„Alles was er hatte, war dieses schielende Auge“

Brandon von Humans of New York fotografiert und interviewt Menschen auf den Straßen New York Citys.

Für eine Spendenaktion im Kampf gegen Krebs im Kindesalter („Let’s Help Dr. O’Reilly Fight Pediatric Cancer“) interviewte er kleine Patienten und ihre Eltern – wie Julie, die Mutter von Max:

„Max hatte zwei Mütter. Wir fanden einen Samenspender, und haben ihn durch künstliche Befruchtung bekommen. Er war eigentlich ein Zwilling. Aber ich entschied mich, die Schwangerschaft zu reduzieren, weil ich zu der Zeit so Angst hatte. Ich dachte, ich schaffe es nicht mit Zwillingen. Diese Entscheidung wird mich den Rest meines Lebens verfolgen. Max war so ein liebes Kind. Ich war etwas hart zu ihm. Ich wollte sichergehen, dass er die Grenzen kannte, die ich nie hatte. Aber ich glaube, dass wir uns deshalb auch näher waren. Weil er wusste, dass ich ihn immer beschützen würde. Und er wollte mich auch immer verteidigen, aber in so einer liebevollen Art. Manchmal hielt er mein Gesicht in seinen Händen. Gott, er war so süß. Einfach so ein lieber Kerl. So lustig. Er liebte es, zu lachen. Sein Zimmer war neben unserem, und manchmal hörten wir ihn lachen, spätabends, nur mit sich selbst.

Er fing auf einem Auge an zu schielen, als er sechs Jahre alt war. Ich war nicht sehr besorgt. Er war so ein gesundes Kind. Ich dachte, vielleicht ist das eine Auge einfach etwas faul. Aber der Arzt wurde sehr nervös während der Untersuchung. Er machte einen Termin für ein MRT, und meinte zu mir: ‚Lassen Sie uns nicht zu beunruhigt sein. Ich werde heute gut schlafen.‘ Das war so ein seltsamer Satz. Oder? Ich war total entspannt, bis er das sagte. Wir gingen früh am nächsten Tag zum MRT-Termin, danach ging ich zur Arbeit. Die Resultate kamen nach ein paar Stunden. Sie riefen mich an, als ich auf der Straße lief. Ich bin einfach auf dem Fußweg zusammengebrochen.

Er hatte einen Tumor im Gehirn. Der Arzt sagte, er wisse, welcher es sei. Er sagte, es sei ein DIPG und dass es nichts gäbe, was helfen würde. Und dass es ihn mit der Zeit töten würde. Und ich fing an zu schreien. Und ich fragte wie lange noch. Und er sagte, ein Jahr. Er sagte, ’nichts zu tun‘ wäre eine akzeptable Option. Und er sagte, ‚das wird schlimmer für sie, als für Max‘. Und ich erinnere mich, wie ich Max anschaute. Er war so hübsch. Alles was er hatte, war dieses schielende Auge. Unser Leben war so wunderschön, und nun war alles schrecklich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Also gingen wir in einen Lego-Laden. Er war besessen von Legos. An diesem Abend bekam er so viele Legos.

Ich glaube, ich habe post-traumatisches Stress-Symptom. Ich habe so viele entsetzliche Flashbacks. Zwei Wochen nach Max‘ Diagnose fragte er mich, ob ich für immer seine Mama sein würde. Ich sagte ‚Natürlich werde ich das sein.‘ Und er fragte: ‚Auch wenn ich 90 bin?‘ Und ich sagte ‚Ja‘. Was hätte ich auch sagen sollen? Und dann all die Male, die er über die Zukunft sprach. Wir sprachen vom College. Ich konnte es ihm nicht sagen. Gott, ich war so ein Feigling. Ich hätte es ihm sagen sollen. Ich konnte es einfach nicht. Sogar am Ende. Am Tag bevor er das Bewusstsein verlor, las ich ihm sein Lieblingsbuch vor. Es heißt „Runaway Bunny“. Ein kleiner Hase droht immer, wegzulaufen. Und die Hasenmama sagt immer ‚Wo auch immer du hingehst, ich werde dich finden.‘ Oh Gott, es war so eine entsetzliche Art zu sterben. Er konnte nicht mehr sprechen, oder sich bewegen, oder schlucken, oder sehen. Er ist im Grunde verhungert. Und die ganze letzte Woche hab ich in sein Ohr geflüstert: ‚Lass los. Lass los. Bitte, Max, lass los.‘ Mein siebenjähriger Sohn. Ich sage ihm, er soll los lassen. Ich meine, scheiße, das sollte es nicht geben. Und die ganze Zeit habe ich ihm nie gesagt, dass er sterben wird. Ich war so ein Feigling. Aber er wusste es. Er wusste es, ohne dass ich es ihm gesagt habe. Weil er ein paar Wochen, bevor er starb, fragte: ‚Mama, sprechen sie englisch, da wo ich hingehe?‘

Ich war immer eine wirklich glückliche Person. Wirklich. Ich war diejenige, die aus der Tür ging und sagte, ‚Ist das nicht alles schön? Ist das Leben nicht wundervoll? Haben wir nicht so ein Glück?‘ Ich habe dieses Glücksgefühl nicht mehr. Ich erinnere mich an den Muttertag vor Max‘ Diagnose. Wir waren in diesem Park hier. Auf dem Rasen da drüben. Es war wunderschön. Wir drei waren da. Irene und ich waren verliebt. Und Max lag auf meinen Füßen und tat so, als würde er fliegen. Er lachte so laut und ich erinnere mich, wie glücklich und voller Leben ich mich gefühlt habe. Es war das letzte Mal, dass ich wirklich Freude gespürt habe.“

Ohne weitere Worte, aber dafür mit Tränen in den Augen.

Der Mai ist Hirntumor-Bewusstseinsmonat und der 17. Mai Bewusstseinstag für den DIPG-Hirnturmor.

Wir erinnern uns an alle kleinen Kämpfer!

Als Stammzellenspender kann man Blutkrebspatienten neue Hoffnung schenken – registriert euch hier.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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