Kinderarzt will ein Zeichen setzen – und schließt seine Praxis

Zuerst schlugen die Kinderkliniken Alarm, weil es keine freien Betten mehr gibt, nun sind es auch die Kinderärzte, die massiv überlastet sind. Ein Berliner Kinderarzt hat jetzt Konsequenzen gezogen und seine Praxis freiwillig geschlossen, um ein Zeichen zu setzen.

Ein aktueller Notstand in der Kindermedizin gepaart mit einer Welle an Atemwegsinfektionen sorge für eine massive Unterversorgung. Erst vergangene Woche haben wir darüber berichtet, dass ambulante Ärzte ihren Arbeitsaufwand nicht angemessen vergütet bekommen und immer mehr Kinderärzte deswegen ihre Praxis schließen. „Die Gesundheit der Kinder leidet”, warnte Jakob Maske, der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, eindringlich.

Einer dieser Kinderärzte ist Steffen Lüder, der im Interview mit Focus online über die Schließung seiner Berliner Praxis spricht.

Der Arzt hatte erst vergangene Woche seine Praxis im Berliner Bezirk Lichtenberg freiwillig geschlossen – wegen Überschreitung seines Budgets und wegen Überlastung. „Ich bin seit 2008 in der Praxis, aber dieses Patientenaufkommen hat meine bisherigen Erfahrungen komplett übertroffen“, so Lüder.

Wie der Arzt berichtet, kamen allein in den vergangenen zwei Monaten mehr als 1850 Kinder in seine Praxis – normalerweise belaufe sich die durchschnittliche Patientenzahl in Berlin im vierten und ersten Quartal eines Jahres auf 1000 bis 1150 Kinder. Der Zustand gleiche einer Massenabfertigung, für den einzelnen Patienten könne sich kaum noch Zeit genommen werden. Teilweise hätte er pro Kind nur wenige Minuten, das sei einfach nicht machbar.

Weil es so nicht weitergehen kann, trifft Lüder eine harte Entscheidung.

„Wir haben wie verrückt gearbeitet, irgendwann stoßen aber auch wir an unsere Grenzen. Mein Personal brauchte dringend Urlaub. Deswegen habe ich die Praxis zu gemacht – freiwillig, nicht, weil ich musste“. Denn eines ist dem Arzt schmerzlich bewusst: Bei diesen Zuständen sei es nur eine Frage der Zeit, dass ein Fehler passiere, der schlimmstenfalls das Leben eines Kindes kostet. Die Schließung seiner Praxis sei deswegen ein „politisches Statement.”

Neben dem Mangel an Ärzten und medizinischem Fachpersonal kritisiert Lüder das medizinische System. Kinderärzte erhalten pro Quartal ein sogenanntes Euro-Regelleistungsvolumen. Es definiert die Obergrenze der Leistungsmenge, die ein Vertragsarzt an Leistungen erbringen und bezahlt bekommen kann. Behandelt ein Arzt mehr Patienten, bekommt er jedoch nicht mehr Geld.

Auch auf Seiten der Entlohnung des Personals besteht ein Defizit: „Die MFA-Entlohnung ist mangelhaft, im Tarifvertrag liegt sie bei unter 2000 Euro als Einstiegsgehalt (erste Stufe) für eine Vollzeitstelle. In Ballungsgebieten finden Ärzte sogar bei deutlicher übertariflicher Bezahlung aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten keine MFAs mehr.”

Für Lüder ist klar, dass die Verantwortung bei der Politik liegt:

„Wir verwalten ein Mangelsystem, was in der Summe in den Jahren sehenden Auges an die Wand gefahren wurde und in der jetzigen Welle an Influenza und RSV zusammenbricht.“ Die Verantwortung für dieses Problem sei komplex und liege vor allem in der Hand der Politik.

Die Entscheidung seine Kinderarztpraxis zu schließen, ist nachvollziehbar. Für seine kleinen Patienten bedeutet sie aber leider auch, dass sie noch weniger Chancen auf eine schnelle medizinische Hilfe haben.

HIER erfährst du, woran du erkennst, ob du mit deinem Kind einen Arzt aufsuchen oder ins Krankenhaus fahren solltest.

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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