Vor kurzem haben wir hier die Echte Geschichte von Darja geteilt, die trotz des Krieges in der Ukraine ihre Heimat nicht verlassen hat und mit ihren Kindern in Kyjiw lebt. Viele andere Menschen haben das Land aus Angst um ihr Leben verlassen. So wie Anna, die mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann nach Deutschland geflohen ist. Wann ihnen klar war, dass sie diesen Weg gehen müssen, wie sich der Start in Deutschland für die Familie angefühlt hat, und was die größten Schwieirgkeiten sind, hat Anna uns erzählt:
„Mein Name ist Anna, ich bin 37 Jahre alt und habe mit meinem Mann zwei Töchter im Alter von 10 und 5 Jahren. Von Beruf bin ich Psychologin, und mein Mann ist Chemieingenieur.
Wir sind im Frühjahr 2022 nach Deutschland gekommen.
Mein Mann fand zum Glück sofort eine Stelle in seinem Beruf in einem internationalen Unternehmen. Ich nahm an verschiedenen ehrenamtlichen Projekten als Krisenpsychologin teil und bot kostenlose psychologische Unterstützung für Kinder und Erwachsene an – sowohl für diejenigen, die in der Ukraine geblieben sind, als auch für diejenigen, die ins Ausland geflüchtet waren.
Unser Leben vor dem Krieg war sehr schön.
Wir haben in der Hauptstadt Kyjiw gelebt und hatten dort ein sehr gutes Leben. Ich hatte meine eigene Praxis und war wissenschaftlich tätig, und mein Mann hatte eine Führungsposition in einem ukrainischen Unternehmen. Meine ältere Tochter ging in den Kindergarten, und die jüngere war noch kein Jahr alt und hat viel Zeit mit mir verbracht.
Kyjiw ist eine wunderbare Stadt, in der wir oft unsere Lieblingsparks besucht haben, regelmäßig in Museen waren und uns mit Freunden getroffen haben. Mir hat absolut alles dort gefallen.
Ich konnte die Kindererziehung und meine Karriere perfekt verbinden. Eine Nanny half mir mit der jüngeren Tochter, und die ältere besuchte zusätzlich zum Kindergarten ihre geliebten Turniertänze. Meine Eltern kamen oft zu Besuch, mein Mann freute sich über seine beruflichen Erfolge und arbeitete an inspirierenden Umweltprojekten. Ich erinnere mich sehr gern an diese Zeit unseres Lebens.
Am Morgen des 22. Februar 2022 flog ein Militärjet direkt an unserem Wohnungsfenster vorbei.
Das allein reichte aus, um zu verstehen, dass wir keine Zeit verlieren dürfen. Auf den Straßen herrschte Panik, es gab riesige Schlangen an den Geldautomaten, und sofort entstanden Staus.
Wir packten die Kinder, die Dokumente und das Nötigste und fuhren mit dem Auto Richtung Lwiw. Das liegt im Westen der Ukraine und schien damals sicherer als Kyjiw. Wir blieben einen Monat lang mit unserer Familie in der Region Lwiw und überlegten, was wir weiter tun sollten, denn wir hatten weder Verwandte noch Freunde im Ausland.
Der Arbeitskollege meines Mannes schlug vor, nach Deutschland zu fahren.
Seine Kinder lebten dort und konnten uns für die erste Zeit eine Wohnung anbieten.
Einen Monat nach Beginn der Invasion sind wir zu unseren neuen Bekannten nach Deutschland umgezogen.
Unsere gesamte Verwandtschaft blieb in der Ukraine: meine Eltern, der Vater meines Mannes sowie weitere Angehörige, die in Kyjiw und Dnipro leben (100 km von der Frontlinie entfernt).
Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nie darüber nachgedacht, auszuwandern.
Ich hatte ein wunderbares Leben in der Ukraine. Über Deutschland hatte ich vorher nie nachgedacht und war noch nie dort. Meine Familie und ich suchten einfach einen sicheren Ort, und gerade in diesem Moment boten uns Bekannte an, zu ihnen nach Deutschland zu kommen.
Nach unserer Ankunft in Deutschland haben wir eine Wohnung in ihrem privaten Haus in einem kleinen Dorf in Bayern gemietet. Dort haben wir sofort unglaubliche Unterstützung und Fürsorge erfahren.
Schon am nächsten Tag standen Menschen aus dem ganzen Dorf vor unserer Tür und halfen uns mit allem, was sie konnten.
Manche brachten Kinderspielzeug, andere warme Decken oder einen Korb mit Lebensmitteln. Ich erinnere mich noch heute an meine Tränen der Rührung über diese deutsche Freundlichkeit und Gastfreundschaft.
Außerdem hat uns die ukrainische Gemeinschaft der Stadt Kempten sehr geholfen. Das ist die Stadt in der Nähe unseres Dorfes in Bayern. Und auch die deutschen Nachbarn und die Sozialarbeiter haben uns unterstützt und erklärt, wie alles in Deutschland funktioniert.
Ein Jahr später beschlossen wir dann, in die Nähe von Hamburg zu ziehen, weil uns die Stadt und die Menschen dort sofort gefallen haben.
Inzwischen leben wir seit 2 Jahren hier, und langsam fühlt es sich wie Zuhause an.
Dieses Gefühl entstand, als ich die Stadt besser kennengelernt habe, die regionalen Traditionen, als neue Freunde dazugekommen sind und ich mich sicherer im Deutschen fühlte. Natürlich geht der Integrationsprozess weiter, aber die Menschen um mich herum inspirieren mich – sie sind freundlich und lächeln selbst bei typisch grauem Hamburger Wetter.
Meine Familie und ich befinden uns immer noch im Anpassungsprozess.
