„Ich erlebte häusliche Gewalt – und habe nun Angst um meine Töchter.“

Häusliche Gewalt ist ein erschreckend häufiges Problem: Laut einer Statistik des Bundeskriminalamts werden jährlich über 133.000 Erwachsene Opfer von häuslicher Gewalt, die meisten davon sind Frauen. Jede davon hat ihre eigene Geschichte.

Michaela*, zweifache Mutter aus unserer echten Mamas-Community, wurde von ihrem Vater geschlagen – und später von ihrem Freund. (*der vollständige Name ist uns bekannt). Hier erzählt sie ihre Geschichte, auch um andere Frauen zu warnen:

Häusliche Gewalt kannte ich schon von zu Hause durch meinen Vater. Ich hatte keine schöne Kindheit. Mir war es daher immer wichtig, geliebt zu werden und einen Mann zu finden, der mir gibt, was ich brauche. Deshalb war ich auch so blind, als ich den Mann kennenlernte, der mein Leben zur Hölle machte.

Kennengelernt habe ich ihn durch meinen großen Bruder und fand ihn schon immer toll. Er aber hat mich nie gesehen, weil ich ja die kleine Schwester seines Kumpels war. Als ich gerade 18 geworden war, habe ich ihn zufällig im Bus gesehen, all meinen Mut zusammengenommen und mich bewusst neben ihn gesetzt. Mann, war ich damals aufgeregt! Rückblickend wohl darum, weil mein Instinkt mich vor ihm warnen wollte…

Wir haben uns lange unterhalten und auch gleich die Nummern ausgetauscht. Nach ein paar Tagen waren wir schon ein Paar, trotz seiner Vergangenheit. Er kam gerade aus dem Gefängnis, so viel gestand er mir. Was ich auf Umwegen herausfand: Er saß wegen Körperverletzung! 

Spätestens da hätte mir klar werden sollen, dass er nicht gut für mich ist. Doch ich war total verknallt. Diese verdammte rosarote Brille!

Aber schließlich beteuerte er, dass er sich geändert habe und sein Verhalten bereue. Und wirklich, am Anfang war er zu mir war immer so lieb, las mir jeden Wunsch von den Augen ab und hielt ständig meine Hand. Wir waren ein Traumpaar und unzertrennlich.

Von der ersten Verliebtheit zu Prügeln

Unsere schöne Beziehung hielt jedoch nur ein paar Wochen an. Und dann ging es los, erst mit „normalem“ Streit. Er hatte eine Bekannte, die total auf ihn stand. Sie hat sich ständig in unsere Beziehung eingemischt und er ließ das zu. Er besuchte sie auch häufig, was ich natürlich nicht sonderlich gut fand.

Das war unser Streit-Thema Nummer eins. Ich wollte nicht, dass er so oft mit ihr zusammen ist. Irgendwann habe ich im Streit sein Fahrrad festgehalten, weil ich nicht wollte, dass zu ihr geht. An diesem Tag bekam ich meine erste Ohrfeige von ihm.

Ich war so schockiert, dass ich mich nicht mehr gerührt habe. Er hat sich wohl auch über sich selbst erschrocken, kam gleich an und hat sich entschuldigt. Gleichzeitig hat er mir aber  klar machen wollen, dass ich selbst an seinem Ausraster schuld sei, weil ich ihn so gereizt hätte.

Von da an wurden Schläge zur Tagesordnung. Sobald ich etwas tat, was ihm nicht passte oder in seinen Augen falsch war, schlug er auf mich ein. Bei Ohrfeigen blieb es nicht lange, bald verprügelte er mich regelrecht.

Täglich schlug er mich, an allen möglichen Körperstellen. Warum ich nicht gegangen bin? Ich weiß es nicht. Es war dumm von mir, das zuzulassen, aber ich war abhängig von ihm. Ich fühlte mich wie eine Versagerin, weil meine Beziehung so schrecklich geworden war und wollte, dass sie wieder so wird wie am Anfang. Das versprach er mir auch regelmäßig zwischen den Prügelattacken, wenn er sich entschuldigte und mir schwor, dass es nie wieder passieren würde.

In der Öffentlichkeit und im Bekanntenkreis versuchte ich, den Schein zu wahren und über die häusliche Gewalt hinwegzusehen. Ich habe mich so geschämt. Damit niemand meine Blutergüsse, von denen ich übersät war, sah, trug ich immer langärmlige Sachen, lange Hosen und Röcke. Es funktionierte: Keiner wusste, was mit mir passierte.

Irgendwann wurden seine Entschuldigungen und Versprechungen weniger und dann begann eine noch härtere Zeit für mich. Er begann, mich auch psychisch fertigzumachen. Sehr häufig sagte er mir, dass ich ohnehin zu nichts tauge. Ich sei wertlos und mich würde ohnehin kein Anderer wollen.

Das so oft zu hören, von einem Menschen, der mich so gut kannte, das nagte an mir. Und ich glaubte es. Ich war einfach nur noch kaputt. Und hatte noch zu große Angst, um ihn zu verlassen.

