Die meisten Eltern sind auf die Kita angewiesen, um den Spagat zwischen Kinderbetreuung und Beruf zu bewältigen. Umso beunruhigender sind die Ergebnisse einer neuen Studie.
Lange Wartelisten, extremer Personalmangel: Experten warnen schon lange vor den alarmierenden Zuständen in deutschen Kitas.
Nun hat das auch eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands untermauert, wie verschiedene Medien berichten. Die Studie stützt sich auf die Einschätzung von knapp 1200 Befragten, überwiegend Kita-Leiterinnen, in den Einrichtungen des Verbands. Sie wurden von Anfang Juni bis Anfang August 2021 über ein Onlinetool befragt.
Laut der Studie ist der Personalmangel die größte Baustelle, welche weitere Probleme mit sich bringt. Die Fluktuation in deutschen Kitas ist extrem hoch. Damit steigt auch das Stresslevel für die Kinder, die sich immer wieder an neue Bezugspersonen gewöhnen müssen. Welche Auswirkungen ein Wechsel der Bezugspersonen in der Kita für Kinder haben kann, erfahrt ihr HIER >>>
Doch noch verheerender sind die Folgen für den Betreuungsschlüssel.
Laut einer umfangreichen Studie der Bertelsmann-Stiftung liegt der ideale Betreuungsschlüssel (Verhältnis von Betreuungspersonen zu Kindern) in einer Kinderkrippe mit Kindern unter 3 Jahren bei 1 : 3. Das sei die Voraussetzung dafür, dass Fachkräfte auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen können und diese sich gut entwickeln, erklärt die Kindheitspädagogin Rahel Dreyer im Interview mit dem Spiegel.
Doch dieser Personalschlüssel hat in Deutschland Seltenheitswert. An einigen Kitas liegt er bei 1:5 oder ist sogar noch schlechter. Was erschwerend hinzukommt: Urlaube und Krankheiten werden dabei in der Regel noch nicht einmal berücksichtig. In der Praxis müssen Erzieher*innen also noch viel mehr Kinder betreuen.
„Teilweise beobachteten wir verwahrlosende Zustände.”
Die Kindheitspädagogin Rahel Dreyer warnt außerdem, dass die Pandemie die Situation noch verschlechtert habe: „Viele Erzieherinnen und Erzieher sind am Ende ihrer Kräfte. (…) Der Stresspegel bei den Fachkräften und den Kindern ist gestiegen. Teilweise beobachten wir verwahrlosende Zustände.”
Doch die Situation sei auch schon vorher besorgniserregend gewesen. Bei einer Studie an Berliner Krippen von 2016 bis 2018 zeigte sich, dass rund ein Fünftel „deutliche Anzeichen von Anspannung” aufwiesen. Die Kinder wirkten „teilnahmslos” und „niedergeschlagen”. Nur selten traten die Krippenkinder in Kontakt mit den Fachkräften oder anderen Kindern, obwohl es sich bei den teilnehmenden Berliner Kitas um Einrichtungen mit einer guten bis mittleren personellen Ausstattung handelte.
Für die Kindheitspädagogin ist klar, dass die Betreuungsschlüssel zwingend besser werden müssen.
„Mehrere Studien belegen, dass sich Kinder sprachlich, kognitiv und sozial ungünstig entwickeln, wenn diese Standards unterlaufen werden. Bei den unter Dreijährigen, die eine besonders vulnerable Gruppe darstellen, sind die Effekte noch eindeutiger erkennbar als bei den über Dreijährigen.” Sie sei „sehr besorgt”, da die Kita die Weichen für das weitere Leben stellt.
Zustände an Kitas seien ein Faktor für Lerndefizite und psychische Auffälligkeiten
„Wenn sich ein Kind so lange in einem für seine Entwicklung nicht förderlichen Setting aufhält, bleibt das nicht folgenlos.”
Für die Kindheitspädagogin ist die an vielen Orten unzureichende Betreuung „sicher ein Faktor” für große Defizite beim Lernen und die Zunahme der psychischen Auffälligkeiten. Aussagen, die vielen Eltern wahrscheinlich Bauchschmerzen verursachen. Auch Dreyer weiß, dass viele Familien auf die Kinderbetreuung angewiesen sind, um arbeiten und ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Kindheitspädagogin steht Kitas trotzdem positiv gegenüber
Warum die Expertin sich trotzdem als Befürworterin der Kitas bezeichnet? Wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden, dann sei der Besuch einer Kita für die Kinder eine „riesige Chance”. „Hier werden die Grundlagen gelegt, damit die Kinder in der Schule einen guten Start haben (…). Nach pandemiebedingten Kitaschließungen haben wir gesehen, wie wichtig der Kontakt zu Gleichaltrigen und das Zusammenspiel in der Gruppe für Kinder sind.”
Die Kindheitspädagogin möchte also Eltern kein schlechtes Gewissen machen, weil sie ihre Kinder in die Kita geben, sondern die Missstände sichtbar machen. „Wir dürfen nicht länger sehenden Auges in die Katastophe laufen, sondern die Politik muss jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, um die Rahmenbedingungen in den Kitas zu verbessern.”
Wie beurteilst du die Bedingungen in eurer Kita? Tausche dich über deine Erfahrungen gerne in den Kommentaren aus!
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