Wie es ist, eine gehörlose Mutter zu sein: „Bitte kein Mitleid!”

Christine ist zweifache Mutter und Teil unserer Echte-Mamas-Community. Sie liebt ihre Kinder und das Leben als Mama, aber weil sie gehörlos ist, hat sie leider manchmal mit Vorurteilen zu kämpfen.

Im Interview spricht sie darüber, wie sie die Geburten ihrer Kinder erlebt hat und welche Herausforderungen und Missverständnisse ihr und ihrer Familie im Alltag begegnen. Trotzdem ist Christine vor allem dankbar für ihr selbstbestimmtes Leben mit ihrer Familie.

Liebe Christine, kannst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Christine, ich bin 30 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Kinder, die ebenfalls gehörlos sind. Ich wohne in Würzburg, bin aktuell in Elternzeit und nebenbei auf Instagram aktiv.

Bringen Schwangerschaft und Geburt für eine gehörlose Frau Besonderheiten mit sich?

Bei jedem Gang zum Arzt hatte ich Dolmetscher dabei, damit die Kommunikation sichergestellt ist. Erst bei der Geburt wurde es heikler. Glücklicherweise konnte um sechs Uhr morgens schon jemand dolmetschen und gemeinsam mit mir die Hebamme aufklären und sie auf Dinge aufmerksam machen, die in der Kommunikation mit Gehörlosen wichtig sind. Aber dann musste die Dolmetscherin wegen eines anderen Termins gehen und mein Mann und ich waren während der Geburt allein mit dem Arzt und der Hebamme.

Ich bin wirklich froh über die aufgeschlossene Art der beiden, wir hatten Glück mit ihnen. Sie haben sich um klare Kommunikation bemüht und sind auf mich eingegangen, während mein Mann versucht hat, zusätzlich zu vermitteln. Nachmittags kam die Dolmetscherin wieder und konnte bei den Kontrollen und weiteren Erklärungen dolmetschen.

Bei meinem zweiten Kind lief es ähnlich ab. Den ganzen Tag über war eine Freundin bei mir und konnte die Kommunikation sichern, war bei allem dabei, dem CT und so weiter. Abends ging sie nach Hause und war somit nicht da, als ich nachts mein Kind bekam. Auch hier hatte ich glücklicherweise wieder einen Arzt und eine Hebamme, die im Umgang mit Gehörlosen geübt waren und wieder stand mir mein Mann zur Seite.

Auffällig ist in jedem Fall, dass ich sehr bald nach der Geburt schon von Ärzten und Krankenschwestern gefragt wurde, was denn wäre, wenn mein Baby auch gehörlos ist. Sofort war die Rede von Hörtests und der Vorstellung, wie es denn weitergehen soll. Ich finde das viel zu früh. Zuerst sollte das Kennenlernen mit dem Baby im Vordergrund stehen. Alles weitere kommt noch mit der Zeit.

Inwiefern unterscheidet sich euer Familienalltag von dem anderer Familien?

Im Grunde ist unser Alltag der gleiche wie in hörenden Familien, mit Ausnahme der Sprache natürlich. Was jedoch dazu kommt sind Besuche meiner Tochter beim Logopäden und meines Sohnes bei der Frühförderung und der Cochlea-Implantat-Reha (CI-Reha) (Anmerkung d. Redaktion: Das Cochlea-Implantat, kurz CI, ist eine Hörprothese).

Erhaltet ihr Unterstützung?

Der größte Punkt sind sicher die Dolmetscher*innen, die bei Situationen vor Ort sind, in denen eine gesicherte Kommunikation wichtig ist. Das schließt auch den Schulunterricht meiner Tochter mit ein, wo täglich ein*e Dolmetscher*in dabei ist.

Dann gibt es noch den Paritätischen Wohlfahrtsverband in Würzburg, der beispielsweise kontaktiert werden kann, um schwer verständliche Amtsschreiben zu erklären. Auch im näheren Umfeld der Familie finden wir Unterstützung, wenn beispielsweise meine Mutter auf die Kinder aufpasst, wenn Termine anstehen, zu denen ich sie nicht mitnehmen kann.

Wie kommen deine Kinder damit zurecht, dass sie gehörlos sind?

Meine Tochter tut sich schwer damit, gehörlos zu sein und wünscht sich, sie würde hören. Sie wächst bilingual, also mit deutscher Laut- und Deutscher Gebärdensprache (DGS) auf, möchte jedoch häufig nicht gebärden und schämt sich, gebärdensprachlich zu kommunizieren. Dann spricht sie mit mir und sagt, ich habe doch auch ein CI.

