Als Kind erlebte ich die Hölle. Mein Sohn aber soll den Himmel auf Erden haben

Eine Kindheit sollte unbeschwert sein, voller Freude, Spaß und unendlicher Liebe. Doch vielen Kindern ist dies nicht vergönnt. Ihnen widerfährt zuhause Gewalt durch Eltern, Verwandte oder Freunde, oder sie müssen sie aus nächster Nähe erleben.

Die Anzahl der Kinder, die in Deutschland von Gewalt betroffen sind, kann nur geschätzt werden, da es eine hohe Dunkelziffer gibt. Meist geschehen die Übergriffe hinter geschlossenen Türen.

Eine Mama aus unserer Community* erzählt hier, wie sie in ihrer Kindheit schreckliche Qualen erleiden musste (Der Name ist der Redaktion bekannt). Sie möchte ihre Geschichte teilen, um anderen jungen Mamas (und Papas!) Mut zu machen, trotz ihrer Erfahrungen ein gutes Leben zu führen.

„Seit ich mich erinnern kann, haben mir mein Vater und meine Mutter Gewalt angetan. Ich bekam Schläge auf den Kopf und auf das nackte Gesäß.

Die Gründe für diese Strafen waren Lappalien, kindliche Ungeschicktheiten, die eigentlich nicht der Rede wert waren. Doch für jede Kleinigkeit musste ich meinen Po frei machen und Schläge kassieren. Auch meine bettelnden Rufen ‚Bitte, bitte nicht schlagen!’ brachten mir keine Gnade ein. Mein Vater schlug zu.

Als es endlich überstanden war, kam meine Mutter mit einer Cremedose und cremte mir den Po ein. Als ob sie damit meine Wunden auch nur ansatzweise hätte heilen können.

Schlimmer jedoch als die Schläge waren die daraus folgenden seelischen Narben aufgrund der Erniedrigungen, die ich erfuhr. Beinahe täglich, meist wenn mein Vater von der Arbeit kam und dort Ärger hatte, benutzte er mich, um sich wieder mächtig zu fühlen.

Es lief eigentlich immer gleich ab: Er rief mich zu sich an die Couch. Ich sollte vor ihm stehen. Gerade! Dann fing es an: ‚Du bist hässlich!’, ‚Aus dir wird nichts, weil du die dummen Gene deiner Mutter hast!’, oder ‚Am liebsten würde ich dich mit Gegenstand XY jetzt so richtig vermöbeln!’

Erst wenn ich das Gefühl hatte, seelisch völlig nackt und ein Niemand zu sein, wenn ich unter Tränen zusammenbrach, erst dann durfte ich ‚abtreten’.

Das schlimmste Erlebnis, weil es sowohl körperlich als auch emotional unheimlich schmerzhaft war, geschah, als ich in etwa fünf Jahre alt war.

Es war ein schöner, sonniger Tag um die Mittagszeit. Obwohl wir in der Küche einen großen Esstisch hatten, aßen wir im Wohnzimmer im Schneidersitz auf der Couch, damit mein Vater beim Essen fernsehen konnte.

Es gab Kotelett, jedoch war ich nie ein großer Fleischesser. Insbesondere Kotelett ekelte mich wegen der Sehnen und der wabbeligen Stellen an.

Da saß ich also mit meinen fünf Jahren, den Teller auf dem Schoß balancierend und mit einem Kindermesser in der Hand, das höchstens zum Brotschmieren geeignet war.

Ich versuchte, mir das Fleisch in mundgerechte Stücke zu schneiden, doch dabei flutschten mir immer wieder Stücke vom Teller auf die Couch. Schon beim ersten Stück sah mich mein Vater fluchend an. Meine Angst vor seiner Bestrafung stieg und ich zitterte, so dass auch das nächste Stück vom Teller rutschte. Sofort gab es den ersten heftigen Schlag auf den Hinterkopf.

Danach schob ich mir dann ein großes Stück Fleisch in den Mund, denn ich hatte Angst, es zu schneiden und wieder etwas auf die Couch fallen zu lassen. Doch nun musste ich wegen des großen Stückes würgen. Für meinen Vater reichte das, um daraufhin gefühlt endlose Male mit voller Wucht auf meinen Kopf einzuschlagen.

Ich hatte solche Panik und konnte einfach nicht schlucken, denn ich fühlte gleichzeitig Schmerz, den Drang zu weinen und den Ekel vor dem Fleisch und konnte deshalb nicht schlucken. Ich bekam schließlich kaum noch Luft, bis mich endlich meine Mutter in Schutz nahm. Sie schrie meinen Vater an, er solle aufhören! Daraufhin flippte er völlig aus und verließ das Haus.

