Angststörung: „Ich stelle mir täglich vor, wie jemand stirbt, den ich liebe.”

Triggerwarnung

Der folgende Beitrag schildert die Erfahrungen einer Mutter mit Angststörungen. Wenn du dich damit nicht wohl fühlst, solltest du den Text nicht lesen.


„Ich koche Essen für mich und meinen Sohn und schaue auf die Uhr, dabei bemerke ich, dass er bereits einige Minuten zu spät ist. Sofort bekomme ich kalte Hände. ‚Nur nicht durchdrehen‘, versuche ich, mich zu beruhigen. Dann checke ich mein Handy, in der Hoffnung, dort eine Nachricht zu finden, die seine Verspätung erklärt.

Das Display zeigt keine neue Nachricht an, mein Herz schlägt bis zum Hals.

Ich kann es nicht mehr stoppen: die Bilder prasseln auf mich ein. Mein Sohn, wie er auf dem Heimweg von einem Auto erfasst wird. Ich kann die Sirenen förmlich hören, das Blut sehen, mir wird übel vor Angst und ich sinke auf den Küchenfußboden, kauere mich dort zitternd zusammen. Die Panik schnürt mir die Kehle zu.

Dann vibriert das Handy in meiner schweißnassen Hand: Mein Sohn, er verspätet sich, hat sich noch mit seinem Kumpel an der Schule verquatscht. Mich überkommt eine riesige Erleichterung, aber gleichzeitig bin ich auch wütend – auf ihn und auf mich selbst.

Seitdem ich Mutter bin lebe ich mit einer Angststörung.

Jeder macht Witze über hysterische Mütter, aber die wenigsten Menschen machen sich bewusst, wie es wirklich ist, wenn man wegen Kleinigkeiten in extreme Panik verfällt. Wenn man das Gefühl hat, dass einem die Liebsten jeden Moment entrissen werden können.

Natürlich reagiere ich viel zu extrem auf alltägliche Situationen, aber ich kann nichts dagegen tun. Es ist, als ob mein Gehirn in einem ständigen Alarmzustand wäre, als ob es nur darauf wartet, dass das nächste Unglück geschieht. Ich bin ständig angespannt und komme nie zur Ruhe.

Einmal hatte ich einen merkwürdigen Kopfschmerz, den ich mir nicht erklären konnte.

Wahrscheinlich hatte ich einfach zu wenig getrunken, oder zu wenig geschlafen. Aber ich drehte völlig durch, war überzeugt davon, dass ich einen Hirntumor hatte und mich von meiner Familie für immer verabschieden muss. Alles nur wegen ein bisschen Kopfschmerzen.

Wenn ich in meine Vergangenheit zurückblicke, war ich schon immer ein vorsichtiger Mensch, der sich viele Sorgen machte – um sich und um andere. Doch mit den Kindern hat diese Vorsicht ein ungesundes Maß angenommen.

Besonders schlimm war es nach der Geburt meiner ersten Tochter.

Ich habe monatelang kaum geschlafen, weil ich solche Panik wegen des plötzlichen Kindstods hatte. Mein Mann durfte die Kleine nicht mal durch den Raum tragen, weil ich mir sicher war, dass er stolpern und sie fallen lassen würde. Er überredete mich dann glücklicherweise dazu, dass ich mir professionelle Hilfe hole. Andernfalls wüsste ich nicht, wie ich das Kleinkind-Alter durchgestanden hätte.

Trotzdem: Jedes Mal, wenn eines meiner Kinder unglücklich fiel, sich verschluckte oder auf dem Klettergerüst bis ganz nach oben klettern wollte, drehte ich innerlich durch. Denn in solchen Momenten bin ich mir sicher: ‚Das war’s. Das ist jetzt der Moment, in dem dein ganzes Glück wie eine Seifenblase zerplatzt.‘

Auch heute noch geht jedes Mal das Kopfkino los, wenn meine Kinder oder mein Mann zu spät nach Hause kommen.

Ich werde dann zu einem panischen Kontroll-Freak, der frenetische Nachrichten schreibt und anfängt, die Krankenhäuser abzutelefonieren. Die schlimmsten Horrorszenarien werden in meinem Kopf so real, dass ich mich selbst nicht mehr beruhigen kann.

Und so überzeugend wie sie wenige Minuten zuvor noch waren, so schnell verpuffen sie, wenn mein Gehirn den Gegenbeweis zu seinen grauenerregenden Theorien erhält. Zumindest fürs Erste.

Früher war ich nach solchen Situationen vor allem wütend.

Wütend, auf meinen Mann, dass er nicht besser aufgepasst hat, als meine Tochter vom Fahrrad fiel, wütend auf meinen Sohn, der als letzter aus dem Klassenzimmer kam und wütend auf mich selbst, weil ich diese Unwägbarkeiten nicht vorhergesehen hatte.

Danach kam eine lange Phase, in der mich für meine Ängste und mein Verhalten geschämt habe. Ich habe versucht, sie wegzudrücken und  mich ‚normal‘ zu verhalten. Geholfen hat das nicht, im Gegenteil, je mehr ich versuche, die Ängste zu verdrängen, desto schlimmer kommen sie zurück.

Inzwischen habe ich gelernt, mit der Angst zu leben.

Denn die Angst ist mein ständiger Begleiter, ob ich möchte oder nicht. Das Gute ist, dass Gefühle verfliegen, das gilt für die positiven aber auch für die negativen. Jede meiner Angstattacken hat also ein absehbares Ende.”


Liebe Karina, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg. Am liebsten erkunde ich mit ihm die vielen grünen Ecken der Stadt. Auch wenn ich selbst keine Mama bin, gehören Babys und Kinder zu meinem Leben dazu. Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert und ich komme als „Tante Lena“ zum Einsatz. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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