„Ich will nicht mehr.” Wenn Eltern ihre Kinder um Sterbehilfe bitten

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Dieser Text thematisiert Suizidgedanken. Er behandelt also Inhalte, die einige Menschen beunruhigend oder verstörend finden könnten. Wenn du dich mit dem Thema unwohl oder überfordert fühlst, solltest du den Text nicht lesen.

Hast du Suizidgedanken? Du bist nicht alleine! Hilfe und Beratung findest du z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.


Der Gedanke an den eigenen Tod oder den der geliebten Menschen ist angsteinflössend. Wer denkt schon gerne darüber nach, dass wir alle mal sterben? Doch irgendwann müssen wir Abschied nehmen.

Viele Menschen wünschen sich ein selbstbestimmtes Sterben. Sie möchten keine lebensverlängernden Maßnahmen, wenn ihr Lebenswille sich eigentlich schon lange verabschiedet hat. Aber was ist, wenn es plötzlich die eigenen Eltern sind, die diesen Wunsch äußern? Was es für Kinder bedeuten kann, ihren Eltern beim Sterben zu helfen, das hat Mark Rackles erlebt. Er erzählt t-online vom assistierten Suizid seiner Eltern.

Es war ein Montag, als Rackles die 110 wählte, um den Doppelsuizid seiner Eltern zu melden.

Rolf Rackles, 90, und Cynthia Rackles, 85, liegen tot in ihrem Bett. Ein Sterbehilfeverein hatte ihnen zuvor die tödlichen Medikamente verschafft.

Die Eltern von Rackles waren nicht sterbenskrank, trotzdem hatten sie die Nase voll vom Leben. Sie waren blind und gebrechlich und wussten, dass ein eigenständiges Leben, wie sie eines führen wollten, nicht länger möglich ist.

„The Party is over”, so sagte es Cynthia zu ihrem Sohn.

Sie war gebürtige Amerikanerin. Ihr Sohn, Mark Rackles ist in Berlin kein Unbekannter: Der SPD-Mann war acht Jahre lange Staatssekretär der ehemaligen Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Heute ist er selbstständig als Unternehmensberater.

2020 wurde das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Seitdem steigt die Zahl der sogenannten assistierten Suizide. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Nun muss die Politik Gesetze erlassen: Soll das assistierte Sterben legal sein oder unter Strafe gestellt werden?

Inzwischen ist es ein Jahr her, dass die Polizei die Wohnung von Rackles Eltern abriegelte.

Am 90. Geburtstag des Vaters hatte das Paar den Sterbetermin festgelegt und auch mit seinen Kindern darüber gesprochen. „Die Uhr begann zu laufen”, erinnert sich Mark Rackles. Für ihn war es ein Alptraum, genau zu wissen, wann seine Eltern sterben würden. Kurz vor ihrem Tod waren er und seine Schwester noch bei ihnen, verabschiedeten sich und machten ein letztes Foto. Das Paar wirkt auf dem Bild traurig und erschöpft.

Rackles beschreibt sie als perfekt eingespieltes Paar, eine typische Nachkriegsfamilie seien sie gewesen. Mit 85 Jahren hatte der Vater, Rolf, eine Hirnblutung. Er sah danach nur noch sehr schlecht, war auf einen Rollator angewiesen. Seine Mutter, Cynthia, pflegte ihren Mann, bis sie eine Gürtelrose verschleppte und ebenfalls auf eine Gehhilfe angewiesen war und infolge einer Netzhautablösung kaum noch sehen konnte.

Ins Pflegeheim wollten die beiden auf keinen Fall.

Auch Pfleger in der eigenen Wohnung kamen für sie nicht infrage. Rackles wird gefragt, ob er nicht versucht habe, die Eltern von ihren Plänen abzuhalten und antwortet: „Sie kennen meine Mutter nicht.” Er erinnert sich noch gut, wie sie damals zu seinem Vater sagte: „Wenn Du nicht mitkommst, gehe ich eben alleine.”

Die Eltern hätten daraufhin verschiedene Arten des Suizides durchdacht. „Was immer wieder vorkam, war der Gedanke, in den Neckar zu springen, mit Steinen an den Füßen.

Den selbstbestimmten Tod muss man sich leisten können

Irgendwann sieht Rackles sich in der Schweiz nach Möglichkeiten der Sterbehilfe um. Am meisten haben ihn die Kosten schockiert: 40.000 Euro. Seine Eltern waren finanziell gut aufgestellt, aber in der Schweiz werden nur Schmerzpatienten genommen. Dann findet er in Hamburg einen Sterbehilfeverein, der die gleiche Dienstleistung zum halben Preis bot – immer noch sehr viel Geld. „Es kann nicht sein, dass man nicht sterben darf, weil man kein Geld hat”, findet Rackles.

Laut Statistischem Bundesamt starben im Jahr 2020 in Deutschland insgesamt 9 206 Personen durch Suizid – das waren über 25 Personen pro Tag. Expert*innen gehen davon aus, dass die Zahlen der assistierten Suizide genauso hoch sein könnten, wenn sie legalisiert werden.

Rackles wird noch oft von den Erinnerungen an seine Eltern eingeholt.

Es tut mehr weh, als er erwartet hatte. Rückblickend kann er sich nicht mehr erklären, wie er es geschafft hat, den Tod der Eltern zu organisieren – ihnen dabei zu helfen. Er sei wie in einem Tunnel gewesen: „Es ist doch etwas anderes, ob Sie jemandem helfen, an einen Kurort zu kommen, oder am Ende liegen die Eltern tot im Bett.”

Trotzdem sei er mit sich im Reinen. Am Ende hätten seine Eltern diese Entscheidung getroffen. Und obwohl es für ihn als ihr Kind eine belastende Erfahrung war, befürwortet er den assistierten Suizid. Er fragt: „Warum dürfen alte Menschen nicht selbst entscheiden, wann für sie der Punkt erreicht ist, an dem sie gehen?

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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