Mama kann Multitasking? Das ist kein Talent, sondern ein Fluch

Für das eine Kind am Telefon einen Arzttermin vereinbaren, mit der freien Hand die Wäsche in die Maschine stopfen und dem anderen Kind mit einem Nicken die Richtung anzeigen, in der seine Gummistiefel stehen? Kein Problem, für eine echte Mama… gähn. Moment! Wirklich kein Problem? Nur weil wir uns an einen übervollen Alltag gewöhnt haben, heißt nicht, dass es uns wirklich gut damit geht. 

Langsam brennen wir aus

Während der diversen Corona-Lockdowns klagten viele Mamas (aber auch Papas) über ihre chronische Erschöpfung – und bekamen kaum mehr zu hören, als: „Jammert doch nicht soviel!“ Im Homeoffice kann man doch wohl seine Kinder betreuen? Und das bisschen Homeschooling… In Wahrheit brach hier ein System zusammen, dass schon vor der Pandemie kurz vorm Kollabieren stand.

Auch ohne Homeschooling und/oder Kleinkindbetreuung im Homeoffice waren viele Eltern längst am Rande ihrer Belastbarkeit. Vor allem die Mamas. Die bringen eben durchschnittlich doch immer noch 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit auf. Das geht nicht ohne Multitasking. Oft wird das als Mama-Talent gepriesen. Man hat sogar schon von Chefs und Chefinnen gehört, die nichts dagegen haben, Mütter einzustellen – weil die gewohnt seien, gleichzeitig mit mehreren Bällen zu jonglieren. Das ist natürlich besser, als Mütter bewusst NICHT einzustellen, allerdings nicht viel…

Stress auszuhalten, mag auf den ersten Blick wie ein tolles Talent wirken. Das heißt aber nicht, dass er nicht an uns nagt, bis er uns nach und nach aushöhlt – mitunter so langsam, dass wir es erst zu spät merken. Den Wäscheberg für diesen Tag abgearbeitet zu haben, befreit nur kurz. Der Mental-Load-Berg ist in dieser Zeit längst weitergewachsen. Und schon rotieren wir wieder. Die strukturellen Probleme drumherum – zu wenig Kinderbetreuungsplätze, zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle etc. erhöhen dabei Taktzahl unseres Alltags noch einmal ein gutes Stück.

Schaffen wir mit Multitasking wirklich mehr?

Gedächtnisblockaden, Dauermüdigkeit, Panikattacken, Burn-Out, Depressionen können die Folgen von Dauerstress sein. Auch der Körper wehrt sich. Wir werden anfälliger für Infekte oder haben mit unerklärlichen Kopf- oder Rückenschmerzen zu tun. Was tun? Was die strukturellen Probleme angeht, können wir nur immer wieder deutlich mit dem Finger auf sie zeigen. Und Inititiativen, z.B. #proparents,  unterstützen, die das ebenfalls tun. Gemeinsam sind wir lauter und stärker. Zuhause können wir mit dem Partner über eine faire Aufgabenverteilung reden. Dabei gehören auch die unsichtbaren Aufgaben (Termine im Kopf behalten, planen, etc.) auf den Tisch. Die fressen mitunter viel mehr Energie als der Abwasch.

Und wann immer es geht, sollten wir selbst auf uns achten. Ich habe mich  jahrelang als Meisterin des Multitasking gesehen. Inzwischen habe ich gemerkt, wieviel langsamer ich dadurch in Wahrheit werde. Ich mache dann mehr Fehler, bin unzufriedener und ärgere mich darüber. Der Geburtstagskuchen brennt an, während ich zwei Termine meines Kindes auf die gleiche Uhrzeit gelegt und vergessen habe, noch das wirklich dringende Telefonat für die Arbeit zu führen.

Ich versuche jetzt, mich selbst weniger zu stressen

Deshalb mache ich das heute anders. Wenn ich mal mehr Zeit habe, erledige ich eine Aufgabe nach der anderen. Wenn ich wenig Zeit habe, schraube ich meine Erwartungen an mich runter und passe sie meinen Möglichkeiten an. Dann wird nur das absolut Dringende erledigt. Man kann auch etwas Kuvertüre auf einen Fertigkuchen gießen und viele, viele bunte Smarties darauf streuen. Okay, das war für meinem Fall ein doofes Beispiel, weil mein Mann der viel bessere Bäcker ist und diese Aufgabe meistens übernimmt. Mein persönliches Goal ist eher, verstanden zu haben, dass unser winziges Häuschen mit viel zu wenig Stauraum darin nicht immer präsentabel aussehen muss.

Ich habe erlebt, dass Freundinnen super erleichtert reagieren, wenn sie mein Chaos gesehen haben („Ey, so sieht es bei mir auch aus, wenn keiner hinguckt“). Nicht perfekt zu sein, entstresst offenbar auch andere. Ich selbst kann in der Zeit, in der ich sonst hektisch Dinge von A nach B geräumt hätte, lieber eine Folge „Working Mums“ bei Netflix schauen. Danach bin ich viel besser gelaunt, Win-Win-Situation. Es sei denn, ich scrolle nebenher mal wieder auf dem Handy, weil ich schon wieder auf das doofe Gefühl reingefallen bin, dass ich auch aus Freizeitmomenten alles rausholen muss… Aber ich arbeite daran.

Jana Stieler
Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger "Berge" (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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