„Du machst dir zu viele Gedanken!“ Warum das der beste Rat überhaupt war

Bevor man das Abenteuer „Kinder haben“ startet, hat man glücklicherweise und in den meisten Fällen ungefähr neun Monate Vorbereitungszeit. Wenn man ein Mensch ist, der für alles und immer einen Plan braucht, bedeutet das: Neun Monate, in denen man einen Plan entwickeln kann.

Also habe ich in neun Monaten gefühlt 300 Bücher zu Schwangerschaft, Baby-Entwicklung, Stillzeit, Trotzphasen, Kindererziehung, Ernährung etc. gelesen. Diese hatten sich Schlagwörter wie „Gelassenheit“, „Achtsamkeit“, „spielerische Förderung“, „Selbstbestimmung“ und „sanfte Grenzen2 auf die Fahne geschrieben.

Es passierte Einiges in mir, als ich Ratgeber um Ratgeber aus der Bücherei nach Hause schleppte und Abend für Abend im Bett liegend (wie empfohlen auf der linken Seite und mit Baby-Mozart-Musik im Hintergrund) studierte. Natürlich wie es sich gehört, mit Notizblock und Stift. Mein Mann lachte, schüttelte den Kopf und ließ mich gewähren.

Meine Mama war nicht so gelassen. Als sie mitbekam, was in meinem ehelichen Schlafzimmer vor sich ging, machte sie das, was gute Mütter manchmal machen müssen: Sie schimpfte. Aber nur ein bisschen, denn eigentlich fand sie es wohl auch ganz lustig. Ich schimpfte zurück: „Du bist doch Expertin! Du hast deine vier Kinder großbekommen und aus uns allen ist was geworden. Also hilf mir lieber statt zu meckern und gib mir Tipps!“

Woraufhin sie genau diesen Satz sagte: „Du machst dir viel zu viele Gedanken!“

Ich?! Zu viele Gedanken?! Kinder sind doch das Wichtigste der Welt! Darüber kann man sich überhaupt nicht zu viele Gedanken machen! Oder?

Doch Mama meinte: „Du bist eine gutherzige, liebevolle Frau. Du solltest auf kein einziges Buch hören, sondern nur auf dein Gefühl. Das und dein Kind werden dir genau zeigen, wie dieses ‚Kinder-haben‘ funktioniert.“

Pffff. So ein irrationaler Quatsch, dachte ich. Sagte es aber nicht, weil ich meiner Mama nicht zu nahe treten wollte.

So kam es, dass ich am Ende der neun Monate schon einen super genialen Plan für die nächsten zehn Jahre hatte. Ich wusste genau, was passieren sollte: Ich würde die ersten paar Wochen nach Bedarf stillen und dann langsam und sanft versuchen, die Intervalle zu erhöhen. Ich würde mit dem Kind zum Babysingen und zum Babyschwimmen gehen, um die Gefahr des Ertrinkens als Kleinkind zu minimieren und die Gehirnentwicklung zu fördern. Ich würde mit genau sechs Monaten zum ersten Mal einen (selbstgekochten!) Karottenbrei verfüttern, Zucker und Salz gäbe es erst nach Ablauf von mindestens 18 Monaten. Ich würde mein Kind mit zehn Monaten langsam vom Schnuller entwöhnen. Ich würde bei Fieber und Erkältungen nicht überreagieren wie eine hysterische Glucke. Ich würde in den ersten Trotzphasen geduldig und ganz nach dem Erziehungsexperten Jesper Juul reagieren. Ich würde niemals weggehen und niemals schreien. Ich würde …. die Liste war lang.

Ihr ahnt schon, was jetzt kommt, oder?

Meine Mutter hatte natürlich so was von Recht.

Es kam nämlich der Tag der Geburt, die ich mit Räucherstäbchen, ganz entspannt die Wehen veratmend, in optimaler, halb sitzender Position, würdevoll und tapfer leidend erleben wollte. Schon nach der zweiten Wehe merkte ich, dass mein Plan ja ganz gut gewesen war, um meine Nervosität in Grenzen zu halten. Aber kein bisschen was mit der Realität zu tun gehabt hatte.

