Seit ziemlich genau zwei Jahren gilt die Corona-Pandemie in Deutschland offiziell als beendet. Zwar gibt es nach wie vor Zeiten mit vielen Infektionen, inzwischen wird Covid-19 aber eher wie eine normale Grippe angesehen und behandelt. Doch leider ist das Virus bei vielen Menschen trotzdem noch präsent. Denn sie kämpfen mit den zum Teil schlimmen Langzeitfolgen der Infektion, bekannt als Long Covid. Anne leidet an ME/CFS, der schwersten Form von Long Covid. Seit rund zwei Jahren liegt sie komplett im Dunkeln, abgeschirmt von allen Reizen – und von ihren Kindern, wie sie uns in ihrer Echten Geschichte erzählt hat:
„Ich bin mittlerweile 38 Jahre alt und habe meine erste Tochter ungeplant mit knapp 17 Jahren bekommen. Trotzdem bin ich, schon immer zielstrebig, meinen Weg weitergegangen und habe überwiegend alleinerziehend mein Studium und Nebenjobs gemeistert.
Aufgrund einer schwierigen Kindheit war ich noch sehr mit mir selbst beschäftigt und häufig mit den Gedanken woanders.
Ich habe meine Tochter gut versorgt, war aber emotional nicht immer so verfügbar.
Das tut mir im Nachhinein wirklich sehr leid. Heute ist sie 21 und kann mich sehr gut verstehen. Sie sagt, sie ist zufrieden mit ihrer Kindheit, erinnert sich an so viel Schönes. Wir haben auch sehr viel unternommen: Spielplatzbesuche, Zoo, Zirkus, Kino, Eis essen usw. Und heute immer noch eine enge Bindung.
Doch stand ich immer zwischen den Stühlen: Meinem Drang meine Jugend und vor allem die Studentenzeit auszuleben auf der einen Seite und eine gute Mutter zu sein auf der anderen Seite.
Denn selbstständig, pflicht- und verantwortungsbewusst war ich – geprägt durch meine Kindheit – schon immer. Aber eben nicht reif genug für meine Ansprüche und das, was meine große Tochter verdient hätte.
Als ich mit 34 geplant noch einmal schwanger wurde, wollte ich alles anders machen.
Besser. Dieses Mal war ich angekommen. In meiner Beziehung bzw. Ehe. In meinem Beruf. In meinen Freundschaften. In meinem Leben. In mir.
Ich bin schon länger chronisch an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) erkrankt, einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Die Diagnose erhielt ich aufgrund der Unwissenheit vieler Ärzte erst spät.
Lange ging ich von einer chronischen Borreliose aus und ordnete meine diffusen wechselnden Symptome wie Taubheitsgefühle, Lähmungserscheinungen, Kopfschmerzen, Schwindel, starke Erschöpfung und eingeschränkte Leistungsfähigkeit dieser zu.
Die Schwangerschaft verlief mit Komplikationen unabhängig von meiner Erkrankung, und meine Tochter kam bereits in der 34. SSW zur Welt. Sie musste eine Woche auf der Neo-Intensivstation verbringen, bis wir sie zu uns nach Hause mitnehmen durften. Überglücklich. Unsere Tochter. Gesund.
Ich ging voll in meiner Mutterrolle auf.
Bedürfnisorientierte Erziehung, Babykleidung nähen, Mutti-Treffen. Das volle Programm eben. Unsere Tochter sollte es gut haben. Eltern, die sich lieben. Finanziell abgesichert. Eine liebevolle und stolze große Schwester. Und unsere ganze Liebe.

Bevor Long Covid sie ans Bett fesselte, hat Anne viel mit ihrer Tochter unternommen.
Foto: privat
Im Sommer 2022 erkrankte ich wie so viele aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis an Corona.
Ich erholte mich schleppend. Doch in der Folgezeit ging es mir mit meiner vermeintlichen Borreliose immer schlechter.
Nach der Elternzeit wollte ich schließlich meine kinder- und jugendpsychotherapeutische Praxis wieder eröffnen. Doch kurz vorher brach ich nach dem Fensterputzen zusammen. „Wird schon wieder!“, dachte ich. Doch mein Zustand verschlechterte sich ab diesem Zeitpunkt rapide.
Schließlich wurde ich bettlägerig und bekam die Diagnosen Long Covid bzw. ME/CFS, die schlimmste Ausprägung von Long Covid.
Meine Krankheit schritt immer weiter voran und ging schließlich mit einer ausgeprägten Reizempfindlichkeit einher. Da die Verschlechterungen belastungsabhängig sind und in schweren Fällen zum Tod führen können, müssen Betroffene sich stark einschränken. Um sogenannte „Crashs“, also vorübergehende oder dauerhafte Zustandsverschlechterungen, zu vermeiden. Und um ein gewisses Maß an Aktivitäten noch halten zu können.
Ich wurde leider sehr spät aufgeklärt und landete vor zwei Jahren im Schwerstzustand. Seither vertrug ich kein Licht, keine Geräusche, keine Gespräche, kein TV, kein Handy und lag 24/7 allein im dunklen Schlafzimmer. Allein mit mir. Allein mit meinen Gedanken.

