisch kranker Kinder und von Kindern, die in Familien mit Risikopatienten leben. Wir dürfen aber auch darüber hinaus Kinder impfen, nach ausführlicher Aufklärung der Eltern. Nachteile durch diese Impfung abweichend von den STIKO Empfehlungen müssen wir nicht befürchten.

„Primär sollten alle ungeimpften Erwachsenen von der Impfung überzeugt werden.”

Aber macht es in den Augen der Kinderärztin wirklich Sinn, jüngere Kinder gegen das Coronavirus zu impfen? Oder ist das Risiko eines gesunden Kindes so gering, dass die Impfung (theoretisch) die größere gesundheitliche Belastung darstellt?

„Die Coronainfektion verläuft bei gesunden Kindern in aller Regel milde. Einen Schutz vor einem schweren Verlauf werden wir also nur extrem selten erreichen.” Die Impfung der Kinder sei eher wichtig, um zur Herdenimmunität beizutragen. „Dafür sollten aber primär alle bisher ungeimpften Erwachsenen überzeugt werden, denn sie sind die Patienten, die eventuell ein Intensivbett benötigen.

Allerdings bringt die Impfung auch den Kindern selbst einen Vorteil: „Sie schafft ihnen, die im bisherigen Verlauf der Pandemie viele Einschränkungen und Belastungen hinnehmen mussten, wieder einen freieren Alltag.

Kinderärztin Frau Dr. Lingenauber

Die Hamburger Kinderärztin Frau Dr. Lingenauber

Hamburger Kinderärztin würde ihr Kind gegen Corona impfen lassen

Anfang Dezember erregte eine Aussage des Stiko-Chefs Thomas Mertens Aufsehen, der angab, dass er, wegen fehlender Daten, sein Kind nicht impfen lassen würde. Deswegen stellen wir diese Frage Frau Dr. Lingenauber, die eine direkte Antwort für uns hat: „Die Impfung scheint nach den bisher vorliegenden Daten keine größere Gefahr als die Erkrankung darzustellen. Würde ich mein Kind impfen lassen? Ja, aus dem Grund der Erleichterung des Alltages.”

Einerseits ist es nachvollziehbar, dass die STIKO nicht vorschnell sein möchte. Andererseits halten viele dagegen, dass es ja beispielsweise aus den USA schon reichlich Daten und Infos über geimpfte Kinder gibt und gab. Viele Eltern fragen sich deswegen, wieso die STIKO für ihre Entscheidung auf deutsche Erfahrungen und Studien wartet.

Zurückhaltung der Stiko hat einfachen Grund

Kinderärztin Dr. Lingenauber erklärt: „In den USA und Israel sind schon sehr viele Kinder geimpft. Bisher sind keine Berichte über schwerwiegende Komplikationen veröffentlicht. Allerdings hat dies auch beim Astra Zeneca Impfstoff eine Weile gedauert, bis der Zusammenhang der Sinusvenenthrombose und der Impfung eindeutig nachgewiesen war. Die STIKO bewertet den Schutz des Individuums als Grundlage ihrer Empfehlungen.”

Da die Infektion mit dem Coronavirus bei Kindern nur in Ausnahmefällen kompliziert verlaufe, müsse eine sehr gute Datenlage bestehen, um die Impfung generell zu empfehlen. Daher ist die Zurückhaltung der STIKO für die Kinderärztin im Moment noch nachvollziehbar.

Wir bedanken uns herzlich bei Frau Dr. Lingenauber, die spontan für ein Gespräch zur Verfügung stand und uns unsere Fragen beantwortet hat. 

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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