Mitten in der Straßenbahn wirft sich das Kind brüllend auf den Boden. Weil es keinen Schokoriegel bekommt, wie ihn der bärtige Mann am Fenster gerade isst. Das eben noch so süße Engelchen ist zum furchtbaren Wutzwerg geworden. Alle Leute gucken. Und wir Eltern wollen am liebsten im Boden versinken. Wie reagiert man richtig? Nachgeben, damit schnell Ruhe herrscht? Strenge demonstrieren? Oder das ungewollte Verhalten lieber ignorieren?
Die Kinder- und Familientherapeutin Sara Michalik hat zusammen mit ihrem Mann gerade ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. „Mein wunderbares wütendes Kind“. Liebe Frau Michalik, was bloß hilft im Umgang mit den kleinen Wutzwergen?!
„Der erste Schritt in solchen Situationen ist Verständnis für uns selbst“, sagt Michalik und erklärt, dass es normal ist, wenn der Stresspegel hochschnellt und wir auch wütend werden. Auf keinen Fall solle man dem Kind mitten in der Situation geben, was es verlangt. „Die eigentliche Kunst ist es, das Kind abzulenken. Dadurch holt man es aus seiner Erregung heraus. Man kann die Aufmerksamkeit auf den niedlichen Hund lenken, der draußen vorbeigeht. Sobald es sich beruhigt hat, kann man mit ihm sprechen.“
Michalik schlägt vor, häufiger die Perspektive des Kindes einzunehmen. „Man kann versuchen Übergänge zu schaffen und Kompromisse, das beugt Frust vor und geht schon bei kleinen Kindern.“ Wenn die 5-jährige Tochter noch mit ihrem Bauernhof spielen will, wenn sie zum Mittagsessen kommen soll, könnte die Mutter ihrer Tochter anbieten, ein Tier mit an den Tisch zu nehmen. Oder sie rechtzeitig vorwarnen, dass es gleich Essen gibt und sie die Tiere in den Stall bringen kann. „Druck erzeugt nur Gegendruck. Es geht leichter, wenn wir unsere Kinder spielerisch abholen oder Kompromisse machen. Das Kind hat auch seine Vorstellungen und Bedürfnisse. Werden die komplett ignoriert, kann es zu einem Machtkampf kommen, vor allem mit älteren Kindern.“
Michalik rät dazu, Kinder mehr mitbestimmen zu lassen – in gewissen Grenzen. „Es ist klar, dass das Kind im Winter nicht im T-Shirt rausgehen darf. Aber wir können ihm einen Spielraum geben und entscheiden lassen, ob es lieber den Kapuzenpulli oder die Strickjacke anziehen möchte. Wenn wir das Kind in seiner Selbstbestimmung unterstützen, gibt es weniger Konflikte.“
Für den Alltag hat die Expertin ein paar Tipps – schöne Strategien, die euch helfen können:
- Das Wichtigste ist: Reagiert nicht nur auf das Verhalten, sondern versucht es zu verstehen. Was könnte dahinterstecken? Vielleicht hatte euer Kind einen schlechten Tag in der Kita oder Schule, es wurde gemobbt oder die beste Freundin hat mit jemand anderem gespielt. Das belastet. Und der Druck wird da abgelassen, wo das Kind sich am sichersten fühlt – zu Hause.
- Versucht ein Muster zu erkennen. Denkt in einem ruhigen Moment darüber nach. Bei welchen Abläufen wird es immer schwierig? Dann könnt ihr beim nächsten Mal vorbeugen. Macht der Sohn immer nach der Kita im Supermarkt Krawall? Dann nehmt einen leckeren Snack mit, den er knabbern kann, während ihr ihn an den Gummibärchen vorbeischiebt. Oder versucht den Einkauf auf später zu verschieben, wenn er schon etwas Quality Time mit euch allein hatte.
- Sprecht mit anderen über die Wutanfälle! Manchmal hilft es, die Perspektive zu ändern und sich gemeinsam mit einer guten Freundin oder mit dem Partner die Situation anzuschauen. Das kann einen richtigen Aha-Moment geben und ihr versteht das Verhalten eures Kindes plötzlich besser. Auf jeden Fall bekommt ihr das Gefühl: Ihr seid nicht allein.
- Wenn die Situation schon eskaliert ist: Schaut, was eurem Kind hilft, sich zu beruhigen. Könnt ihr es ablenken, indem ihr anfangt mit ihm zu zeichnen? Könnt ihr laute Musik anmachen und mit ihm die Anspannung raustanzen? „Bewegung hilft. Eltern sollten mit ihren Kindern mehr Fangen spielen, toben und sich balgen – auch vorbeugend. Das tut unglaublich gut. Wenn die Wut schon da ist, kann man um den Block rennen oder Trampolin springen. Ein Boxsack im Zimmer ist eine gute Lösung, oder einfach ins Kissen schlagen. Wenn das Körperliche Raum bekommt, wirkt das positiv und ausgleichend. So wird Stress abgebaut.“
In den Momenten, in denen das alles nicht hilft, denkt am besten an folgendes: Wut hat auch gute Seiten.„Sie hat eine wichtige Signal- und Schutzfunktion“, sagt Michalik. „Wut zeigt uns, was gerade nicht stimmt, wo wir ein Bedürfnis ignorieren. Sie erinnert uns daran, für uns einzustehen.“ Das sind doch gute Nachrichten. Also macht nicht aus jeder Situation einen Machtkampf. „Es ist gesund, wenn ein Kind seine Position verteidigt. Unser Ziel als Eltern ist doch, dass unsere Kinder Verantwortung übernehmen, sich später im Leben selbst versorgen und für sich einstehen. Wie soll das gehen, wenn wir ihnen mit 15 Jahren immer noch alles vorschreiben, was sie tun und lassen sollen?!“
[…] heißt das, dass man es auch mal aushalten muss, wenn der kleine Goldschatz im Supermarkt einen Zornanfall bekommt, weil man ihm das Eis nicht kauft. In so einem Moment sei ein Kind nämlich weder durch […]