Erziehung als Machtmissbrauch: Familiencoach warnt Eltern

Kinder zu erziehen ist doch die Pflicht aller Eltern, oder? Plötzlich tauchen aber immer mehr Experten auf, die vor einer „Erziehung” warnen und diese als Gewalt auslegen. Das sorgt für Verwirrung, schließlich möchten niemand seinem Kind etwas Böses, wenn er oder sie versucht, es zu erziehen. Wir erklären euch, was dahintersteckt.

„Das ist Machtmissbrauch.”

Familiencoach, Autor und Familylab-Gründer Mathias Voelchert äußert sich aktuell besonders kritisch. Für ihn ist Kindererziehung ein klarer Fall von Machtmissbrauch. „Es geht schließlich um kleine Menschen“, sagt Voelchert im Gespräch mit FOCUS online. „Da nehmen sich Erwachsene, nur weil sie größer sind und meinen, ihre Erfahrungen wären die richtigen, raus, kleine Menschen zu manipulieren, zu strafen, zu beschämen. Und darauf reagieren Kinder: die machen dann zu und gehen in Aggression. Das ist Machtmissbrauch.“

Insbesondere dann, wenn Strafen oder andere Methoden der Manipulation eingesetzt werden, um Kinder in eine bestimmte Richtung zu formen, lehnt der Familiencoach „Erziehung” ab. Bei der Frage, ob Erziehung Machtmissbrauch ist, muss also zunächst geklärt werden, was man darunter überhaupt versteht. Viele Eltern gehen davon aus, dass der Verzicht auf Erziehung auch der Verzicht auf sämtliche Regeln und Grenzen nach sich zieht, eine Fehleinschätzung.

Strafen als „Bankrotterklärung”

Möchten sich Eltern als jemand verstehen, der sein Kind begleitet, ihm ein gutes Vorbild ist und erklärt? Oder soll das Kind „gehorchen”, ohne zu verstehen, warum? Im zweiten Fall erreichen Mütter und Väter ihr Ziel nur, wenn sie ihre Kinder für unerwünschtes Verhalten bestrafen. Voelchert findet, dass Strafen in Eltern-Kind-Beziehungen nichts zu suchen haben. Sie seien eine „Bankrotterklärung”.

„Nur weil sie keine bessere Idee haben, eine Strafe einzuführen – das mag in der Gesellschaft üblich sein. Aber in Familien, wo es um engste Bindungen und um Vertrauen geht, da ist es kein probates Mittel, Kinder zu strafen.“ Der Familiencoach folgt einer Grundregel des bekannten Familientherapeuten Jesper Juul, die besagt, dass man nichts mit seinem Kind machen sollte, was man nicht auch mit dem Partner tun würde.

„Auszeiten” spielen mit den Urängsten der Kinder

So sei die „Auszeit“ immer noch eine beliebte Erziehungsmaßnahme, bei der ein Kind für sein Verhalten bestraft wird, indem es auf sein Zimmer geschickt wird, um darüber nachzudenken. Voelchert gibt zu bedenken, dass jeder Ausschluss aus der Gemeinschaft die schlimmste Strafe ist, die ein Mensch erfahren kann. Bei dieser Strafe wird also mit den Urängsten der Kinder gespielt. Mehr zum Thema Auszeiten für Kinder erfährst du HIER >>>

Zu unserem Partner würden wir nie sagen, dass er für ein Verhalten, das uns nicht passt, auf sein Zimmer gehen soll. Und warum machen wir das dann so mit Kindern? Für Voelchert liegt das daran, dass diese Methoden seit Generationen weitergegeben werden. Viele von uns wurden selbst noch so erzogen. Für ihn ist klar, dass die Erziehung, wie wir sie kennen, auf den Müll gehört. „Denn: Erziehung ist eigentlich eine Unverschämtheit”.

„Kinder sind wie Feuermelder.”

Mit Strafen sind übrigens nicht nur Auszeiten gemeint, sondern auch eine Abkehr vom Kind, emotionale Distanz, oder der Entzug eines Privileges wie Fernsehen oder Süßigkeiten. Das physische und psychische Gewalt tabu sind, sollte mittlerweile allen klar sein. Durch all diese Strafen wird das Kind zum Schuldigen, es allein ist Schuld an dem Konflikt und hat die Konsequenzen zu tragen. Das sei unfair, schließlich gehören zu einer Auseinandersetzung immer zwei dazu.

Voelchert fordert deswegen Eltern auf, genauer hinzusehen. Sie sollten nicht einfach das unerwünschte Verhalten abstrafen, sondern überlegen, was dahintersteckt. Wenn es in der Familie immer wieder zu Konflikten kommt, sind die Eltern dafür verantwortlich, die Ursache zu finden. Kinder würden durch ihr scheinbar negatives Verhalten lediglich den wertvollen Hinweis geben, dass etwas gerade nicht stimmt. „Kinder sind wie Feuermelder”, erklärt der Familiencoach. Sie zeigen lautstark, wenn Handlungsbedarf besteht.

Warum erwarten Erwachsene eine Anpassungsleistung nur von den Kindern?

Doch in den Schulen und Familien laufe es stattdessen so, dass die Symptome, das unerwünschte Verhalten der Kinder, einfach ausgeschaltet werden. Die Ursache werde meistens ignoriert und das vor allem deshalb, weil damit ein Schuldeingeständnis und ein schlechtes Gewissen einhergeht. Doch es gehe nicht um Schuld: „Es geht um Beteiligung. Es geht darum, dass ich als Elternteil am Verhalten meines Kindes beteiligt bin. Und durch meine Beteiligung habe ich eine Verantwortung.“

Er appelliert an alle Eltern und stellt das Konzept von Erziehung mit Strafen infrage: „Nur weil die Erwachsenen nicht mit dem Verhalten von Kindern umgehen lernen wollen und ihr eigenes Verhalten nicht korrigieren wollen, erwarten sie, dass die Kinder die Anpassungsleistung erbringen müssen an ihre richtige Erwachsenenwelt. Und wenn man sich diese Erwachsenenwelt anguckt, kann man sagen, die ist ganz schön kaputt.“

Doch zum Abschluss findet der Familiencoach auch versöhnliche Worte.

Niemand kann immer alles richtig machen, deswegen sei es normal, dass Eltern Fehler machen. Vielleicht schreien sie doch mal, obwohl sie das eigentlich nie wollten. Oder sie schicken das Kind in sein Zimmer, obwohl das eigentlich ein Tabu ist. Wichtig ist, dass Mutter oder Vater sich in einem solchen Fall entschuldigen. Bei einer ehrlichen Entschuldigung auf Augenhöhe fühle sich das Kind wieder mit seinen Eltern verbunden. „Und das Kind vergibt sofort und es spürt: meine Eltern sind auf meiner Seite. Und das ist entscheidend für seine weitere Lebenskompetenz.“

Falls du dich gerade fragt, wie ein solcher Alltag ohne herkömmliche Erziehung aussehen könnte, empfehle ich dir unseren Beitrag: Erziehung ist Gewalt! Warum wir unser Kind nicht erziehen”.

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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