Cyclebreaking: „Ein mildes Herz ist die beste Antwort.”

Wie oft passiert es, dass wir etwas zu Kindern sagen – und plötzlich klingt die eigene Mutter oder der eigene Vater durch? Warum ist das so? Und wie können wir das durchbrechen, was uns in der eigenen Kindheit vielleicht geschadet hat?

Familientherapeutin und Autorin Carina Thiemann, die selbst Bonus- und Sternenkind-Mama ist, hat Antworten. Und viele praktische Tipps für Eltern, die achtsamer erziehen wollen – und dabei auch sich selbst besser verstehen möchten.

„Mein Kinderwunsch war auch ein Ruf nach meiner eigenen Mutter.”

Echte Mamas: Carina, auf deinem Instagram-Kanal „Welt von unten“ sprichst du ganz offen über Elternschaft, alte Wunden und neue Wege. Gab es einen Schlüsselmoment, in dem dir klar wurde: Ich will genau das machen?

Carina Thiemann: Ja, tatsächlich erinnere ich mich sehr genau an zwei Situationen. Eine war bei meiner Arbeit als Sozialpädagogin beim Jugendamt. Ich saß mit einer Mutter und ihrem zehnjährigen Sohn zusammen – und konnte bei beiden total mitfühlen. Aber sie haben einander einfach nicht erreicht. Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, zwischen diesen Perspektiven zu übersetzen.

Echte Mamas: Du bist Bonus- und Sternenkind-Mama – und wünschst dir ein gemeinsames Kind mit deiner Partnerin. Wie haben diese Erfahrungen und Perspektiven deinen Blick auf Elternschaft verändert?

Carina Thiemann: Enorm. Ich habe irgendwann verstanden: Mein Kinderwunsch war auch ein Ruf nach meiner eigenen Mutter. Das ist ein Schlüsselmoment für viele Eltern – wir gehen oft mit unerfüllten Bedürfnissen aus der Kindheit in die Elternschaft. Wenn dann ein kleines Wesen kommt, das uns bedingungslos liebt, kann es schnell zu einer Rollenkonfusion kommen.

Wir erwarten dann unbewusst etwas von unserem Kind, das eigentlich unsere Eltern uns hätten geben sollen: Bestätigung, wenn wir unsicher sind. Zuwendung, wenn wir traurig oder einsam sind. Doch damit bürden wir unseren Kindern eine Verantwortung auf, die viel zu groß ist und gar nicht zu ihnen gehört. Diese Erkenntnis hat mir geholfen, meine eigenen Muster zu verstehen – und mich davon zu befreien.

Echte Mamas: Warum verfallen wir in der Elternschaft so oft in alte Muster?

Carina Thiemann: Weil unsere Kindheit wie eine Brille ist, durch die wir alles sehen – auch uns selbst und unsere Kinder. Was wir früher erlebt haben, prägt unser Denken und unsere Reaktionen.

Wenn wir für Leistung gelobt wurden, kann es uns heute schwerfallen, Pausen zu machen oder einfach mal unproduktiv zu sein. Oder wenn wir in Mimik, Gestik oder beiläufigen Aussagen gespürt haben, welche Kleidung, Ausdrucksweisen oder Entscheidungen unsere Eltern bevorzugen, wirkt das unbewusst bis heute nach. Denn Kinder wollen tief in sich immer die Beziehung zu ihren Eltern schützen.

Wenn wir das nicht bewusst hinterfragen, reagieren wir automatisch so, wie wir es gelernt haben – auch wenn das gar nicht mehr zu unseren heutigen Herzenswerten passt.

Was ist eigentlich mit Cyclebreaking gemeint?

Echte Mamas: Du sprichst von „Cyclebreaking“. Was bedeutet das?

Carina Thiemann: Cyclebreaking heißt, den Kreislauf von Mustern zu durchbrechen. Für mich persönlich bedeutet das: Bewusst wahrnehmen, woher eine Reaktion kommt – und ob sie wirklich zu mir gehört. Viele Schwierigkeiten in der Elternschaft haben ihren Ursprung nicht nur in unserer eigenen Kindheit, sondern reichen über Generationen zurück. Wenn wir das verstehen, können wir milder mit uns selbst werden – und gleichzeitig klarer darin, wie wir es anders machen wollen.

Echte Mamas: Wie merke ich denn im Alltag, dass ich gerade aus einem alten Muster heraus reagiere?

Carina Thiemann: Oft gibt es ein Störgefühl: ein schlechtes Gewissen, ein innerer Druck. Ich ermutige dazu, dieses Gefühl ernst zu nehmen – aber nicht im Konfliktmoment selbst. Sondern danach, in Ruhe.

Ich empfehle dafür das Familienrad – ein einfaches Reflexionstool, das die eigene Familiendynamik sichtbar macht. Es ist ein Kreis mit acht „Pizzastücken“, die jeweils einem Thema zugeordnet sind, zum Beispiel „Aufteilung Mental Load & Care-Arbeit“, „Erwerbsarbeit“ oder „Innere Sicherheit & Emotionsmanagement“.

