In der Ära der sozialen Medien hat sich eine neue Form der Kinderarbeit entwickelt, die oft übersehen oder verharmlost wird: Kinder, die als Teil von Familien-Influencer-Accounts auftreten. Was auf den ersten Blick wie harmloses Familienleben wirken mag, birgt in Wirklichkeit ernsthafte rechtliche und ethische Probleme – das zeigt auch Soziologin und Kinderrechtsaktivistin Sara Flieder in ihrem Interview im Echte Papas Podcast.

Sara Flieder setzt sich als Soziologin und Kinderrechtsaktivistin schon lange für strengere, gesetzliche Regelungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Kindern ein. Foto: Gina Kühn
„Dass Family Influencing tatsächlich auch Kinderarbeit ist und dass das nicht nur so eine moralische Bewertung von mir ist, kann juristisch belegt werden“
Das sagt Sara Flieder, Soziologin, Politikwissenschaftlerin und Kinderrechtsaktivistin, so klar und deutlich in der aktuellen Folge des Echte Papas Podcasts, die ihr hier in voller Länge hören könnt:
Sara Flieder startete im November 2022 eine Petition zum Schutz von Kinderrechten auf Instagram, die innerhalb kurzer Zeit über 50.000 Unterschriften erreichte. Flieder setzt sich dafür ein, dass Kinder unter sieben Jahren gar nicht auf Social Media gezeigt werden und für ältere Kinder ein abgestuftes Schutzkonzept eingeführt wird.
Sie hat neben der Petition zusammen mit Campact und dem Deutschen Kinderhilfswerk ein juristisches Gutachten erstellen lassen, das die rechtlichen und ethischen Probleme der Darstellung von Kindern auf Social Media beleuchtet und das als Grundlage für notwenige Gesetzesänderungen dienen kann.
Rechtliche Grundlagen: Wann betreiben Familien-Influencer Kinderarbeit?
Das Deutsche Kinderhilfswerk definiert Kinderarbeit als wirtschaftliche Tätigkeit von Kindern (1). Diese Definition erstreckt sich auch auf den digitalen Raum, insbesondere wenn Kinder in Social-Media-Aktivitäten einbezogen werden, die zum Familieneinkommen beitragen. Sobald Betreiber von Kanälen Geld für Videos erhalten, in denen Kinder mitwirken, bewegen sie sich in den Bereich der Kinderarbeit (1).
Was sagt das Jugendarbeitsschutzgesetz?
In Deutschland ist Kinderarbeit grundsätzlich durch das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) verboten. Gemäß § 5 Abs. 1 JArbSchG dürfen Kinder unter 15 Jahren nicht beschäftigt werden (8). Es gibt jedoch Ausnahmen, beispielsweise für Auftritte in der Werbung, bei Film- und Fotoaufnahmen (1). Diese Ausnahmen unterliegen strengen Regelungen bezüglich Arbeitszeiten und erfordern behördliche Genehmigungen.
„Kinderarbeit ist ja streng genommen komplett verboten. Unter drei Jahren dürfen Kinder sowieso schon mal gar nicht arbeiten und danach gibt es im Jugendarbeitsschutzgesetz auch krasse Ausnahmen. Wenn Kinder das möchten oder wenn die Eltern das möchten, dann gibt es (für solche Werbe-/Film- oder Fotoaufnahmen, Anm. d. Red.) strenge Regelungen dafür. Man muss das tatsächlich beim Jugendamt beantragen und es mit dem Kinderarzt abklären. Wenn die Kinder schon zur Schule gehen, dann muss man das auch mit der Schule abklären. Und dann sind meistens, wenn es um zum Beispiel Rollen im Film geht, auch nochmal neutrale Personen dabei, die sozusagen überprüfen, dass dieser Schutz auch eingehalten wird“, sagt Sara Flieder dazu im Podcast und weist darauf hin, wie streng die Rahmenbedingungen sind, die vorgeben, unter welchen Bedingungen Kinder in solchen Bereichen legal arbeiten dürfen.
Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention
Die Praktiken von Familien-Influencern verstoßen außerdem gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die das Wohl des Kindes als vorrangig betrachtet (4). Die kommerzielle Nutzung von Kinderbildern und -videos im Internet kann sogar als Kindeswohlgefährdung eingestuft werden, wie das von Campact und dem Deutschen Kinderhilfswerk beauftragte Rechtsgutachten belegt (1).
