„Die Kita lehnte unseren Sohn ab – wegen seiner Sehbehinderung.”

Larissas Sohn Aaron wurde mit einer Sehbehinderung geboren – genau wie sie selbst. Als er sechs Monate alt war, suchte die Familie einen Kitaplatz. Zunächst sah alles gut aus – bis plötzlich der Termin abgesagt und die Anfrage gelöscht wurde. Später erfuhr Larissa den wahren Grund: Aaron wurde abgelehnt, weil er eine Behinderung hat.

„Ich habe selbst eine Sehbehinderung und habe diese leider an meinen Sohn Aaron weitervererbt. Als er vier Wochen alt war, waren wir beim Augenarzt – dort wurde die Diagnose gestellt. Ich hatte unglaubliche Schuldgefühle. Aber gleichzeitig war uns völlig klar: Es ist unser Kind, unser Regenbogenwunder nach zwei Fehlgeburten.

Wir lieben ihn selbstverständlich genauso wie jedes andere Kind.

In unserem Alltag beeinflusst uns die Sehbehinderung kaum. Aaron ist jetzt neun Monate alt und in seiner Entwicklung sogar ein kleines Stück weiter als viele andere Kinder in seinem Alter. Immer wieder überrascht er uns damit, wie sehr er sich bei anderen Kindern abschaut, wie etwas geht – zum Beispiel, wie man sich hochzieht, hinsetzt oder krabbelt.

Neulich bekam er einen Heliumballon geschenkt. Er griff ganz gezielt nach der Schnur. Vielleicht sieht er doch mehr, als wir eigentlich gedacht haben.

Als Aaron sechs Monate alt war, hatten wir Kontakt zu einer Kita.

Sie sagten, dass sie uns ziemlich sicher einen Platz zusagen würden. Vor dem Kennenlerntermin informierten wir sie, dass unser Sohn eine Sehbehinderung hat. Zunächst hieß es: kein Problem. Aber fünf Minuten vor dem Termin kam eine Absage per Mail. Danach hörten wir nichts mehr von ihnen – unsere Anfrage im Online-Portal wurde einfach gelöscht, als ob wir uns nie beworben hätten.

Wir waren enttäuscht. Ich muss meine Bachelorarbeit fertig schreiben – das wollte ich machen, sobald Aaron gut in der Kita angekommen ist. Ich hatte Angst, gar keinen Platz mehr zu bekommen.

Ich sah schon alles auf Eis gelegt.

Kurz darauf erfuhren wir über die Freundin meiner Schwiegermutter – sie arbeitet in genau dieser Kita – den tatsächlichen Grund: Die Leitung wollte Aaron nicht aufnehmen. Begründung: ‚Behinderte Kinder machen zu viel Arbeit und sind zu unwirtschaftlich.‘ Ich war wütend.

Wütend auf diese Menschen, die meinen Sohn mit nur sechs Monaten ausgrenzen. Wütend, dass Aaron wegen meiner Gene so etwas erleben muss.

Wütend auf eine Gesellschaft, die immer noch so denkt.

Was mich besonders verletzt hat, war die Erfahrung, dass diese alten Klischees noch immer existieren: Ein behindertes Kind sei nur anstrengend, nur ‚Arbeit‘. Mein Papa, der 2022 verstorben ist, hat sich zeitlebens für Behindertenrechte eingesetzt. Ich höre heute noch seine Stimme in meinem Kopf.

Und auch Aarons Patentante hat uns bestärkt. Sie arbeitet beim Jugendamt, war über die Geschichte schockiert – und hat geholfen, die Sache weiterzugeben und sogar eine neue Kita für uns zu finden.

Natürlich hätten wir um den Platz kämpfen können.

Aber wollten wir unser Kind wirklich in eine Einrichtung geben, die ihn ausschließt, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hat? Für uns war klar: Nein. Die Kitaleitung bekam Ärger vom Jugendamt, das für die Platzvergabe zuständig ist – wir haben es also nicht auf uns sitzen lassen. Aber wir haben entschieden, dass wir Aaron dort nicht hinschicken wollen, trotz meiner Angst um den Abschluss meiner Arbeit.

Zum Glück haben wir mithilfe von Aarons Patentante schnell eine andere Einrichtung gefunden. Diese Kita hatte gerade bekannt gegeben, dass sie eine neue Gruppe eröffnen möchte. Wir meldeten uns sofort. Und diesmal war alles anders: Beim Kennenlerntermin wurden wir herzlich empfangen, Aaron wurde direkt einbezogen, mit ihm gespielt, ich konnte offen über seine Behinderung sprechen.

Die Offenheit und das ehrliche Interesse haben uns so gutgetan.

Es ist eigentlich traurig, dass wir das als etwas Besonderes empfinden müssen – denn es sollte selbstverständlich sein. Zumal Aaron keine ausgeprägte Behinderung hat. Er sieht nur etwas schlechter. Aber für uns bedeutet diese Haltung Hoffnung. Es zeigt: Inklusion ist möglich – wenn man sie wirklich will.

Ich mache mir natürlich viele Gedanken über die Zukunft. Ich habe Angst, dass Aaron in Kita oder Schule ausgegrenzt oder gemobbt wird – von anderen Kindern, von Eltern, sogar von Lehrkräften. Ich habe es leider schon erlebt: Eltern, die zu ihren Kindern sagen ‚Mit dem spielst du nicht, der ist anders.

Aber wir werden Aaron so selbstbewusst und selbstständig wie möglich erziehen. Wir möchten, dass er sich behaupten kann und seine Rechte kennt – und lebt.

Larissa und Aaron genießen das Leben.

Larissa und Aaron genießen das Leben. Foto: Privat

Was ich mir von anderen Eltern, Pädagog:innen und der Gesellschaft wünsche?

Einfach, dass man Menschen so nimmt, wie sie sind. Dass wir alle aufeinander schauen, uns gegenseitig helfen – dann wäre die Welt ein besserer Ort. Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft. Und wir sollten uns alle immer wieder fragen: Was ist eigentlich ‚normal‘? Wie ‚anders‘ ist eigentlich anders – und ist anders wirklich schlimm?”


Liebe Larissa, vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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