„Mein Sohn sagte mir, dass er sich umbringen will“

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Dieser Text thematisiert Suizidgedanken. Er behandelt also Inhalte, die einige Menschen beunruhigend oder verstörend finden könnten.


„Ich bin alleinerziehende Mama eines Zwölfjährigen und möchte hier unsere Geschichte erzählen, weil ich hoffe, dass mir das gegen meine Schuldgefühle hilft.

Als Mama wünsche ich mir nur das Beste für meinen Sohn, er ist mein einziges Kind und bedeutet mir die Welt. Ich trennte mich kurz vor seinem ersten Geburtstag vom Kindsvater und seitdem haben wir nie wieder was von ihm gehört. Nach einer kurzen Phase der Wut konnte ich eigentlich ganz gut damit abschließen. Mein Sohn entwickelte sich gut, nach seinem Vater fragt er eigentlich kaum. Allerdings ist mein Kleiner ein sehr introvertiertes Kind und es ist manchmal schwer zu sagen, was so in ihm vorgeht.

Trotzdem hat er ein paar gute Freunde, ist kein Außenseiter oder sowas.

Ich habe immer gedacht, dass er sich ganz ‚normal‘ entwickelt, dass er ‚normal‘ glücklich ist und ich es spüren würde, wenn es ihm nicht gut geht. Leider musste ich auf die harte Tour lernen, dass wir nie wissen können, was wirklich in anderen Menschen vorgeht, auch nicht in den eigenen Kindern.

‚Mama, ich will nicht mehr leben‘, das sind die sechs Worte, die meine ganze Welt zum Einsturz brachten. Es war im März 2020, die Schulen waren zum ersten Mal wegen Corona geschlossen und alle redeten plötzlich nur noch von dem neuen Virus. Ich glaube, vielen Menschen ging es in dieser Zeit nicht gut, auch ich machte mir Sorgen um die Zukunft.

Schon seit ein paar Monaten war mir aufgefallen, dass mein Sohn immer stiller wurde.

Er verbrachte viel Zeit in seinem Zimmer, zockte am Laptop und hatte nur noch schlechte Laune. Ehrlich gesagt habe ich dem aber keine große Bedeutung beigemessen, ich dachte einfach, dass er so langsam in die Pubertät kommt. Bis zu jenem Abend im März.

Ich klopfte bei ihm an, um Gute Nacht zu sagen und zu meiner großen Überraschung saß er nicht am PC, sondern lag auf seinem Bett und starrte die Decke an. Ich fragte ihn, ob alles in Ordnung sei und bekam keine richtige Antwort. Einem Impuls folgend setzte ich mich trotzdem zu ihm aufs Bett. Ich nahm seine Hand und sagte ihm, dass ich ihn über alles lieben würde und er immer mit mir reden könnte. Plötzlich sah er mir direkt in die Augen: ‚Mama, ich will nicht mehr leben.‘

Ich war völlig geschockt, wusste einfach nicht, wie ich reagieren soll.

Innerlich sagte ich mir wieder und wieder, dass mein Sohn das wahrscheinlich nur so dahin gesagt hätte, dass er die Bedeutung seiner Worte nicht begreife. Also versuchte ich möglichst gefasst nachzuhaken. Dann strömte es plötzlich nur so aus ihm heraus. Mein geliebtes Kind erzählte mir unter Tränen, dass er keine Sinn im Leben sähe. Alles fühle sich schwer und anstrengend an, er könne keinerlei Freude empfinden und sein Leben sei eine Last: ‚Es ist besser, wenn ich nicht mehr lebe. Ich will mich umbringen.‘

In dem Moment wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Mein größter Wunsch war es immer, dass mein Kind glücklich ist und jetzt war es so unglücklich, dass es nicht mehr leben wollte. Schuldgefühle überfluteten mich und ich hatte sofort den Gedanken, dass ich als Mutter komplett versagt habe. Wir weinten beide und lagen uns in den Armen. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, aber zweifelte keine Sekunde daran, dass ich diese Aussagen meines Sohnes ernst nehmen muss.

In der Nacht schlief ich bei ihm im Zimmer, ich war die meiste Zeit wach und starrte ihn an.