Das Problem: Eigentlich sind die Gesetzesvorgaben klar, aber es gibt im digitalen Raum ein Umsetzungsdefizit – heißt, die Einhaltung der Gesetze wird hier nicht ausreichend überwacht.
Wie sieht dieses Umsetzungsdefizit aus?
Trotz der klaren gesetzlichen Lage besteht ein deutliches Umsetzungsdefizit, insbesondere wenn Kinder für Social-Media-Kanäle „arbeiten“ (1). Die zuständigen Aufsichtsbehörden haben Kanäle wie YouTube, TikTok oder Instagram oft nicht als Orte potenzieller Kinderarbeit auf dem Radar, was fatale Folgen für den Schutz der Kinderrechte haben kann (1).
Warum ist Kinderarbeit in diesem Bereich so problematisch?
Familien-Influencer nutzen ihre Kinder, um Reichweite zu generieren und durch Werbepartnerschaften Geld zu verdienen. Dies führt zu einer Kommerzialisierung des Familienlebens, bei der die Grenzen zwischen Privatsphäre und öffentlicher Darstellung verschwimmen. Eine aktuelle Analyse von Terre des Hommes (4) zeigt, dass die Mitwirkung von Kindern in kommerziellen Familien-Influencer-Kanälen zu erheblichen Risiken in puncto Sicherheit und Gesundheit führen kann, wie zum Beispiel…
- …den Verlust der Privatsphäre
- …die Gefährdung der persönlichen Sicherheit
- …potenzielle Gesundheitsrisiken
- …der Gefahr von Bindungs- und Entwicklungsstörungen
Sara Flieders Forderungen: Was müsste juristisch passieren?
Experten wie Kinderrechtsaktivistin Sara Flieder fordern eine Anpassung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, um den Schutz von Kindern im Internet explizit zu regeln, dazu sagt sie im Podcast:
„Im Jugendarbeitsschutzgesetz ist im Moment noch nicht explizit die Rede von KinderinfluencerInnen. Das soll sich gerade ändern, dazu habe ich viele Lobbygespräche geführt. Einige Parteien sind da gerade dran und Hamburg und Niedersachsen sind jetzt auch gerade dabei, das mit aufzunehmen. Das wäre auf jeden Fall schon mal hilfreich, weil das natürlich auch noch mal eine gute Grundlage wäre, womit man dann an Firmen herantreten könnte und sagt, ihr verstoßt da auch gegen Gesetze!“
Sara Flieder hofft auf eine Regelung, nach der „zumindest bei Family-Influencerinnen Kinder unter sieben Jahren gar nicht mehr stattfinden sollen.“
Mit steigendem Alter möchte Flieder die Regelungen ein wenig lockern: „…und danach sozusagen gestaffelt, dass sie dann mitentscheiden dürfen, weil sie haben ja auch ein Recht auf Teilhabe – das wollen wir natürlich auch nicht umgehen. „
Welche Konsequenzen gibt es für Familien-Influencer zurzeit?
Familien-Influencer, die ihre Kinder ohne entsprechende Genehmigungen und Schutzmaßnahmen in ihre kommerziellen Aktivitäten einbeziehen, bewegen sich derzeit also noch in einer rechtlichen Grauzone. Sie riskieren nicht nur Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz, sondern auch gegen das Kinderschutzrecht.
Eltern, die als Influencer tätig sind, müssen sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst sein. Sie sollten kritisch hinterfragen, ob die Einbeziehung ihrer Kinder in ihre Online-Aktivitäten tatsächlich im besten Interesse des Kindes ist oder ob sie damit möglicherweise langfristige negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden ihrer Kinder in Kauf nehmen.
Lösungsansätze und Ausblick
Es ist dringend notwendig, Eltern, Behörden und die Öffentlichkeit für die Problematik der Kinderarbeit im digitalen Raum zu sensibilisieren. Aufklärungskampagnen und Bildungsinitiativen können dazu beitragen, das Bewusstsein für die Rechte und den Schutz von Kindern in der digitalen Welt zu schärfen. Insbesondere der Gesetzgeber ist gefordert, klare Regelungen für die Tätigkeit von Kindern als Influencer zu schaffen. Dies könnte eine Erweiterung des Jugendarbeitsschutzgesetzes oder die Schaffung eines spezifischen Gesetzes für Kinderarbeit im digitalen Raum leisten.