In der schlimmsten Phase lag Anne rund um die Uhr im Dunkeln, mit Schlafmaske und Hörschutz.
Foto: privat
So musste ich mich von meiner kleinen und auch großen Tochter verabschieden.
Natürlich auch von allen Freunden und Familienmitgliedern. Aber meine Töchter wegzuschicken war das Schlimmste. Vor allem, weil meine kleine Tochter es mit 1 1/2 Jahren noch nicht verstand. So oft hörte ich sie nach mir weinen, wenn sie krank, traurig oder wütend war, und ich konnte nicht zu ihr. Konnte sie nicht halten. Nicht trösten. Es hat mich gebrochen.
Von dort an war mein Leben ein Kampf ums Überleben.
Mein Mann pflegt mich neben seiner Arbeit. Meine Schwiegermutter ist bei uns eingezogen, um uns zu unterstützen. Meine kleine Tochter fragte so oft nach mir, bis sie irgendwann damit aufhörte.
Mein Mann recherchierte bis spät in die Nacht Behandlungsmöglichkeiten und nahm Kontakt zu spezialisierten Ärzt*innen auf, die mich telemedizinisch behandelten.
Die Erkrankung ist nämlich leider schlecht erforscht.
Die Behandlung ist ein Ausprobieren von Medikamenten, die für andere Behandlungen wie Schizophrenie, Myasthenia Gravis oder neuropathische Schmerzen zugelassen sind. Obwohl sie seit 1969 offiziell als organische Erkrankung von der WHO anerkannt ist, wurde sie jahrzehntelang ignoriert und psychologisiert.
Erst jetzt bekommt sie als Folge von Corona mit mittlerweile mindestens 600.000 Betroffenen allein in Deutschland etwas Aufmerksamkeit in den Medien und in der Politik.
Aber zurück zu meinen Töchtern.
Meine Kleine lernte zunehmend, auf ihre Mama zu verzichten und akzeptierte Oma und Papa als Hauptbezugspersonen.
Sie entfremdete sich von mir. Von ihrer Mama. Meine Große litt so sehr an der Situation, dass sie zeitweise Schwierigkeiten hatte ihr Jura-Studium fortzusetzen.
Und ich lag da voller Sehnsucht nach meiner Familie, weinte, wenn ich meine kleine Tochter weinen hörte. Schloss mit meinem Leben ab. Ich wusste, dass einige an dieser Erkrankung sterben.
Doch dann nach anderthalb Jahren schlug die Behandlung an, die mein Mann initiierte.
Ich vertrug zunehmend etwas mehr Licht und Geräusche. Ich liege zwar immer noch 24/7 im Dunkeln, doch kann ich nun etwas besser Reize tolerieren. Ich kann kurze Gespräche mit meinem Mann und meiner großen Tochter führen, mein Handy etwas nutzen und vor allem meine kleine Tochter wieder 15-30 Minuten am Tag sehen. Immer noch ein schmerzhafter Zustand. Für uns Welten besser als vorher.
Es war ein vorsichtiges Annähern zwischen meiner kleinen Tochter und mir.
Ich war ihr vermutlich irgendwie vertraut und trotzdem einfach so fremd. Einmal nannte sie mich „Tante“. Es schien, als wolle sie mir alles erzählen, was ich verpasst hatte. Dass sie nun schon klettern und rutschen und Papa auf der Schaukel Anschwung geben kann.
Sie war schon so groß. So wunderschön mit ihren rotbraunen Locken. Konnte schon so gut sprechen. Bevor ich „verschwand“ hatte ich noch ihre ersten Schritte mit ihr gefeiert. Sie sprach nur wenige Wörter.
Auch sie war mir jetzt fremd und doch war ich immer noch voll der gleichen Liebe für sie.
Von nun an suchte sie täglich den Kontakt zu mir, und wir holten alles auf. Ich durfte die Erfahrung machen, dass das Band, das wir in den ersten anderthalb Jahren geknüpft hatten, immer noch stabil war. Ich lackierte ihre Fingernägel mit Kindernagellack, so dass sie mich immer dabeihaben konnte. Sie bekam „Paco“ ein Alpaka-Stofftier, das sie trösten sollte, wenn sie nicht bei mir sein konnte.
Bis heute kommt sie regelmäßig zu mir ins dunkle Zimmer.
Schiebt den Stuhl an mein Pflegebett und klettert zu mir unter die Decke. Ich lese ihr vor, wir kuscheln, machen Fingerspiele, singen ein Lied oder spielen mit Figuren oder Stofftieren. Vor zwei Monaten sagte sie zum ersten Mal: „Ich mag dich!“, vor einigen Wochen schließlich „Ich liebe dich!“.

Heute kann Anne sich ihrer kleinen Tochter endlich wieder etwas annähern – für ein paar Minuten am Tag.
Foto: privat
Sie versteht, dass „Mamas Akku“ kaputt ist und Mama sich sehr viel ausruhen muss, damit sie ein bisschen Energie hat.
Immer wieder fragt sie: „Morgen bist du wieder gesund oder?“
Oder sie schmiedet Pläne: „Wenn du gesund bist,…!“. Zu meinem 38. Geburtstag hat sie mir Hausschuhe geschenkt. Die brauche ich wohl, wenn ich irgendwann wieder aufstehen kann. Leider hat mein Körper bisher nicht die Kraft dazu.
Heute haben wir die Situation alle irgendwie akzeptieren können.
Aber auch nur, weil wir auf weitere Verbesserung hoffen. Um die Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken und damit die Forschung voranzutreiben, kläre ich auf meinen Instagram-Account @anne_in_the_dark über die Erkrankung auf und gebe Einblicke in meinen Alltag.“
Liebe Anne, vielen Dank, dass du deine bewegende Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft!
Welche Erfahrungen habt ihr mit den Folgen einer Corona-Infektion gemacht? Bemerkt ihr auch Langzeitfolgen, oder habt ihr alles gut überstanden?
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Liebe Pia, vielen Dank für deinen Rat für die betroffene Mama! Viele Grüße, Laura
Würde mich bei einem anderen Arzt mal auf Post-Vac-Syndrom untersuchen lassen. Wäre eine Möglichkeit vielleicht eine Besserung herbeizuführen.