Stillen gilt oft als inniger Moment zwischen Mutter und Kind. Doch was, wenn genau dabei plötzlich dunkle Gefühle aufkommen? Larissa erlebt beim Anlegen ihres Babys immer wieder eine Welle aus Traurigkeit, Angst und innerer Leere – und versteht lange nicht, warum. Bis sie auf einen Begriff stößt, den kaum jemand kennt: Dysphorischer Milchspendereflex.
Triggerwarnung: Dieser Text thematisiert eine traumatische Geburt. Lies die Geschichte also nur, wenn du dich emotional dazu in der Lage fühlst.
„Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich mit diesem Thema rausgehen soll. Und trotzdem: Ich möchte meine Geschichte teilen. Weil ich mich damals so unglaublich allein gefühlt habe.
Ich habe mir ständig selbst die Schuld gegeben.
Dafür, wie ich mich gefühlt habe. Dafür, dass ich dachte, ich würde meinen Job als Mama nicht gut machen. Und dann sah ich dieses Video von einer Comedienne, die genau das Gleiche erlebt hatte wie ich – es war wie ein Befreiungsschlag. Ich wusste: Ich bin nicht allein. Und deshalb erzähle ich das jetzt auch.
Vor zweieinhalb Jahren hatte ich eine sehr traumatische Geburt. Mein Sohn kam per ungeplantem Kaiserschnitt zur Welt. Danach riss mein Uterus weiter ein, was zu inneren Blutungen führte – ich musste in ein anderes Krankenhaus auf die Intensivstation. Ich wurde erneut operiert, und es war nicht klar, ob meine Gebärmutter gerettet werden konnte.
Mein Mann war in dieser Zeit allein mit unserem Baby.
Die Ärzte konnten meine Gebärmutter retten, aber ich hatte viel Blut verloren und war körperlich am Ende. Mein Kind durfte mich tagsüber besuchen – aber selbst das war jedes Mal eine Herausforderung. Ich weiß noch, wie die Krankenschwestern alles versuchten, damit das mit dem Stillen klappt. Auch nachts weckten sie mich zum Abpumpen. Und ich weiß noch genau, wie surreal es war, als dann wirklich Milch kam – ohne dass mein Baby da war.
In diesem Moment ist innerlich alles in mir zusammengebrochen. Bis dahin war ich im Überlebensmodus. Doch mit dem Milcheinschuss kamen all die Hormone – und plötzlich traf mich mit voller Wucht, was da eigentlich passiert war: Die traumatische Geburt. Die Trennung von meinem Kind. Ich wollte nur noch raus aus dem Krankenhaus. Nichts schien mich so kaputt zu machen wie die Trennung von meinem Sohn.
Trotz allem klappte das Stillen zwischen uns – aber es fühlte sich für mich furchtbar an.
Ich legte ihn an – und jedes Mal war es, als würde eine Depression über mich hereinbrechen. Ich hatte das Gefühl, jegliche Lebensfreude zu verlieren. Es war so extrem, dass ich dachte: Das kann doch nicht nur an der Geburt liegen? Aber ich wusste auch nicht, was es sonst sein sollte.
Die Gefühle hielten an – vor allem beim Stillen auf der rechten Seite. Ich konnte kaum essen, so schlecht ging es mir. Und in den Phasen des Clusterfeedings wurde es besonders schlimm. Ich hatte das Gefühl, ich sei depressiv – stundenlang jeden Tag. Und gleichzeitig dachte ich: Was stimmt nicht mit mir? Stillen ist doch etwas Wunderschönes.
Warum fühle ich mich so furchtbar?
Ich habe mir selbst Vorwürfe gemacht. Immer und immer wieder. Bis ich irgendwann das Video von der Comedienne sah und anfing zu recherchieren – und zum ersten Mal von „Dysphorischem Milchspendereflex“ (D-MER) las. Es geht dabei um einen plötzlichen Dopaminabfall, der während des Stillens starke negative Emotionen auslösen kann. Und das war für mich eine Offenbarung.
5 bis 15 Prozent der stillenden Mütter sind davon betroffen.
Aber das Phänomen wurde erst 2007 (!) überhaupt beschrieben – von einer Hebamme, die beim dritten Kind selbst darunter litt. Ich war schockiert: Frauen stillen seit Jahrtausenden – aber es hat so lange gedauert, bis jemand das ernst nimmt?
Als ich dann durch Zufall dieses eine Video sah – von jemandem, die genau so fühlte wie ich – war das der erste Moment, in dem ich mich wirklich verstanden fühlte. Bis dahin hatte ich nur mit meinem Mann über diese Gefühle gesprochen. Ich wusste plötzlich: Ich bilde mir das nicht ein. Ich bin nicht allein.
Immer wieder habe ich gedacht: Ich mache alles falsch.
Dabei war es schlicht eine körperliche Reaktion. Ich hatte keine Brustentzündung, keinen Milchstau. Mein Sohn hat mich nie gebissen. Und trotzdem – jedes Mal beim Anlegen kamen diese dunklen, verzweifelten Gefühle. Irgendwann fängst du an, an dir selbst zu zweifeln.
Heute geht es uns gut. Die negativen Gefühle beim Stillen haben nach und nach abgenommen. Insgesamt habe ich anderthalb Jahre gestillt. Trotz traumatischer Geburt und dem Dysphorischen Milchspendereflex habe ich es geschafft, eine einige Beziehung zu meinem Sohn aufzubauen – und vor allem zu meiner Identität als Mama zu finden.

Larissa und ihr kleiner Sohn. Foto: Inka Junge, IG: klitzekleinefotografie
Ich wünsche mir, dass mehr Frauen von diesem Phänomen erfahren.
Dass wir darüber sprechen. Dass wir uns weniger schuldig fühlen – und erkennen: Vielleicht liegt es nicht an mir. Vielleicht passiert da einfach etwas in meinem Körper. Und es gibt kleine Wege, sich selbst zu helfen. Zum Beispiel, sich bewusst kleine Dopamin-Kicks zu geben – und vor allem: Sich selbst keine Vorwürfe zu machen.
Wenn meine Geschichte dazu beitragen kann, auch nur eine andere Mutter zu entlasten, dann hat sich das alles schon gelohnt. Denn niemand sollte sich beim Stillen schlecht fühlen – und denken, sie sei allein damit.”
Liebe Larissa, vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
Nach ihrer eigenen lebensverändernden Erfahrung mit Geburt und Elternzeit hilft Larissa heute Frauen nach der Elternzeit ihre neue berufliche Erfüllung zu finden. Schaut gerne bei www.larissahofer.com oder bei Instagram @workingmom_de vorbei.
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Liebe Aileen,
lieben Dank für deine Nachricht an Larissa, über die sie sich sehr freuen wird! Und wir teilen deine Meinung, wir finden sie auch unglaublich stark.
Liebe Grüße,
Laura
Liebe Larissa,
ich habe noch nie von diesem Phänomen gehört und bin nicht selbst betroffen.
Doch das was du beschreibst, hat mich tief getroffen und ich bin dir unsagbar dankbar, dass du den Mut hast, deine Geschichte öffentlich zu machen. Auch dein Mitgefühl, mit all den unsichtbaren Müttern, die seit Jahrtausenden nicht wussten wie ihnen geschieht, hat mich sehr berührt.
Danke, dass du D-MER sichtbarer gemacht hast. Ich bin mir sicher, dass dein Text für alle Betroffenen sehr heilsam ist.
Und all mein Respekt für dich, dass du diese Erfahrung durchgestanden hast. Du bist eine bewundernswerte, starke Frau und eine fantastische, liebevolle Mutter!
Alles Liebe