Meine letzter Ausweg: Geständnis und Flucht

An einem Abend dann bin ich nach einem Streit aus der gemeinsamen Wohnung zu meiner besten Freundin geflohen. Ich kam tränenüberströmt bei ihr an. Sie nahm mich in den Arm, und ich habe ihr alles erzählt. Es tat so gut, mich endlich jemandem anvertrauen zu können. Endlich konnte ich mein Leid in Worte packen, klagen, schimpfen, weinen, wüten! Sie war so schockiert….

Nicht lange danach hat sie mich zurechtgemacht und wir sind ausgegangen, um uns abzulenken. Prompt hat mich ein junger Mann angesprochen und wir haben uns die ganze Nacht unterhalten. Er hat mir angesehen, dass mir etwas Schlimmes widerfahren war und bot mir seine Hilfe an. Durch ihn habe ich letztendlich den Absprung geschafft und bin endlich von meinem Ex weggekommen.

Es war eine harte Zeit, ich war so abhängig von ihm, dass ich dachte, dass ich alleine nicht klarkommen würde.

Zu dem Mann, der mir geholfen hatte, hatte ich noch eine Weile Kontakt. Ich war aber seelisch zu kaputt, um etwas Neues anzufangen. Trotzdem bin ich ihm dankbar dafür, dass er mir in dieser Zeit beistand und half.

Von nun an wohnte ich bei meiner Freundin – in die gemeinsame Wohnung bin ich nie wieder zurück. Es gab kein Trennungsgespräch, kein „nochmal Sprechen“, ich war einfach weg. Anzeige habe ich nicht erstattet, ich hatte zu große Angst davor. Er hat versucht, mich zu finden, aber er hat es nicht geschafft. Alle, die wussten, wo ich bin, haben dichtgehalten, irgendwann hat er aufgegeben. Gott sei dank.

Meine eigene Familie – mein Glück

Als ich 23 Jahre alt war, habe ich meinen jetzigen Mann bei der Arbeit kennengelernt. Er war der erste, den ich wieder an mich rangelassen habe. Gleich bei unserem ersten Date habe ich ihm erzählt, dass ich ein gebranntes Kind bin und wie grausam mein Ex mich behandelt hat. Er sagte, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, er würde mir nie schaden. Er ist von Anfang an sehr behutsam mit mir umgegangen und tut das immer noch. Seit zehn Jahren sind wir jetzt schon zusammen und er hat nie auch nur die Hand gegen mich erhoben.

Aber meine seelischen Wunden sitzen tief: Wenn wir streiten und er lauter wird, zucke ich immer noch zusammen. Er hat es nicht immer leicht mit mir.

Durch die häusliche Gewalt, die ich erlebt habe, habe ich große Angst, etwas falsch zu machen und bin schnell eingeschüchtert und unsicher, obwohl er mir keinen Grund dafür gibt.

Als ich (ungeplant) schwanger wurde, dachte ich sofort, er würde mich verlassen. Ich hatte einfach kein Vertrauen mehr zu Männern. Aber ich hatte mich geirrt. Er blieb. Da waren meine letzten Zweifel dahin: Er ist wirklich mein Retter. Er ist der wundervollste Mann der Welt. Nach einem Jahr machte er mir einen Antrag und ich sagte „ja“.

Als ich mit unserer zweiten Tochter schwanger war, heirateten wir. Und seit Januar haben wir drei Mädels zuhause.

Trotz meines Happy Ends leide ich auch heute noch an den Folgen. Ich werde nie mehr die Frau sein, die ich mal war.

Da ich Töchter habe, ist das Thema häusliche Gewalt in meinem Kopf immer präsent und ich habe große Angst, dass sie so etwas auch mal erleben müssen. Darum versuche ich jetzt schon, sie stark zu machen und ihnen klarzumachen, dass Gewalt nicht normal ist. Ich sage ihnen immer: „Lasst euch nichts gefallen! Von niemandem! Wer zuschlägt, der ist feige!“

Ich hasse Gewalt, meine Kinder haben nie Schläge bekommen, nicht mal einen Klaps oder einen zu fest gepackten Arm – und werden es auch nie. Und so sehr ich meinen Mann auch liebe: Würde er jemals die Hand gegen mich oder meine Kinder erheben… im selben Moment hätte er uns verloren.

Allen Frauen, die geschlagen und/oder seelisch misshandelt werden, kann ich nur ein Sache sagen: TRENNT EUCH! Ihr seid NICHT schuld!! Wer einmal schlägt, wird es immer tun… Es gibt keine Entschuldigung für häusliche Gewalt. Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen.

Vor zwei Jahren habe ich eine Therapie gemacht, um meine Erlebnisse zu verarbeiten und zu lernen, dass ich auch Fehler machen darf und vor allem, dass ich auch „NEIN“ sagen darf. Es hat geholfen, aber alle Wunden konnte es nicht heilen. Mein Ex hat mich zerstört. Mein früheres Ich kommt nur selten zum Vorschein, aber ich arbeite jeden Tag daran, wieder ICH zu sein.“


Soforthilfe für Betroffene gibt es unter der Nummer 110, das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter 08000 116 016 erreichbar.

Rebecca
Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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