Cowden-Syndrom: „Ich helfe meinem Sohn nicht, wenn ich seine Defizite leugne.”

„Mein Sohn Joshua und ich leiden am Cowden-Syndrom (Mutation des Pten-Gens). Wir sind 1:200.000 und zählen somit zu den Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Herausgestellt hat es sich, weil eine liebe Ärztin zugehört hat, als ich gesagt habe: irgendetwas stimmt mit meinem Sohn nicht. Sie hat mir versprochen, alle Tests anzuordnen, die es gibt und hat mir gesagt: ‚Wenn wir nichts finden, dann vielleicht nicht, weil Joshi nichts hat. Vielleicht existiert diese Krankheit noch nicht, ist nicht erforscht oder unbekannt.‘

Joshi wurde zu dem Zeitpunkt vom SPZ Lübeck kontrolliert, aufgrund seiner Frühgeburtlichkeit.

Doch ich war der Meinung, dass erklärt nicht alles. Besonders die langsame Entwicklung machte mir Sorgen. Kurz habe ich mich selbst damit beruhigt, dass Joshi ein Frühchen ist. Aber dann überholten ihn andere Kinder. Mein Sohn war immer schon auf mich fixiert, er hat sich an mir orientiert. Das machen viele Kinder. Aber es war anders. Veränderungen waren für ihn extrem schwer, selbst wenn sie noch so klein waren. Er brauchte sehr viele Wiederholungen.

Nach einigen Untersuchungen wurde vorsichtshalber die Humangenetische Analyse angeordnet. Und die war nach mehreren Monaten positiv auf das Pten- Gen. In der Zwischenzeit habe ich gehört: ‚Warum machen Sie das? Das Kind braucht Zeit. Stressen Sie sich nicht. Das verwächst sich.‘ Der beste Spruch war: ‚Ihr Sohn sieht aus wie Sie – und Sie sind auch nicht krank.‘

Ich war während der ganzen Monate ziemlich verzweifelt.

Man hardert mit sich. Als die Diagnose stand, wurde uns als Eltern angeboten, auch den Test zu machen. Das Gen muss nicht vererbt sein, doch ich habe gleich gesagt: ‚Alles passt. Joshi hat es von mir!‘ Und tatsächlich ist es so. Bei mir wirkte sich das Cowden-Syndrom schon früh aus, indem alles stark wuchs. Als ich 14 war, waren meine Mandeln so stark verwuchert, dass die Ärzte gleich von Krebs sprachen. Das wurde dann schnell revidiert, da es nur Wucherungen waren.

Mit 17 hatte ich einen Knoten in der Brust. Die Schilddrüse wurde jetzt entfernt. Die war auch so voll mit Knoten, dass sie schon fast auf der Speiseröhre war. Am 29.02. werde ich eine prophylaktische Masektomie haben. Ich habe mich auch dazu entschieden, weil ich wieder Knoten in beiden Brüsten habe. Die Krankheit ist sehr vielschichtig – wie ein Chamäleon.

Mir wurde immer gesagt: ‚Na, ihr Sohn ist ja lieb.‘

Na ja, das ist er wirklich, ganz Zucker. Aber trotzdem hat er Defizite. Und ich helfe ihm nicht, wenn ich diese leugne. Ich möchte ihm helfen. Joshis Kopfumfang ist 56 cm bei einer Körpergröße von 122 cm. Vergleichsweise hat mein Mann einen Kopfumfang von 54 cm bei 190 cm Körpergröße. Ergo muss Joshi seinen Kopf immer ausbalancieren. Das kostet Kraft. Diese Probleme wurden am Anfang nicht sehr ernst genommen. Das muss man aber.

Die Ärztin hat mir nach der Diagnose gleich erklärt, dass man am bei ihnen am Klinikum keine Erfahrungen mit dem Befund hat. Sie hat mir geraten, nach Bonn zu fahren. Dort befasst man sich unter anderem mit der Krankheit. ‚Wir wissen nicht, ob wir es richtig machen.‘ Das sind nicht die Worte, die man als Patient hören will. Wenn Ärzte ratlos sind, was macht das erst mit den Patienten?

Joshis Symptomatik ist sehr vielschichtig.

