Papa & Papi: „Familie entsteht im Herzen und nicht auf dem Papier.“

Bjoern und Christian sind seit mehr als elf Jahren ein Paar und seit sieben Jahren Eltern. Ihr Umfeld reagiert sehr offen auf die Regenbogenfamilie, doch leider haben sie auch immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. Welche das sind, und was sie darauf antworten, wie das Leben als Eltern sie verändert hat, was sie sich grundsätzlich wünschen, und welchen Tipp sie anderen Regenbogenfamilien geben, haben „Papa & Papi“ uns in ihrer Echten Geschichte erzählt:

„Wir sind Papa Bjoern (47), Papi Christian (43), unser achtjähriger Sohn Lukas, unsere kleine Prinzessin (4 Wochen) und Labrador Anton. Wir leben in einem Häuschen auf dem Land, in der Nähe von München. Christian arbeitet als Langstreckenpurser bei einer großen deutschen Airline, und wir beide haben mit Papandpapi® unser eigenes Unternehmen aufgebaut.

Kennengelernt haben wir uns vor 15 Jahren über eine Dating-Plattform im Internet.

Nach einem kurzen Chatverlauf haben wir telefoniert, dabei hat Christian sich sofort in Bjoerns Stimme verliebt. Noch am selben Abend saß Bjoern mit seinem Golden Retriever auf Christians Sofa, drei Monate später ist Christian dann bei ihm eingezogen.

Mit seinem Outing als 20-Jähriger hatte Bjoern auch seinen Kinderwunsch an den Nagel gehängt.

Damals schien die Entscheidung für ihn zu sein: Schwul oder Familie. Adoption oder Pflege als homosexuelles Paar waren zu dieser Zeit kaum ein Thema. Nur einige Prominente Beispiele gab es, wie zum Beispiel Patrick Lindner mit seinem Mann.

Bei Christian war das etwas anders: Er begrub seinen Kinderwunsch nicht, sondern legte ihn gedanklich in eine Schatulle und stellte sie ins Regal. Erst nach unserer Hochzeit, zwei Jahrzehnte später, holte er den Gedanken wieder hervor und fragte Bjoern: ‚Kannst du dir vorstellen, ein Pflegekind aufzunehmen?‘.

Bjoern konnte sich eine Pflegschaft zuerst nicht vorstellen.

Zu groß war seine Angst, dass ein Pflegekind nach Jahren wieder in die Herkunftsfamilie zurückkehren müsste. Also bewarben wir uns als Adoptionsfamilie und durchliefen einen intensiven Prozess mit Fragebögen, Gesprächen, Seminaren und weiteren Überprüfungen.

Am Ende war uns jedoch klar, dass die Wahrscheinlichkeit einer Adoption unglaublich gering ist. Wir verstanden, dass viel zu viele Adoptionsbewerber auf viel zu wenige Adoptionsbabys warten. Bjoern war zu diesem Zeitpunkt knapp 40 Jahre alt – und damit war es fraglich, ob wir über diesen Weg überhaupt ans Ziel kommen würden.

Doch die größte Hürde waren wir selbst.

Wir hatten im Verlauf viele Zweifel und wussten oft nicht, was das Amt hören oder lesen wollte. Dabei ging es nie um richtige oder falsche Antworten, sondern einfach darum, man selbst zu sein. Der Prozess war anstrengend und führte zu vielen Diskussionen. Am Ende macht man sich vor fremden Menschen ‚nackig’‚ und ist sehr persönlichen Fragen ausgesetzt.

Wir mussten uns intensiv mit der Kinderfrage auseinandersetzen: Katalogartig sollten wir entscheiden, welches Alter wir uns vorstellen können, welche Herkunft, welchen religiösen Hintergrund usw. Hier klare Entscheidungen zu treffen und ein Kreuzchen zu setzen, fiel oft nicht leicht. Leider bekamen wir auch Fragen gestellt wie:

‚Zu wem von Ihnen beiden sagt das Kind denn dann Mama?‘

Nachdem wir viel über die Wahrscheinlichkeiten einer Rückführung von Dauerpflegekindern und das System dahinter gelernt hatten, öffneten wir uns diesem Gedanken.

