„Lass die Leute reden: Was ich von meinem Punk-Sohn gelernt habe“

„Mein Sohn ist inzwischen 20 Jahre alt und wohnt nicht mehr zu Hause. Als er ungefähr 13 war, begann er, sich für den Emo-Stil zu interessieren und kleidete sich komplett schwarz. Das fand ich damals sogar toll, denn ich hatte mich in meiner Jugend auch einige Jahre lang schwarz gekleidet und mich einer ähnlichen Szene zugehörig gefühlt.

Doch dann mutierte mein Sohn zum Punk und damit fingen bei uns die Diskussionen an. Zunächst hielt ich es nur für eine Phase, doch es stellte sich heraus, dass Punk für meinen Sohn viel mehr war. Damit hatte ich große Probleme, sehr große sogar. Bunte Haare, die er als Iro stylte, zerrissene und bemalte Jeans… Das war oft Streitthema bei uns. Sein Vater lebt getrennt von uns, bekam die Veränderung aber trotzdem an den Besuchswochenenden mit. Doch im Gegensatz zu mir reagierte er ziemlich gelassen auf die Veränderung unseres Sohnes.

Ich war darum besorgt, was man im Dorf über uns dachte

Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass er auch nicht derjenige von uns war, der mit unserem Junior einkaufen ging und seltsam angeschaut wurde. Wir wohnten damals (ich wohne hier bis heute) in einem kleinen Ort mit gerade mal 3.500 Einwohnern. Ich bin hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, man kennt mich und meine Familie. Meine Eltern sind und waren immer sehr darum besorgt, was man über sie denkt, und genau das habe ich wohl von kleinauf verinnerlicht. Entsprechend war ich verärgert., dass mein Sohn so viele kritische Blicke auf sich zog.

Doch ungefähr vor drei Jahren fand eine innerliche Wandlung in mir statt. Ich kann gar nicht genau definieren, was mein Umdenken bewirkte. Ich sah meinem Sohn zu, wie er mit einem Lächeln der mit Einkaufstaschen bepackten Omi die Türen aufhielt, dem kleinen Mädchen lachend die heruntergefallene Mütze wieder auf den Kopf setzte oder sich an der Kasse höflich für sein Wechselgeld bedankte.

Mir wurde bewusst, was für ein toller Mensch mein Kind ist

Plötzlich wurde mir bewusst, dass mein Sohn ein absolut höflicher, lieber, sensibler, empathischer junger Mann ist, der sein eigenes Wohl stets hinter das Anderer stellt. Auf einmal war mir egal, was andere über ihn – und auch über mich – dachten. Sie sahen ja nur sein Äußeres, kannten ihn gar nicht wirklich. Zusätzlich hat mir geholfen, dass mein Sohn sich mir gegenüber mehr öffnete, mir seine Musik vorspielte und mir stolz zeigte, wie er seine Kleidung punk-gerecht modifizierte.

Ich verstand, dass es ihm weniger um Äußerlichkeiten ging, sondern vielmehr um eine Lebenseinstellung. Über den Punk entwickelte mein Sohn eine politische Haltung und bezog Stellung zu gesellschaftlichen Themen. Alles muss ich nicht verstehen, vieles sehe ich anders als er. Trotzdem hat mein Sohn damit auch meinen Horizont erweitert. Ich hinterfrage heute Dinge, die ich zuvor für selbstverständlich gehalten habe. Aber vor allem bewundere ich inzwischen seinen Mut, seine Meinung zu sagen, sich für andere stark zu machen und zu polarisieren. Mut, der mir früher oft gefehlt hat.

Ich mache inzwischen auch mal den Mund auf

Heute staune ich, mit welcher Hingabe und Ausdauer mein Sohn seine Kleidungsstücke bemalt, besprüht, mit Nähten, Patches, Buttons, Kronkorken und anderem versieht. Seine Kreativität ist schier unendlich. Die Haare sind manchmal natürlich, manchmal bunt und momentan zu zwei seitlichen Iros aufgestellt. Nur ein Kleidungsstück bringt mich nach wie vor an meine Toleranzgrenze: Seine Lieblingshose, die ihm inzwischen in Fetzen vom Hintern hängt, die er aber nicht aufgeben möchte, weil er so viel mit ihr verbindet.

Die Leute schauen natürlich nach wie vor, wenn wir zusammen unterwegs sind. Manchmal belustigt, manchmal verachtend, manchmal regelrecht angewidert. Aber inzwischen schaue ich zurück und scheue mich auch nicht davor, den Mund aufzumachen, wenn wir negative Kommentare bekommen.

Er ist mein Sohn, auf den ich wahnsinnig stolz bin, und den ich über alles liebe, egal, wie er aussieht oder rumläuft!

Liebe Sandra, vielen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe!

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg. Am liebsten erkunde ich mit ihm die vielen grünen Ecken der Stadt. Auch wenn ich selbst keine Mama bin, gehören Babys und Kinder zu meinem Leben dazu. Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert und ich komme als „Tante Lena“ zum Einsatz. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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