Später badete mich meine Mutter. Sie weinte dabei. Sie gab mir die Schuld für die Situation steigerte sich immer mehr hinein und begann schließlich, mich in der Wanne zu schlagen. Später entschuldigte sie sich unter Tränen, doch dann war ich diejenige, die versuchte, sie zu trösten – nicht umgekehrt.

Diesen furchtbaren Tag werde ich nie vergessen, denn das waren äußerst schmerzvolle Momente auf allen Ebenen.

Ich war mit meinen Sorgen ganz allein. Foto: Bigstock

Und so ging es weiter, jahrelang. Durch die Erniedrigungen fühlte ich mich immer wertloser. Ich glaubte all die Dinge, die mein Vater mir bei der täglichen Tortur sagte. Ich dachte wirklich, ich sei eine Last, frech und dumm und nutzlos. Ich fühlte mich schuldig, am Leben zu sein und schämte mich meinetwegen.

Es gab niemanden, dem ich mich hätte anvertrauen konnte. Davon abgesehen, hätte ich mich auch gar nicht getraut, darüber zu sprechen, was bei uns wirklich passierte. Meine Eltern hatten es mir immer wieder strengstens verboten und ich hatte extreme Angst vor zusätzlichen Schlägen.

Außerdem bangte ich immer um meine Mutter. Sie tat mir leid und ich wollte sie nicht alleine lassen, denn auch sie wurde oft von meinem Vater in meinem Beisein verprügelt. Einige Male zog er sogar eine Pistole und ich dachte ich, ich würde meine Mama nun für immer verlieren.

So habe ich nie versucht, mir Hilfe zu holen. Meinen Freundinnen erzählte ich Bruchteile, aber sie konnten das ganze Ausmaß nicht erfassen. Nur meine Verwandten wussten von der Gewalt bei uns, doch niemand griff ein.

Es waren Jahre voller Höllenqualen der Angst.

Sie endeten, als ich meinen jetzigen Partner kennenlernte und wir unser erstes Kind erwarteten. Da war ich bereits 23 Jahre alt. Wir zogen zusammen und leben heute mit unserem 20 Monate alten Sohn und unserem Hund in einer schönen gemütlichen Wohnung, die ich gerne mein Zuhause nenne.

Im Mai erwarten wir unseren zweiten Sohn und ich könnte glücklicher nicht sein! Bei uns gibt es so viel Liebe! Keine Gewalt in jeglicher Art und Weise. Ich liebe meinen Sohn mehr als alles andere auf der Welt. Wir haben ein Familienbett, wo mein jetziges Kind und alle zukünftigen ihren Platz einnehmen dürfen, wenn sie es möchten.

Meine Familie fängt mich auf, wenn die Erinnerungen hochkommen. Foto: unsplash / alex bacharov

Meine Kinder sollen sich niemals ausgegrenzt fühlen. Sie sollen immer wissen, dass sie unendlich geliebt werden und sie immer ein Zuhause haben. Denn das ist für mich wahres Familienglück!

Nur die Vergangenheit hat bei uns keinen Platz. Den Kontakt zu meinem Vater habe ich deshalb abgebrochen. Um meine Mutter muss ich mich auch nicht mehr sorgen, denn sie hat inzwischen einen neuen Ehemann, den ich als meinen wahren Vater sehe. Wir hören und sehen uns täglich.

Therapeutische Hilfe zur Verarbeitung meiner Kindheitserlebnisse habe ich mir nie geholt. Doch so gut ich versuche, diese Zeit aus dem Hier und Jetzt zu verdrängen, so holt sie mich doch immer wieder mal ein. In solchen Momenten helfen mir mein Mann und meine Kinder, wieder nach vorn zu schauen. Ich möchte, dass wir als Familie vollkommen gewaltlos und harmonisch zusammen leben. Ich wünsche mir, dass meine Kinder eines Tages gerne an ihre Kindheit zurück denken. Und ich hoffe, dass sie sich im Alter über viele Kindheitserinnerungen amüsieren können.“

Ihr seid selbst Opfer von Gewalt oder kennt ein Kind, bei dem ihr vermutet, dass es emotionalem oder körperlichem Missbrauch ausgesetzt ist? Hier erfahrt ihr, was ihr tun könnt, um euch selbst oder anderen zu helfen.

Hilfe und Unterstützung finden Opfer und Ratsuchende hier:

Telefonseelsorge: 0800 / 111 0 111

Nummer gegen Kummer – Elterntelefon: 0800 111 0550 (montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr, dienstags und donnerstags 17 bis 19 Uhr)

Weißer Ring, Einrichtung für Opferhilfe und Opferschutz: 116 006

Erziehungsberatungsstellen über die Internetseite der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung oder den Mailchat der BKE: eltern.bke-beratung.de.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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