Auch Social-Media-Plattformen müssten in die Pflicht genommen werden, aktiv gegen die Ausbeutung von Kindern durch Familien-Influencer vorzugehen. Dies könnte die Implementierung von Altersverifikationssystemen, strengeren Content-Richtlinien und Mechanismen zur Meldung problematischer Inhalte beinhalten.
Bedeuten Sara Flieders Forderungen die Abschaffung der Familien-Influencer?
Auch auf diesen Vorwurf geht die Aktivistin in unserem Podcast ein und argumentiert:
„Natürlich kann man Family-Influencer sein und andere Themen bedienen. Man muss ja nicht seine Kinder darstellen, man muss auch nicht irgendwas Privates über die Kinder erzählen. Man kann natürlich auch über Dinge berichten wie: ‚Welche Sachen kann man in Hamburg mit Kindern machen? Welche Spielsachen gibt es?‘ Es gibt ja keinen Grund dazu, Kinderrechte deswegen zu missachten. Aber ja, Influencerinnen sehen das so, dass ich den Berufsstand abschaffen will.“
Fazit: Eltern, Gesellschaft und Gesetzgeber müssen sich bewegen!
Die Aktivitäten von Familien-Influencern mit ihren Kindern erfüllen in vielen Fällen den Tatbestand der Kinderarbeit. Sie bewegen sich allerdings in einem rechtlichen Graubereich, der dringend einer Klärung und Regulierung bedarf. Es liegt in der Verantwortung von Eltern, Gesellschaft und Gesetzgeber, Kinder vor den potenziellen Gefahren dieser modernen Form der Ausbeutung zu schützen und ihre Rechte im digitalen Zeitalter zu wahren.
Im Podcast mit Sara Flieder wird aber auch klar: Die Herausforderung besteht vor allem darin, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Recht der Eltern auf freie Gestaltung ihres Familienlebens und dem notwendigen Schutz der Kinder vor kommerzieller Ausbeutung. Nur durch ein Zusammenspiel von rechtlichen Rahmenbedingungen, gesellschaftlichem Bewusstsein und verantwortungsvollem Handeln aller Beteiligten kann sichergestellt werden, dass das Wohl der Kinder in der digitalen Welt an erster Stelle steht.
Neben der Kinderarbeit gibt es noch einen anderen Aspekt, denn auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre, und Fotos von ihnen ins Netz zu stellen, birgt einige Gefahren. Wie du die Privatsphäre deiner Kinder schützen kannst, erklärt Sara Flieder hier: Keine Kinderfotos im Netz: 5 Tipps zum Schutz der Privatsphäre
Quellen:
(1) https://www.dkhw.de/informieren/unsere-themen/kinder-und-medien/kinder-und-influencing/
(2) https://www.n-tv.de/panorama/Kinder-Influencer-muessen-geschuetzt-werden-article21925593.html
(3) https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/kinderarbeit-fragen-und-antworten/275272
(4) https://utopia.de/news/kinderarbeit-fuer-klicks-kritik-an-influencerinnen-in-deutschland_692464/
(5) https://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/2024/01/kinder-als-internetstars-chance-oder-ausbeutung/
(6) https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Kinder-als-Influencer-inszenieren-Rot-Gruen-fordert-Regeln,sozialemedien114.html
(7) https://www.bzkj.de/resource/blob/187302/d4d36492d4fd527cbafd76e13ae3ea05/20214-sharenting-mama-blogger-kinderinfluencer-data.pdf
(8) https://www.medienrechtsanwaelte.de/newsreader-38/verrichten-kinder-influencer-kinderarbeit.html
(9) https://www.sueddeutsche.de/panorama/kinderarbeit-influencer-instagram-deutschland-kinderrechte-terre-des-hommes-lux.6TU3xtXSHM84wzZnyXDBnp
(10) https://kija-wien.at/was-sind-kidfluencer-und-ist-kidfluencing-kinderrechtlich-problematisch/
(11) https://www.schau-hin.info/grundlagen/kinder-influencer-social-media-erfolg-aus-dem-kinderzimmer
Nun interessiert uns eure Meinung zum Thema – was haltet ihr von Sara Flieders Petition, seit ihr auch der Meinung, dass Kinder besser vor Kinderarbeit im digitalen Bereich geschützt werden sollten, oder findet ihr die Forderungen übertrieben?