Für mich ist das Schwierigste das Erlernen der deutschen Sprache und die Arbeitssuche. Mein Mann und ich lernen jeden Tag selbstständig online Deutsch und die Kinder in der Schule und im Kindergarten.
Da ich Psychologin bin, ist Sprache für mich ein Werkzeug, das ich sehr gut beherrschen muss, um die Feinheiten menschlicher Erfahrungen zu verstehen. Natürlich hilft mir mein Englisch, aber im Moment konzentriere ich all meine Kraft auf die deutsche Sprache und meine berufliche Integration in Deutschland.
Meine ältere Tochter hat den Umzug nach Deutschland nur sehr schwer verkraftet.
Sie hat ihre Freunde verloren, die nun über die ganze Welt verteilt sind, und die Nähe ihrer geliebten Großmutter. Sie leidet sehr darunter, dass sie Oma und Opa jetzt nur noch sehr selten sieht.
Aber wir sprechen offen über den Krieg und die Gründe, aus denen wir die Ukraine verlassen haben. Ich finde, dass man Kindern die Wahrheit sagen muss – so, dass sie verstehen, was wirklich passiert. Wir sprechen viel über das Leid, das das ukrainische Volk immer noch erfährt, über die Menschen, die betroffen sind, über die Städte, die zerstört wurden. Sogarüber politische Entscheidungen bezüglich der Ukraine.
Wir alle vermissen am meisten unsere Familie.
Wir sehnen uns danach, Oma und Opa regelmäßig zu sehen, sie zu umarmen und Zeit im Apfelgarten meines Vaters zu verbringen, gemeinsam an einem festlichen Tisch zu sitzen und einfach in familiärer Wärme zusammen zu sein. Es schmerzt mich auch sehr, die Zerstörung der Städte zu sehen, in denen ich aufgewachsen bin, sowie den Verlust meiner Klassenkameraden und Freunde, die im Krieg gefallen sind.
Wie Millionen Ukrainerinnen und Europäer wünsche ich mir, dass der Krieg in der Ukraine endlich endet.
Außerdem möchte ich mich hier in Deutschland gut integrieren, in meinem Beruf arbeiten, meine wissenschaftliche und ehrenamtliche Tätigkeit wieder aufnehmen, neue Freunde finden und endlich Zeit für meine Hobbys haben. Und ich hoffe sehr, dass meine Kinder hier eine Hochschulausbildung machen können und glücklich werden.
Ich finde, dass Deutschland hohe Standards bei der Integration von Migranten hat – das System ist professionell und qualitativ gut.
Ich würde mir nur etwas mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und weniger Bürokratie wünschen.
In der Ukraine zählen Erfahrung, Kompetenzen und Fähigkeiten viel stärker, während hier oft die Dokumente an erster Stelle stehen. Das schafft zusätzliche Hürden bei der Arbeitssuche. Ich kenne viele Ukrainerinnen und Ukrainer mit Ingenieurs-, Jura- oder Medizindiplomen, die in der Ukraine Spitzenpositionen hatten, aber wegen der Bürokratie hier gezwungen sind, weit unter ihrer Qualifikation zu arbeiten. Diesen Aspekt müsste man im Integrationssystem überdenken.
Hoffnung bedeutet für mich, nicht auf Veränderungen zu warten, sondern selbst etwas dafür zu tun.
Mir is der Gedanke des deutschen Psychoanalytikers Erich Fromm sehr nah, dass Hoffnung eine aktive Lebenshaltung ist: Man wartet nicht auf Veränderungen, sondern geht selbst Schritte nach vorn – besonders dann, wenn man nicht weiß, wie alles ausgehen wird. Deshalb handle ich, die Ukrainer handeln, und wir hoffen, dass unsere Bemühungen ein positives Ergebnis bringen werden.“
Liebe Anna, vielen Dank, dass wir Deinen Erfahrungsbericht teilen dürfen. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Gute für die Zukunft!
Genau wie Anna hat uns auch Darja ihre Geschichte erzählt: Die 2-fach Mama lebt mit ihren Kindern nach wie vor in der Ukraine. Denn ihr Mann dient an der Front, und für Darja kommt es nicht in Frage, dass ihre Kinder ihren Papa nicht mehr sehen können.
Darjas ganze Geschichte liest du hier: Als Mama in der Ukraine: „Für meine Kinder ist der Krieg Normalität“
Die Erfahrungsberichte von Anna und Darja haben wir über das Netzwerk von Tatjana Kiel bekommen, der Geschäftsführerin der Hilfsorganisation #WeAreAllUkrainians
„Zahlreiche unserer Hilfsprojekte konzentrieren sich auf Frauen und Kinder, angefangen mit Müttern von Neugeborenen, die das Wochenbett im schlimmen Kriegsalltag durchstehen müssen oder unsere Kampagne #KindheitEndetWennKriegBeginnt, mit der wir psychologische Hilfe für die traumatisierten Kriegskinder mobilisieren“, erklärt Tatjana. „Die Einzelschicksale, aber auch die Dankbarkeit gehen uns immer wieder sehr ans Herz.“
#WeAreAllUkrainians ist von der ad-hoc Initiative von Dr. Wladimir Klitschko, Tatjana Kiel und Dörte Kruppa in den ersten Kriegstagen im Februar 2022 zu einer gemeinnützigen Hilfsorganisation geworden, die mit Unternehmens- und Stiftungspartnern sowie NGO-Partnern umfangreiche Hilfsprojekte in der Ukraine umsetzt.
Mehr Infos dazu, und wie wir alle helfen und etwas Hoffnung schenken können, findest du auf der Website weareallurainians.de