In Deutschland gibt es deutlich zu wenige Bewerber für zu viele Pflegekinder, dadurch wurde uns bewusst, dass die Chance, ein Kind aufzunehmen, hier wesentlich größer ist. Gleichzeitig erhält man für jedes vorgeschlagene Kind einen sehr ausführlichen Bericht, in dem die Hintergründe der Herausnahme oder Abgabe erklärt werden. Daraus lassen sich viele Faktoren ablesen, die eine Entscheidung beeinflussen und auch etwas über die Wahrscheinlichkeit aussagen, dass das Kind langfristig in der Pflegefamilie bleiben kann. In diesem Moment wussten wir: Das wird unser Weg sein.

Mit einem verkürzten Verfahren bewarben wir uns für ein Pflegekind. Nur vier Tage später kam der alles verändernde Anruf:

‚Wenn Sie möchten, können Sie Papa und Papi werden.‘

Als Christian den ersten Anruf bekam, blieb für einen Moment seine Welt stehen.  Wir hatten uns jahrelang mit dem Thema auseinandergesetzt, und plötzlich sollte es wirklich so weit sein? Es fühlte sich anfangs völlig surreal an, schließlich hat man keine neun Monate Zeit, sich langsam vorzubereiten.

Bjoern war zu diesem Zeitpunkt auf einem Seminar, hunderte Kilometer entfernt, und saß abends allein in seinem Hotelzimmer mit dieser Nachricht.

Nach den ersten überwältigenden Glücksgefühlen schlichen sich plötzlich auch Zweifel und Ängste ein: Sind wir bereit dafür? Schaffen wir das?

Doch als unser Sohn dann da war, wichen diese Gedanken schnell extrem großer Freude.

Wir werden nie die erste Nacht vergessen, in der wir in der Tür des Kinderzimmers standen und beide stundenlang unseren Sohn anschauten, während dieser friedlich schlief. Es war, als würde er uns zeigen wollen, wie das mit einem Kind geht, als würde er sagen wollen, dass alles gut ist, so wie es ist.

Wir haben schnell festgestellt, dass auch andere Eltern nur mit Wasser kochen.

Dass niemand ein Kind bekommt und direkt alles weiß. Und da es ja auch keine Gebrauchsanleitung dazu gibt, haben wir einfach gemacht. Eine schon lange vorher gebuchte Schiffsreise sollte dann die endgültige Familienzusammenführung, den Bindungsaufbau und die Festigung perfekt machen.

Vor kurzem ist dann unsere kleine Tochter bei uns eingezogen.

Und irgendwie ist beim zweiten Kind alles anders. Wir sind heute viel entspannter als bei der Aufnahme unseres Sohnes. Obwohl wir unsere Kleine schon mit einer Woche zu uns genommen haben, und Lukas damals fast ein Jahr alt war, kam diesmal gar nicht erst die Frage auf, ob wir das schaffen. Innerhalb weniger Tage hatten wir unsere Rollen gefunden.

Natürlich hilft uns auch der Altersabstand: Lukas ist mit seinen 8 Jahren sehr selbstständig und unterstützt uns an vielen Stellen. Wir gehen insgesamt gelassener mit unserer Tochter um. Früher sind wir auf Zehenspitzen geschlichen, wenn das Baby schlief. Heute läuft nebenbei der Staubsauger oder die Spülmaschine.

Wir wissen inzwischen, dass wir nicht alles anders oder besser machen müssen als andere Eltern. Am Ende haben wir alle mehr oder weniger dieselben Themen. Wir werden das Rad der Elternschaft nicht neu erfinden, und wenn im Urlaub mal nur Pommes und Fischstäbchen auf dem Teller landen, schauen wir uns an, lächeln und wissen: Zuhause wird’s wieder anders aussehen.

Auch unsere Partnerschaft hat sich durch die Kinder verändert.

Wir nehmen uns selbst nicht mehr so wichtig. Unser Blick auf die Welt, auf Menschen und auf das, was geschieht, hat sich verändert. Wir haben verstanden, wie wenig es eigentlich braucht, um wirklich glücklich zu sein – und das macht uns insgesamt zufriedener.

Wir streiten heute kaum noch. Wenn wir diskutieren, dann selten über uns, sondern meist über Kinderthemen und unterschiedliche Ansichten im Umgang damit.