Man schätzt die eigene Zufriedenheit in jedem Bereich auf einer Skala von 0 = gar nicht zufrieden bis 10 = absolut zufrieden ein. So ergibt sich ein eindrückliches Bild davon, wie „rund“ es im Familienleben gerade läuft. Ich nutze verschiedene Varianten des Rads – es ist ein wunderbarer Einstieg in bewusste Gespräche über Bedürfnisse, Rollen und Grenzen.

Echte Mamas: Was kann ich akut tun, wenn ich zum Beispiel laut geworden bin?

Carina Thiemann: Zuerst: mild mit sich selbst sein. Ich sage oft: „Ein mildes Herz ist die beste Antwort.“ Sich selbst sagen: Ich hatte einen Grund. Ich war müde. Und ich darf mich auch selbst liebevoll begleiten.

Danach kommt der zweite Schritt: dem Kind gegenüber Verantwortung übernehmen – ohne dass das Kind mich trösten muss. Ich sage offen: Mein Verhalten gerade war nicht okay, es tut mir leid. Aber ich hole mir die Stabilität nicht vom Kind zurück, sondern finde sie selbst wieder.

Viele Eltern plagen Schuldgefühle, wenn sie entgegen ihrer Werte handeln. Doch wir dürfen daraus lernen und wachsen, statt uns von unseren Kindern Absolution zu erhoffen. Denn Kinder sagen nach eskalierten Konflikten oft „Ich hab dich lieb“ – aber nicht nur aus Liebe, sondern aus Sorge um die Verbindung zum Elternteil. Es ist unsere Aufgabe, Sicherheit wiederherzustellen, indem wir Ruhe und Stabilität ausstrahlen – nicht die Kinder.

Wie du deine eigenen Muster durchbrechen kannst

Echte Mamas: Gibt es konkrete Alltagsimpulse, die helfen, alte Muster zu durchbrechen?

Carina Thiemann: Ja, zum Beispiel: Terminstopps einbauen. Sich fragen: Muss das wirklich sein? Habe ich aus einem alten Leistungsanspruch heraus zugesagt? Hilfreich ist auch ein Mantra wie „Ich bin gut genug“. Oder spielerisch ausprobieren: Wie wäre es, wenn ich eine Stunde lang so tue, als müsste ich nicht perfekt sein?

Echte Mamas: Gibt es eine Übung, mit der Eltern direkt loslegen können?

Carina Thiemann: Das Genogramm ist sehr kraftvoll – eine Art Familien-Stammbaum, in dem nicht nur Namen, sondern auch Beziehungen, Erlebnisse und Muster visualisiert werden. Es kann sehr erhellend sein zu sehen, wie sich bestimmte Themen durch Generationen ziehen. Und es bringt oft Gespräche in Gang, die Verständnis schaffen.

Echte Mamas: Wenn du Mamas nur eine Sache mitgeben dürftest – welche wäre das?

Carina Thiemann: Dann wäre es: Sorge gut für dich. Das ist keine Floskel. Es ist die Grundlage dafür, dass du auch gut für deine Kinder sorgen kannst. Viele Eltern investieren so viel – und vergessen sich selbst dabei. Cyclebreaking beginnt mit Selbstfürsorge.

Echte Mamas: Carina, in deinem neuen Buch „Kindheit ohne Gepäck“ teilst du viel Persönliches und viele Tools. Was war für dich das wirkungsvollste?

Carina Thiemann: Für mich war es die EFT-Klopftechnik – eine Methode aus der energetischen Psychologie, die wissenschaftlich fundiert ist und sogar bei posttraumatischen Belastungsstörungen erfolgreich angewendet wird. Dabei werden bestimmte Akupunkturpunkte sanft mit den Fingern beklopft, während man sich auf ein Gefühl oder Thema konzentriert.

Man kann auch mit speziellen Sätzen arbeiten. Das Ziel ist, Blockaden zu lösen, die für belastende Gefühle sorgen oder aus transgenerationalen Verstrickungen entstanden sind. So können emotionaler Stress, Ängste oder auch körperliche Symptome gelindert werden.

Mir persönlich hat das Klopfen geholfen, Wut, Überforderung oder Traurigkeit nicht einfach zu verdrängen, sondern wirklich zu durchfühlen – und dadurch echte Veränderung in Gang zu setzen.

Liebe Carina Thiemann, vielen Dank für das spannende Gespräch!
Carina Thiemann

Carina Thiemann

Hat dir das Interview Lust gemacht, dich intensiver mit deinen Familienmustern auseinanderzusetzen? Dann empfehlen wir dir Carinas neues Buch:
Kindheit ohne Gepäck – wie du alte Muster durchbrichst und mit deinem Kind neue Wege gehst.”*

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Kindheit ohne Gepäck

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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