Ferien: Statt Freizeit haben viele Kinder einen vollen Terminkalender

Wenn ich mich an meine Sommerferien erinnere, dann denke ich als Erstes an scheinbar endlose, sonnigen Tage. Gemeinsam mit meinem Bruder habe ich stundenlang draußen gespielt, kleine Verstecke gebaut, Federn gesammelt und bin barfuß auf Bäume geklettert. Oft durften wir draußen im Garten bleiben, bis es dunkel wurde. Morgens haben wir einfach spontan entschieden, was wir den Tag über spielen wollen.

Beschäftigungsprogramm oder Termine? Fehlanzeige!

Gut, dabei half natürlich, dass ich Geschwister hatte und meine Familie auf dem Dorf lebte, Hühner im Garten inklusive. Doch was früher so normal war, ist inzwischen einer neuen Normalität gewichen. Heute bedeuten Sommerferien für viele Kinder ein ganztägiges Ferienprogramm im Hort oder an der Schule, Kinder-Urlaubsreisen und Sportkurse. Kinder beim Spielen draußen im Garten oder im Park beobachte ich mittlerweile viel seltener als früher.

Doch meine Kindheit liegt auch schon eine Weile zurück und Zeiten ändern sich. Ich bin Anfang der 90er geboren und seitdem hat sich eben einiges getan. Ein Faktor ist die Berufstätigkeit der Mütter. Denn während Frauen früher häufig beruflich zurücksteckten, um die Betreuung der Kinder zu übernehmen, sind heute immerhin 46,6 Prozent der Berufstätigen weiblich. Davon arbeiten wiederum 34,2 Prozent der Frauen in Vollzeit.

Das bedeutet also, dass heute meistens beide Eltern berufstätig sind.

In einigen Familien arbeiten sowohl Mama als auch Papa in Vollzeit. Im besten Fall stehen Angestellten in Deutschland 30 Urlaubstage zur Verfügung, dem gegenüber stehen 75 Schulferientage. Da gibt es also nur begrenzt gemeinsame freie Tage. Schon allein deswegen sind Familien auf feste Strukturen und Freizeitangebote angewiesen, um die Betreuung der Kinder in der kompletten Ferienzeit zu gewährleisten.

Diplom-Sozialpädagogin Cordula Klaffs von der Berliner „Immanuel Erziehungs- und Familienberatung Helmholtzplatz” ist sich außerdem sicher, dass der Druck, der auf Eltern lastet, zugenommen hat: „Nach außen sieht alles schick aus, aber innerhalb der Familie nehmen die Spannungen zu.” Beide Elternteile arbeiten, um ihren Lebensstandard zu halten. Beide kämpfen ständig gegen die Uhr und gegen all das Unvorhergesehene, das die mühsam aufgebaute Alltagslogistik zum Einsturz bringen kann.

In unserem digitalen und durchoptimierten Alltag fehlen vielen Erwachsenen die Phasen zum Durchatmen.

Gleichzeitig plage viele Eltern ein schlechtes Gewissen, weil sie fürchten, zu wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen. Das Resultat sind die oft beschriebenen Helikopter-Eltern. Gemeint sind überbehütende Eltern, die ihre Kinder unbewusst zur Unselbstständigkeit erziehen.

Sie wollen natürlich nur das Beste für ihr Kind, neigen aber dazu, sehr leistungsorientiert zu denken, Schwächen nicht zu akzeptieren und den Alltag der Kinder möglichst effizient durchzuplanen. Da sind die Ferien natürlich keine Ausnahme. Der hohe Anspruch dieser Mütter und Väter sorgt leider dafür, dass in der knapp bemessenen Freizeit der Kinder das freie Spielen und die Erfahrung von Selbstständigkeit zu kurz kommen.

Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, das Expert*innen „Wohlstandsvernachlässigung” nennen.

Eltern können ihren Kindern vieles kaufen – den eigenen Fernseher im Zimmer, das neuste iPhone oder teure Reit-, Ballett- und Klavierstunden. Statt kreativ zu sein, sollen Kinder möglichst viele Fremdsprachen können und am besten mehrere Instrumente erlernen, gute Sportler sein und so viele soziale Kontakte haben wie möglich. Alles Dinge, die viel Zeit beanspruchen und damit unterm Strich Zeit fürs freie Spiel nehmen.

Hirnforscher bemängeln schon seit Jahren, dass die meisten Kinder zu viel Freizeitstress haben. Die provokante These von Hirnforscher Gerald Hüther: Zu viel Freizeitstress macht Kinder dumm. „Spielen ist Dünger für das Gehirn und Kraftfutter für Kinderseelen. (…) Aus der Hirnforschung weiß man, dass völlig absichtsloses Spielen für die besten Vernetzungen im Gehirn sorgt“, sagte er gegenüber der Schweizer Zeitung Blick.

Immer mehr Kinder hängen am Tablet, anstatt sich draußen zu bewegen

Und tatsächlich bestätigen Experten in dem Zuge auch meine Beobachtung: Draußen zu spielen, ist vielen Kindern mittlerweile fremd geworden. Dabei sind sie Gestalter und Entdecker. Sie wollen mit anderen in Kontakt treten.

Digitale Medien seien lediglich eine Art Ersatz, wenn es nicht ausreichend Anreize gibt, um rauszugehen. Studien haben längst bewiesen: Kinder, die viel draußen spielen, profitieren ein Leben lang davon.

War also früher alles besser?

Nein, das nicht. Wer daran zweifelt, der darf gerne mal einen Blick auf unseren Text zu den cleveren, aber fragwürdigen Erziehungslügen unserer Eltern werfen. Doch eines war in unserer Kindheit meistens wirklich besser: Wir hatten (durchschnittlich betrachtet) mehr Freizeit und Gestaltungsspielraum als Kinder heute. 

Vielleicht hilft schon das Wissen darum, ab und zu Freiräume für Kinder zu schaffen und nicht die komplette Freizeit durchzuplanen. Damit auch mal wieder Platz für Langeweile da ist – oder fürs Federn sammeln und auf Bäume klettern.

Wie ist das bei euren Kindern: Haben sie Zeit, um frei zu spielen oder ist ihr Alltag eher vollgeplant? Tauscht euch gerne in den Kommentaren dazu aus.

Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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