Schon während der Bewerbungsprozesse haben wir den jeweils anderen völlig neu kennengelernt. Viele Gedanken und Einstellungen zum Thema Kinder und Familie wären ohne all die Fragebögen und Gespräche vermutlich nie ans Licht gekommen.

Wir sehen uns heute mit anderen Augen und unser gegenseitiger Respekt ist mit den gemeinsamen Aufgaben gewachsen.

Im Familienalltag haben wir viele Dinge ganz praktisch nach Talenten und Vorlieben aufgeteilt.

Und wir haben geschaut, was wem von uns leichter fällt. Christian übernimmt zum Beispiel die meisten Nächte mit der kleinen Maus, weil es ihm einfacher fällt, nachts aufzustehen. Bjoern kümmert sich dafür morgens um Anton, bereitet das Frühstück für Lukas vor und holt dann die Kleine, damit Christian noch etwas schlafen kann.

Den Großteil der Wäsche macht Christian, während Bjoern sich um alle großen und kleinen Baustellen im Haus und Garten kümmere. Kochen und Hausarbeit teilen wir uns, genauso wie Schulthemen, Einkäufe und den Fahrservice.

Als Eltern erleben wir so viele bewegende Augenblicke.

Bei Lukas war es zum Beispiel der Übergang vom Kindergarten in die Schule, das immer weitere Loslassen. Bei unserer Tochter das erste bewusste Wahrnehmen und ihr langsames ‚Augenöffnen‘.

Aber mit Abstand die bewegendsten Momente waren für uns, überhaupt Eltern zu werden.

Wir können nicht auf einen positiven Schwangerschaftstest oder einen besonderen Arztbesuch zurückschauen. Wir hatten keine neun Monate Zeit, um uns auf die Geburt vorzubereiten. Bei uns klingelte zweimal einfach das Telefon, völlig unverhofft, ohne jede Vorbereitung, aus dem Nichts. Diese beiden Anrufe waren so surreal, so überwältigend, so unfassbar emotional.

Familie hat für uns in erster Linie nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun.

Familie ist für uns ein tiefes Gefühl, etwas, das im Herzen entsteht und nicht auf dem Papier definiert wird. Familie bedeutet für uns Liebe, Vertrauen und Zusammenhalt.

Familie ist dort, wo Kinder mit offenen Armen und offenem Herzen empfangen werden. Dort, wo sie spüren dürfen: Hier bin ich willkommen, so wie ich bin. Familie ist der Ort, an dem Sicherheit und Geborgenheit an erster Stelle stehen, egal, welche Namen auf der Geburtsurkunde stehen oder wie die Konstellation aussieht.

Für uns heißt Familie, füreinander da zu sein, ein Zuhause zu schaffen, in dem man wachsen, scheitern, träumen und lieben darf. Das Band entsteht nicht automatisch durch Gene, sondern durch Fürsorge, Respekt und das tägliche Miteinander. Familie hat für uns erst einmal nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun.

Familie ist für uns ein Gefühl. Familie entsteht im Herzen und nicht auf dem Papier. Familie ist da, wo geliebt wird, wo Kinder mit offenem Herzen empfangen werden, wo Sicherheit und Geborgenheit an erster Stelle stehen.

Unser Umfeld reagiert total offen auf unsere Regenbogenfamilie,

In unserem Dorf sind wir seit zehn Jahren vollständig integriert, hier kannte man uns allerdings schon, bevor wir Kinder hatten. Wir erleben sehr viel Offenheit, Toleranz und auch Liebe. Der Kindergarten feierte bei unserem Sohn am Muttertag stattdessen einen Papa- oder Papi-Tag und integrierte unser Familienmodell auch durch tolle Bücher wie ‚Zwei Papas für Tango‘.

Unsere Familie und Freunde unterstützen unseren Weg, wo sie nur können. Sie lachen mit uns, nehmen uns an die Hand und sind für uns da, wenn es einmal nicht so gut läuft.

Natürlich haben auch wir manchmal mit Vorurteilen zu kämpfen.

Am häufigsten hören wir: ‚Fehlt euren Kindern nicht die Mama?‘

Unsere Antwort darauf ist immer die Gleiche: Kinder brauchen vor allem Liebe, Sicherheit und verlässliche Bezugspersonen.