Mein Sohn ist noch sehr klein, möchte die CIs jedoch hin und wieder lieber abnehmen und fühlt sich von ihnen gestört. Manchmal legt er sie ab und wundert sich, wieso er weniger versteht oder kann sie allein nicht wieder anlegen. Dann helfe ich ihm. Manchmal jedoch nimmt er sie aus Zorn ganz bewusst ab.

Gegen welche Vorurteile musstest du als gehörlose Mama kämpfen?

Manchmal beschweren sich die Menschen darüber, dass wir mit dem Schwerbehindertenausweis kostenlos oder vergünstigt ins Kino, den Freizeitpark oder Ähnliches können. Dann bin ich der unangenehmen Situation ausgesetzt, mich rechtfertigen zu müssen.

Aber auch indirekt fühle ich mich ab und zu diskriminiert: Kinofilme sind so gut wie nie untertitelt, es geht so vieles an mir vorbei. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Dann kommt es vor, dass die Leute meine CIs sehen und der Meinung sind, damit sollte die Teilhabe ja nun kein Problem mehr sein. Das stimmt jedoch ganz und gar nicht. Auch mit einem Implantat ist es keinesfalls gegeben, dass alles gehört wird. Vieles hängt hier beispielsweise von der Person ab und davon, in welchem Alter implantiert wurde, schon als Kind oder erst viel später. Manchmal kommunizieren die Menschen dann auf einmal nur noch mit meiner Tochter, was mich außen vor lässt. Oder ich muss erklären, wieso es ein Unterschied ist, dass meine Tochter bereits als Kind implantiert wurde und das Hören schon viel früher trainiert hat.

Auch die mitleidige Reaktion vieler Hörenden, wie „Ach, die armen Gehörlosen“, stößt mir auf. Diese Wahrnehmung ist meiner Ansicht nach stark auf das Gehör beschränkt, dabei können wir unser Leben durchaus selbstständig bestreiten.

Manchmal fragen mich die Leute besorgt, wieso mein Sohn denn noch nicht spricht, er habe doch ein CI. Diesen Irrglauben, mit einem Implantat sei ein vollständiges Gehör ersetzt, muss ich dann ausräumen, indem ich erkläre, dass das Hören mit einem CI mühsam gelernt und trainiert werden muss.

Wie kann man gehörlose Eltern im Alltag entlasten?

Wir erhalten viel Unterstützung von Familie und Freunden, das gibt uns Kraft. Was eine große Entlastung wäre, wäre mehr Flexibilität in der Kommunikation. Häufig wollen die Leute „mal eben schnell telefonieren“ und nehmen keine schriftlichen Nachrichten wie SMS oder E-Mails entgegen. Das ist für uns immer recht mühsam und wir müssen Verwandte oder Freunde kontaktieren. Über TESS, einen Telekommunikationsservice für Gehörlose, wären Anrufe möglich, doch hierfür muss man sich anmelden, was ich noch nicht getan habe.

Was würdest du dir für die Zukunft für gehörlose Menschen wünschen?

Ein Traum wäre die absolute Barrierefreiheit. Die Akzeptanz von Gehörlosen und Gebärdensprache in der Gesellschaft, Mut der Einzelnen, sich auf Kommunikation einzulassen und offen und kreativ zu sein. Besonders schön wäre es, wenn die beiden Gemeinschaften der Gehörlosen und der Hörenden weniger nebeneinander und mehr miteinander leben würden. Gemeinsame Projekte durchführen und interagieren.

Würden alle hörenden Menschen auch ein wenig gebärden können und seien es nur Grundlagen, wäre die Kommunikation schon um so vieles leichter. In diesem Punkt hinkt Deutschland beispielsweise Amerika sehr hinterher, wo die dortige Gebärdensprache (American Sign Language – ASL) um einiges weiter verbreitet ist.

Ein weiterer Punkt wäre die Situation im Klassenzimmer. Könnten die Lehrer*innen etwas Gebärdensprache und würden den Schüler*innen ein paar Impulse geben, würde das Verständnis und die Akzeptanz enorm gesteigert. In der Klasse meiner Tochter sind beispielsweise viele Kinder absolut begeistert, etwas Gebärdensprache zu lernen und haben inzwischen alle einen eigenen Gebärdennamen.

Für die Umsetzung ist sicher die ein oder andere Gesetzesänderung nötig. Doch wir leben in modernen Zeiten und mit den heutigen technischen Möglichkeiten sollten Dinge wie barrierefreies Fernsehen durch Untertitel kein Problem sein. Es sind kleine, im Grunde einfache Schritte, die schon viel ausmachen würden.

Foto: Privat

Foto: Privat

Liebe Christine, vielen Dank für dieses offene Interview. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

Ihr möchtet gerne mehr über Christines Leben erfahren? Dann schaut gerne bei _chocosecret_ auf Instagram vorbei.

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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