Body Neutrality: Nö, ich feiere meinen Körper nicht

Erinnert ihr auch noch an die erste Dove-Reklame? Plötzlich waren auf Plakaten verschiedene Frauenkörperformen und Hautfarben abgebildet. Über die Jahre nahmen immer mehr Frauen in aller Welt ihren Mut zusammen, zeigten Dehnungsstreifen, hängende Brüste, und wie sich Bäuche über den Sliprand wölben. Dabei habe ich viel gelernt. Zum Beispiel, wie wunderbar ich diese Vielfalt finde, aber auch, wie sehr meine eigenen Idealvorstellungen bis dahin von dünnen, minderjährigen Models geprägt worden waren. Was anderes gab es vorher schließlich kaum zu sehen, weil es verschämt hinter kaschierender Mode versteckt oder sogar verspottet wurde.

Die Body-Positivity-Bewegung hat viel für einen realistischeren Blick auf Frauenkörper getan. Das finde ich großartig. Aber so langsam stresst mich der Hashtag #Bodypositivity. Vielleicht, weil ich mich davon unter Druck gesetzt fühle, ebenfalls meinen Körper abzufeiern.

Ich liebe meinen Körper nicht, aber ich bin froh, dass es ihn gibt

Mal schauen: Müde sehe ich in den Ganzkörperspiegel, um den Tag mal mit einer positiven Affirmation zu beginnen. Hallo, ihr megacoolen Winkearme, ich liebe euch! Echte Partystimmung kommt bei mir dabei nicht auf. Da muss ich mich wohl noch mehr ins Zeug legen. Ich winkle den Arm an, balle meine Hand zur Faust und schaue auf meine gut versteckten Armmuskeln. Yeah, shagga, Frauenpower.

Könnte ich jetzt auf Instagram posten. Aber dann überlege ich mir, stattdessen lieber ein unterhaltsames Buch zu lesen. Liebe ich mich etwa nicht genug?

Vielleicht kommt mir der Hype auch nur langsam etwas zwanghaft vor. Selbst ganz schlanke Mädchen mit glatten, blonden Mähnen pressen ihr eigentlich nicht vorhandenes Bäuchlein in eine Wölbung und betiteln das Bild dann mit #Bodypositivity.  Ich weiß, dass sich viele darüber ärgern, wenn normschöne Frauen auf diese Art „kokettieren“. Es lenkt den Blick natürlich wieder von dem ab, was unter dem Schlagwort endlich sichtbar gemacht werden sollte:  dass weder Grammzahl, Körperform, noch die Hautfarbe unseren Wert bestimmen. Ich persönlich finde, dass Mädels, die den Hashtag „missbrauchen“, keine Angriffe verdient haben. Stattdessen sollten wir uns einfach immer gegenseitig unterstützen – das brauchen sogar Frauen, die auf den ersten Blick idealtypisch scheinen. Vielleicht nehmen sie ihren Körper ganz anders war als wir. Wer weiß, wie lange sie an ihrem Mindset feilen mussten, um sich so zu zeigen.

Der Hype darf nicht zum neuen Druckmittel werden

Vielleicht haben diese Mädels aber auch einfach nur Schiss, was passieren würde, wenn sie weiter ihren idealmaßigen Körper durchgestreckt im Bikini vor Traumkulisse präsentieren. Vielleicht würde man ihnen dann vorwerfen, nicht authentisch, sondern gefährlicher Fake und ein giftiges Vorbild zu sein. Irgendwie gibt es immer einen Grund, andere (in sozialen Netzwerken) fertigzumachen.

Und leider wird das Gute auch immer schnell als Waffe verwendet . Wer hat nicht schon erlebt, wie Frauen den Feminismus ausnutzen, um über andere Frauen zu urteilen  („Du willst bei deinen Kindern bleiben? Merkst wahrscheinlich nicht mal, dass du ein Opfer des Patriarchats bist“, „Wenn du XY nicht auch denkst, fühlst, tust, willst, dann bist du gar keine Feministin“).

Ich verschweige deshalb meistens, dass ich gerne fünf Kilo abnehmen würde.  „Das tust du doch bestimmt nur für andere, du Normenopfer?!“, würde ich gefragt werden. Ich könnte dann ehrlich erwidern, dass ich nicht wie ein Model aussehen will und niemals werde. Ich laufe nur zum Beispiel wahnsinnig gerne, ich liebe das Gefühl der Leichtigkeit, wie sich mein Körper in der schnellen Bewegung anfühlt. Derzeit bleibt das Gefühl aber aus und auch die Gelenke laufen nicht wie geschmiert.

Ich wette, mindestens eine würde zweifelnd ihre Augenbrauen hochziehen und denken: Voll die Ausrede,  Laufen kann ja schließlich keinen Spaß machen, oder?  Und ich würde anfangen, mich für etwas zu rechtfertigen, das andere gar nichts angeht. Nur weil wir andere so schnell in Schemata pressen, die unsere Sicht auf die Welt bestätigen.

Was ist eigentlich gegen Okay einzuwenden?

Nicht missverstehen – ich lehne den Hype nicht grundsätzlich ab. Vielleicht sind wir auch noch gar nicht so weit, den Hashtag aufzugeben. Diskriminierende Körperbilder sitzen tief, und wenn man etwas verändern will, muss man es mit dem Gegenentwurf wohl erstmal übertreiben, bis die Botschaft einsickert. Außerdem verdanke ich all den Frauen, die sich so offen gezeigt haben, viel. Seit wir  von vielfältigeren Körperbildern überflutet werden, denke ich nicht mehr reflexhaft beim Anblick eines dünnen Körpers, dass er schöner ist. Mit einem Mal kommen mir ALLE Körper einfach so… normal vor. Und das finde ich cool. 

Ich bin meinem Körper nämlich wirklich dankbar für alles, was er vollbringt. Aber ich bin nicht verknallt ihn ihn. Überhaupt will ich mich nicht dauernd mit ihm beschäftigen, aber nicht, weil ich ihn ablehne. Deshalb ist mir Body Neutrality lieber – weil ich meinen Körper vor allem als nützliches Werkzeug und als Hülle für das sehe, was ich eigentlich bin. Deshalb pflege ich ihn auch, um das zu bewahren, was sich dahinter verbirgt – meine Liebe zu Abenteuergeschichten und Pinguinen,  wie ich mein Kind zum Lachen bringe, den Traum, einmal Polarlichter zu sehen…   Ist es nicht eigentlich das, was zählt?

 

Jana Stieler
Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger "Berge" (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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