Oft kommt auch die Sorge: ‚Wird euer Sohn nicht gehänselt?‘ Unsere Erfahrung zeigt, dass Kinder meist offen und neugierig sind. Schwierigkeiten entstehen eher, wenn Erwachsene unsicher reagieren. Deshalb sprechen wir mit unserem Sohn offen über unsere Familie und stärken sein Selbstbewusstsein. Und wenn jemand sagt: ‚Das ist doch nicht normal‘, erklären wir, dass Familien ganz unterschiedlich aussehen können. Wichtig ist, dass Kinder geliebt und angenommen werden. Wir merken:

Durch ehrliche Gespräche lassen sich viele Vorurteile abbauen.

Wir wünschen uns, dass Regenbogenfamilien einfach als das gesehen werden, was sie sind: Ganz normale Familien voller Liebe.

Dass Kinder unabhängig vom Familienmodell selbstverständlich akzeptiert werden und nicht erklären müssen, warum ihre Familie ‚anders‘ ist. Wir wünschen uns, dass Vielfalt in Kitas, Schulen und in der Gesellschaft selbstverständlich gelebt wird, in Büchern, Sprache und im Alltag.

Und dass Vorurteile gar nicht erst entstehen, weil Kinder von klein auf lernen, dass Familie vor allem eines bedeutet: Menschen, die sich lieben und füreinander da sind.

Wir wünschen uns, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der sie so sein dürfen, wie sie sind, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Dass sie Liebe, Respekt und Offenheit erfahren, egal wo sie hingehen. Wir wünschen uns, dass sie stolz auf ihre Familie sein können, ohne Angst vor Ausgrenzung oder Vorurteilen zu haben.

Vor allem aber wünschen wir ihnen Selbstvertrauen, starke Wurzeln und die Freiheit, ihren eigenen Weg zu gehen, getragen von dem Wissen, dass sie geliebt und genau richtig sind.

Unser wichtigster Tipp für alle gleichgeschlechtlichen Paare, die über Kinder nachdenken:

Hört auf euer Herz und lasst euch nicht von Ängsten oder Vorurteilen bremsen.

Informiert euch gut über die verschiedenen Wege zum Kind, ob Pflege, Adoption, Co-Parenting oder andere Möglichkeiten, und vernetzt euch mit anderen Regenbogenfamilien. Sucht euch Menschen, die euch unterstützen, und baut euch früh ein stabiles Umfeld auf.

Aber vor allem: Vertraut darauf, dass Liebe und Sicherheit das sind, was ein Kind wirklich braucht. Der Rest findet sich Schritt für Schritt.“


Vielen Dank, lieber Bjoern und lieber Christian, dass wir eure Geschichte erzählen dürfen!

Mit ihrem Instagram-Account @papaundpapi, ihrem Podcast „PapaundPapi- Männerhaushalt“, verschiedenen Büchern und einem Bühnenprogramm machen Bjoern und Christian Regenbogenfamilien in der Gesellschaft sichtbarer. Sie bauen Vorurteile ab und setzen sich für mehr Toleranz und Akzeptanz ein. Schaut unbedingt mal bei den beiden vorbei!

Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.

Wir freuen uns auf Deine Geschichte!

Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]

 

 

 

Wiebke Tegtmeyer

Nordisch bei nature: Als echte Hamburger Deern ist und bleibt diese Stadt für mich die schönste der Welt. Hier lebe ich zusammen mit meinem Mann und unseren beiden Kindern. Nach meinem Bachelor in Medienkultur, einem Volontariat und einigen Jahren Erfahrung als (SEO-)Texterin bin ich passenderweise nach meiner zweiten Elternzeit bei Echte Mamas gelandet. Hier kann ich als SEO-Redakteurin meine Leidenschaft für Texte ausleben, und auch mein Herzensthema Social Media kommt nicht zu kurz. Dabei habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Ernährung von der Schwangerschaft über die Stillzeit bis hin zum Babybrei beschäftigt. Und wenn ihr auf der Suche nach einem Vornamen für euer Baby seid, kann ich euch garantiert passende Vorschläge liefern. Außerdem nutze ich die Bastel-Erfahrungen mit meinen beiden Kindern für einfache DIY-Anleitungen. Wenn der ganz normale Alltags-Wahnsinn als 2-fach Mama mich gerade mal nicht im Griff hat, fotografiere ich gern, gehe meiner Leidenschaft für Konzerte nach oder bin im Volksparkstadion zu finden.

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