Als ich sein schlafendes Gesicht sah, dass noch immer so rein und kindlich wirkte, brach es mir fast das Herz. Am nächsten Morgen rief ich beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst an. Ich schilderte die Situation und die freundlichen Mitarbeiter vermittelten uns einen kurzfristigen Notfalltermin bei einem Kinderpsychologen.

Bis heute ist mein Sohn in Behandlung, er sagt, es geht ihm besser. Ich habe auch das Gefühl, dass das stimmt. Er nimmt Antidepressiva und ich achte sehr darauf, dass ich mir viel Zeit für ihn nehme und keinen Druck auf ihn ausübe. Vom Psychologen weiß ich inzwischen, dass mein Sohn sich vom Leben überfordert fühlt und daraus große Versagensängste entstehen.

Die Schuldgefühle begleiten mich weiterhin. Wieso habe ich nicht gemerkt, was mit meinem Sohn los war? Was habe ich falsch gemacht? Aber gleichzeitig bin ich dankbar, dass er sich mir irgendwann anvertraut hat. Ich möchte nicht daran denken, was sonst passiert wäre.“


Vielen Dank, liebe Mama, dass du uns deine Geschichte erzählt hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, berührend, spannend oder mutmachend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected].

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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Melanie
Melanie
2 Jahre zuvor

Hallo,

das könnte von mir kommen, nur das ich eine 13jährige Tochter haben, diese Aussage von ihr im Oktober 2020 kam und sie nach ambulanter und stationärer Therapie (schlechteste Entscheidung je, da sie sich doch geritzt hat) 😔und nun in der Tagesklinik ist.

Ich kenne die Schuldgefühle und Ängste zu gut. Auch wenn mir ihr Therapeut immer wieder versucht, diese zu nehmen, sind sie da.

Dir und deinem Sohn wünsche ich viel Kraft und dauerhaften Erfolg bei der Behandlung. 🍀🍀🍀🍀

Dietma
Dietma
2 Jahre zuvor

Muss es gleich Psychopharmaka geben??? Schrecklich …. Gibt auch pflanzliche Unterstützung…. Sorry

Jenny
Jenny
2 Jahre zuvor

Oh das ist so Herz zerreißen… Weil es uns so wieder spiegelt. Genau so eine Situation haben wir durchlebt, meine Tochter hat auch einen Versuch fast hinter sich gebracht. Man ist so hilflos, verletzt traurig, wütend und unheimlich enttäuscht nicht gefühlt zu haben was in seinem Kind so wirklich vor sich geht. Wir hatten einem harte Zeit vor uns…. Ich sage nie mehr das alles gut ist aber ich sage es gibt gute Und schlechte Tage und eine gute offene Kommunikation mit auch über die schrecklichen Gedanken im Kopf meiner Tochter sind sehr wichtig. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute ❤️

Alex
Alex
2 Jahre zuvor

…habe ich schon mehrfach meiner Mutter gesagt.
Das war falsch.
Bin auch angbl. vaterlos aufgewachsen, da ist das typisch.
Bin jetzt erwachsen und arm, aber gesund- wie das Kind in der Geschichte
In Bayern kommt man dann sofort in die Geschlossene und nicht mehr hinaus, wenn man nett ist und gute Manieren hat.
Ist als Warnung zu verstehen.
Das Thema Suizid ist hier extrem unterbbelichtet und wird immer totgeschwiegen- nachher vertuscht.
Das geht auch besser: in den USA sagt man: be the voice to prevent suicide:
darüber reden!
Bilde mir nicht ein, dass man mir das glaubt…passt aber nun einmal zum Thema!
Alles Gute mit dem Kinde!
Grüße
Alex

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„Meine Mama hat mich gerettet, als ich sterben wollte.”
2 Jahre zuvor

[…] habe hier den Text einer Mutter gelesen, deren Kind Selbstmordgedanken hatte. Beim Lesen habe ich meine eigenen Gedanken als Kind wiedererkannt. Deswegen möchte ich euch […]

Doro
Doro
3 Jahre zuvor

Liebe Mama,

Dein Sohn hat Dir etwas eigentlich unaussprechliches anvertraut, Du hast ihm Glauben geschenkt und begleitest ihn aktiv in dieser unfassbar schweren Phase.

Du hast alles richtig gemacht und bist ein unglaubliches Vorbild für Eltern von psychisch kranken Kindern. Und Du bist nicht allein.