Ich hatte völlig unterschätzt, was kommen würde. Ich schrie vor Schmerzen, wurde von der Hebamme in die Badewanne bugsiert, wo mein Kreislauf hops ging, so dass ich schnell wieder raus musste. Schon nach vier Stunden – inzwischen ganz ohne Würde – gab ich auf und rief nach Schmerzmitteln. So viel zum allerersten Schritt meines Plans!

In dieser Tonart ging es weiter. Mein Sohn hielt mich von Anfang an auf Trab, ich war müde, müde, müde. Selbst um die Still-Intervalle auszudehnen, war ich zu müde, denn um das durchzuziehen, braucht man Energie. Stattdessen bin ich bei jeder Gelegenheit eingeschlafen. Im Nachhinein gesehen hat das viele, ungeplante Kuscheln dazu beigetragen, dass unsere Mama-Kind-Bindung richtig stark wurde.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wie müde man als Mama sein kann. Foto: Bigstock

Beim Babysingen waren wir trotzdem. Genau zwei Mal. Trotz schwangerschaftlicher Bauchbeschallung fand mein Sohn das völlig unspannend. Er krabbelte herum, bohrte mit seinen Fingern in Steckdosen herum und spielte Verstecken in den Vorhängen, während ich mir die Kehle aus dem Leib sang.

Wir switchten also zur Krabbelgruppe, in der mein Kind alleine rumkrabbelte, während ich mit den anderen Mamas Kaffee trank. So gegen den Plan, aber so viel entspannter und eine wahre Freude für uns alle!

Die Sache mit dem Babyschwimmen haben wir auch durchgezogen. Aber wir haben es erst nach 1,5 Jahren Lebenszeit geschafft. Vorher fehlten Zeit, Energie und Wille, denn mein Sohn ist die größte Frostbeule der Welt. Selbst im warmen Thermenwasser fing er nach nur zwei Minuten an, zu zittern und blaue Lippen zu bekommen. Das war so nicht geplant!

Was soll ich sagen…. als mein Kind das erste Mal hohes Fieber hatte, war es sofort vorbei mit Gelassenheit. Und das war gut so! Wir rauschten mit dem brüllenden Kind im Taxi ins Krankenhaus, wo eine schlimme Blasenentzündung diagnostiziert wurde. Böse, aber leider notwendige Antibiotika kamen zum Einsatz und dem Mini ging es schnell wieder gut. Beim nächsten Fieberschub ein paar Monate später blieb ich merkwürdigerweise wirklich gelassen, um nach drei Tagen mit den roten Drei-Tage-Fieber-Pünktchen „Entwarnung“ zu werden. Also wieder: aufs Gefühl gehört, richtig gemacht.

Im zarten Alter von fünf Monaten begann unser Sohn schon, nach unserem Essen zu greifen. Im zarten Alter von sechs Monaten spuckte er meinen Brei wieder aus und schob sich stattdessen die unpürierte Möhre in den Mund. Hallo, völlig ungeplantes und in der Schwangerschaft als total gefährlich eingestuftes Baby-led-weaning!

Die Liste meiner Planänderungen ist ebenfalls lang. Am Ende lief es also genau so, wie meine Mutter es prophezeit hatte: Das Baby und das Bauchgefühl machen den Plan und beide halten sich nicht an Erziehungsratgeber.

Heute ist aus dem Baby von damals ein glückliches Vorschulkind geworden, ganz ohne psychische oder gesundheitliche Probleme.

Wenn ich zwischen den Babysachen von damals noch die alten Notizzettel finde, bin ich diejenige, die lacht. Im Nachhinein gesehen hätte ich mit der Zeit wohl wirklich Besseres anstellen können…. Mama hat eben immer Recht.

Rebecca
Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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