Sexueller Missbrauch: „Mein Mann verging sich an unserer Tochter.”

Triggerwarnung

Dieser Text thematisiert den sexuellen Missbrauch eines Kindes. Er behandelt also Inhalte, die für einige Menschen sehr beunruhigend oder verstörend sein könnten.


„Ich bin Marina, 34 Jahre alt und Mutter einer Tochter. Ich möchte euch warnen, weil meine Geschichte für viele Mamas nur schwer erträglich sein wird. Wenn ich Leuten in meinem Umfeld erzähle, was uns passiert ist, ist die Reaktion meistens:

‚Ich hätte ihn umgebracht‘ oder ‚Hätte er das meiner Tochter angetan, wäre er längst tot.‘

Würdet ihr das wirklich tun? Woher wollt ihr das wissen?

Menschen, die sowas zu mir sagen sind wütend, sie haben Mitleid mit uns. Zwei der (männlichen) Ärzte meiner Tochter sind in Tränen ausgebrochen, als sie davon hörten, was ihr passiert ist. Ich verstehe, dass Menschen emotional reagieren, wenn sie von unserem Schicksal hören. Aber die meisten ahnen nicht, wie es wirklich ist, wenn das eigene Kind von seinem Vater, von deinem Partner, sexuell missbraucht wird.

Es ist scheiße, wenn man erwachsen wird und herausfindet, dass Monster echt sind … lebende, atmende menschliche Monster. Denn das sind eigentlich die wirklich schlimmen, nicht die Fantasiegestalten, vor denen wir uns vielleicht in unserer Kindheit gefürchtet haben.

Die Wahrheit ist, dass die Anderen nicht wissen, wie es ist, wenn die fünfjährige Tochter mit ihrer winzigen Hand deine Hand greift und so erwachsen sagt ‚Mama, ich muss mit dir unter vier Augen sprechen.‘ Wenn sie dir dann ausführlich erklärt, was ‚Papa‘ mit ihr gemacht hat. Mein Herz brach in tausend Stücke.

Ich wünschte einfach nur, ich könnte alles löschen, all ihren Schmerz als meinen eigenen nehmen.

Aber ich bin nicht direkt ausgerastet und losgezogen, um den Mann umzubringen, der meiner Tochter alles nahm. Ich bin ruhig geblieben, habe genau zugehört, was sie mir erzählt hat. Um ihr dann am Ende zu sagen: ‚Ich glaube dir! Das ist nicht deine Schuld!‘ Du bleibst in so einer Situation erst einmal bei deinem Kind, um es fest in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, wie tapfer und stark es ist.

Danach war ich wie in Zeitlupe, als käme ich in einem schweren Sturm kaum voran. Aber ich habe alles veranlasst, was nötig war. Schritt für Schritt. Ich habe meine Tochter zur forensischen Untersuchung begleitet. Zum forensischen Interview. Den Polizeibericht eingereicht, mit der Polizei gesprochen. Dann im Eingangsbereich des Reviers heimlich geweint, weil sie mein Baby alleine mitnahmen, damit es einem Fremden seine Geschichte erzählt.

Du kannst das alles in dem Moment nicht wirklich begreifen.

Ich weinte die ganze Zeit, die ich auf meine Kleine wartete. Danach bekamen wir eine Polizeieskorte nach Hause, wo wir unser Auto mit all den Sachen gepackt haben, die wir für uns beide brauchen. Dann fuhren wir weg, bevor er nach Hause kam. Nicht mal seine Anrufe habe ich beantwortet, als er merkte, dass wir weg waren. Ich wusste, dass ich jedes bisschen meiner Kraft brauche. Dass ich nichts davon an ihn verschwenden darf, auch wenn ich nichts so sehr wollte, wie ihn zu vernichten.

Denn in diesem Moment war nur meine Tochter wichtig und, dass sie wieder in Sicherheit ist. Wir haben beide so schnell wie möglich eine Therapie begonnen. Für mich war das sehr schwer, ich betrauerte den Verlust eines Mannes, den ich liebte, während ich ihn gleichzeitig töten wollte. Ich wollte ihm alles Schlimme dieser Welt antun. Immer wieder malte ich mir aus, dass ich ihm eine Kugel in den Kopf jagen würde.

Doch deine Tochter braucht dich in so einer Situation mehr als jemals zuvor.

Du wiegst sie in den Schlaf. Du weinst mit ihr. Du hältst sie fest, während sie schreit. Du wachst schreiend und schweißgebadet auf. Du bist voller Wut und Hass. Aber du lässt dein Kind das nicht sehen. Wir versuchten stattdessen, eine Routine beizubehalten. Schule, Arbeit, Therapie. Wir haben uns gefühlt, als würde die Welt um uns herum in Flammen stehen.

Manchmal fragte ich mich, ob wir Probleme bekommen, weil wir es nicht aus dem Haus schafften. Sie verpasste Unterricht, ich konnte nicht zur Arbeit. Aber psychische Gesundheit und Heilung stehen an erster Stelle.

Jede Mutter in dieser Situation wird versuchen, die beste Mutter zu sein, die sie sein kann.

Hausaufgaben machen, gemeinsam Spiele spielen, Lieder singen. Alles, was deinem Kind das Gefühl von Normalität zurückbringen könnte, wenn auch nur für ein paar Sekunden.

Keine Mutter in so einer Situation sollte auf die Rachegefühle reagieren, die sie fühlt. Wie willst du eine Mama für dein Kind sein, wenn du im Gefängnis bist? Denn du bist alles, was dein kleines Mädchen hat. Ihn zu töten ist sowieso zu nett, weil er viel Schlimmeres verdient.

Irgendwann habe ich es geschafft, zu akzeptieren, dass es nicht meine Aufgabe ist, meine Tochter zu rächen.

Aber ich hoffe, dass Karma das für mich übernimmt. Und, dass er eines Tages ins Gefängnis kommt und die anderen Insassen mir diese Last abnehmen. Aber ich musste lernen, zu akzeptieren, dass das nicht in meiner Kontrolle liegt.

Also, auch wenn alles in mir danach geschrien hat (und manchmal flüstert es immer noch in meinem Kopf), dass ich ihn töten muss, ich habe es nicht getan. Deswegen bitte ich euch, sagt mir nicht, was ihr an meiner Stelle getan hättet. Ihr seid nicht die Mama von einem missbrauchten Kind und ich hoffe, dass ihr es nie sein werdet.”


Vielen Dank, liebe Marina (echter Name ist der Redaktion bekannt), dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen dir und deiner Tochter alles Gute für die Zukunft!

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]

Lena Krause
Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach! Bevor ich bei Echte Mamas gelandet bin, habe ich Literatur und Medienwissenschaften studiert und nebenbei in einer Agentur als Texterin gearbeitet. Danach habe ich im Lokaljournalismus angefangen und sogar mit meinem Team den „Vor-Ort-NRW-Preis” gewonnen. Die große Nähe zu Menschen und Lebensrealitäten habe ich dort lieben gelernt und das lasse ich jetzt in unsere Echten Geschichten einfließen. Die sind mir nämlich eine Herzensangelegenheit, genauso wie die Themen Vereinbarkeit, Female Empowerment und Psychologie.

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