Er hat eine Makrozephalie (zu großer Kopf) und eine Muskelschwäche, ist motorisch eingeschränkt/verzögert. Zusätzlich hat er eine Entwicklungsverzögerung und autistische Züge. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er im Spektrum (Autismus) einzuordnen ist. Wir müssen in regelmäßigen Abständen unzählige Vorsorgeuntersuchungen machen: Hautkrebs, Schilddrüse, Darm, Niere, Gebärmutter, Brust.

Die Muskelschwäche wirkt sich auch beim Sprechen aus. Natürlich sabbelt Joshi wie ein Wasserfall, aber im Laufe des Tages, wenn die Kräfte schwinden, versteht man ihn sehr schlecht, weil er sehr hypothon ist.

Es sind die Begleiterscheinungen, die uns zusätzlich alles erschweren.

Energie kann nur einmal abgegeben werden und Joshi ermüdet sehr schnell. In unserem Fall war die Krankenkasse sehr kulant und wir haben einen Reha-Buggy bekommen, um den alltäglichen Bedarf zu schaffen. Zusätzlich kämpfen wir jeden Tag um Akzeptanz. Die meisten Menschen verstehen nicht, warum Joshi mit fünf Jahren immer noch im Buggy gefahren wird. Ein großer, kräftiger Junge! Seine Behinderung ist für andere unsichtbar und macht sich dennoch stark bemerkbar.

Der Kindergarten unterstützt uns, indem Joshi im Bollerwagen mit den Kleinen sitzen kann. So schafft er es, an den Ausflügen teilzunehmen. Mein Sohn ist fünf und weiß, dass er ein Cowdi ist. Wir sind anders. Mich berührt es sehr, wenn betroffene Eltern mich anschreiben und sagen: ‚Wir wissen nicht weiter.‘ Es gibt eine Selbsthilfegruppe für uns, aber es gibt Eltern, die möchten die Erkrankung nicht nach außen tragen.

Ständig hat das Kind was. Immer müde. Immer diese Arztbesuche, das kostet Nerven.

Eltern, die die Gen- Mutation selbst nicht haben, würden oft gerne verstehen, wie es ihrem Kind damit geht. Es hilft ihnen, zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Gerade am Anfang ist es schwierig mit der Diagnose. Es ist so zermürbend, sich immer wieder erklären zu müssen. Und dann die Blicke, an denen man merkt, dass man mal wieder als Helikopter-Eltern abgestempelt wird.

Ich würde mich freuen, wenn mein Sohn keinen Schwerbehindertenausweis hätte. Wenn er sich alleine an-und ausziehen könnte. Wenn er alleine auf der Treppe hopsen könnte, ohne dass ich Angst haben muss, er verliert mal wieder das Gleichgewicht aufgrund seines Muskeltonus. Es wäre schön, wenn ich mit dem MDK bei Pflegestufe 3 nicht diskutieren müsste, warum ich ein Therapiefahrrad beantragt habe. Das sind Sorgen, die wir Eltern von Kindern mit Cowden-Syndrom haben.

Und manchmal sagen uns Ärzte: ‚Na, aber das ist ja so ein liebes Kind.‘

Trotzdem haben unsere Kinder Beeinträchtigungen, die man sehen muss. Nur dann kann man auf lange Sicht helfen. Wir sind sehr froh, dass wir uns jederzeit an die Ärzte der Uniklinik Hannover wenden können. Dort wird mein Sohn einmal im Jahr untersucht. Denn Fakt ist, eine Krankheit verläuft nicht immer gleich. Und wir sind selten. In Schleswig-Holstein gibt es drei Personen mit dem Cowden-Sydrom. Mein Sohn und ich sind zwei davon.

Ich freue mich jedes mal über ein neues Mitglied in unserer Selbsthilfegruppe. Es bedeutet, dass ein Arzt engagiert war. Nicht weggeschaut hat, zugehört hat. Jede Aufmerksamkeit, die wir bekommen, hilft allen Betroffenen im Kampf um das Verständnis für das Cowden-Syndrom. Und trägt dazu bei, dass mehr Menschen diagnostiziert werden und sich einer Vorsorge unterziehen können, die unter Umständen ihr Leben retten kann.”


Liebe Anita, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

Du hast das Cowden-Syndrom oder dein Kind hat das Cowden-Syndrom? Mehr Infos zur Selbsthilfegruppe gibt es HIER >>>

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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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