Kindheitstraum – als Mama unterstützen oder besser nicht?

In unserer Straße ist es ganz hübsch.

Da gibt es viele schöne Häuser aus der Gründerzeit. Und hier ist es auch schön ruhig, weil wir in einer Einbahnstrasse leben. Und dann haben wir gegenüber auch noch einen großen Parkplatz, neben einem alten Bunker, unter dem Parkplatz fließt irgendwie der kleine Fluss „Ottersbek“, deshalb darf man dort kein Haus bauen (aber anscheinend einen Parkplatz. Der Fluss als solcher wäre ja sonst auch ganz schön anzusehen, aber was soll’s?)

Das alles prädestiniert unsere Straße dazu, ständig für Filmaufnahmen genutzt zu werden. Dann fehlen auf einmal diverse Parkplätze, man schleicht sich zwischen Cateringwagen und riesigen Scheinwerfern hindurch zum Kindergarten, und einmal habe ich einem Polizisten ganz ernst mein Leid geklagt, weil ich eingeparkt war, und erst nach fünf Minuten Monolog hat er mir freundlich geantwortet: Ich bin gar kein echter Polizist. Ich gehöre zu dem Film-Team da hinten.

Seitdem aber weiß mein Sohn Emil: Er will zum Film.

Wer mir schon länger folgt weiß, dass Emil auch mal zum Schwimmkurs (unbedingt!) und zur Leichtathletik (noch unbedingter!) und ganz dringend zum Eishockey wollte. Und dass das alles nach fünf Minuten doch nicht mehr so dringend war.

Das Emil zum Film möchte ist also eine neue Idee. Seit ein paar Monaten höre ich mir das an, bin ganz interessiert und am Ende melde ich ihn bei einer Agentur an. Emil ist glücklich. Meinetwegen soll er das ausprobieren. Hamburg bietet Tausend Möglichkeiten. Er ist jetzt stolzer Besitzer einer Setcard, einem Begriff, der in unserer Familie zuvor noch nie gefallen ist. Ob es ihm gefällt oder mir, spielt gerade keine Rolle, ich gehe keinen Vertrag ein. Ich habe keine Verpflichtungen. Ich kann jederzeit wieder austreten. Wichtig ist, dass Emil zum ersten Mal mutig in eine Sache gestartet ist, ganz anders als beim Sport.

Emil ist ein offenes Kerlchen, er ist Erwachsenen gegenüber immer aufgeschlossen und fröhlich. Er redet gerne, aber nie Quatsch. Nicht so wie Ida, die den ganzen Tag redet und dabei eine Menge ulkigen Blödsinn erzählt. Die Menschen mögen Emil. Und so war es dann auch beim ersten Casting. Emil ist voller Tatendrang im Studio verschwunden. Ich wartete draussen.

Den Text konnte er nicht und singen auch nicht (in der Ausschreibung stand aber ganz klar, bitte nur Kinder, die auch wirklich gerne singen!) Die Frau vom Casting hat ihn also gefragt, ob er denn gerne singen würde: Nein, überhaupt nicht! Hat Emil freundlich geantwortet. Warum auch immer, sie war entzückt.

Drei Tage lang fragt Emil alle halbe Stunde: Darf ich in dem Film mitspielen?? Haben die sich gemeldet?? – Ich versuche ihn zu bremsen. Wer den Text nicht kann UND nicht singen, der ist vielleicht nicht unbedingt der geeignetste Kandidat. Aber: Vierhundert Kinder waren beim Casting, sechs wurden genommen und einer davon ist der nicht singende Emil.

Zwei Wochen später: Fitting. Ich fühle mich noch nicht so ganz wohl bei diesen  neuen Begriffen. Aber was soll’s. Ich hole ihn um drei ab, um siebzehn Uhr müssen wir da sein. Emil sagt, er will übrigens doch nicht mehr zum Film. Oha.

Emil zetert und schreit. Er hätte sowieso niemals behauptet, dass er gerne zum Film wolle. Heute jedenfalls möchte er nicht. GAR NICHT! Gut, ich habe den Vertrag unterschrieben, Mittwoch ist Drehtag, ich komme so einfach aus der Sache nicht mehr raus. Aber noch schlimmer: Ich wollte diesen ganzen Zirkus ja gar nicht. Und jetzt befinde ich mich in der für mich denkbar schlimmsten Situation: Ich zerre mein Kind zu einem Filmdreh, obwohl er das gar nicht möchte. Die furchtbare überambitionierte Mutter, die ihre eigenen Träume jetzt auf die Kinder umwälzt. Selbst Texte darüber schreiben, dass spielen und Natur viel wichtiger seien als Frühförderung, und dann aber das Kind zum Casting schicken. Hilfe!

Nach einer Stunde wendet sich die Stimmung wieder. Emil will jetzt doch. Er war müde, nervös, hungrig. Ich sage beiden Kindern, sie sollen sich anziehen, aber Ida liegt auf dem Fußboden und schreit, sie wolle sich nicht anziehen. Emil stellt sich vor sie und schreit: Nur weil du dich nicht anziehst, kann ich nicht den Film machen!

Yippieh. Das wird ja immer lustiger. Ida will auch nicht mehr Fahrrad fahren (es regnet leider auch), nur wenn sie auch bei dem Film mitmachen darf. Ähm…. nein.

Zwanzig vor fünf sitzen alle auf dem Fahrrad, es regnet, wir werden nass. Schon wieder haben alle Hunger. Schnell noch zum Bäcker, dann zum Studio.

Quintessenz:

Erstens: Fitting ist langweilig und dauert ewig.

Zweitens: Es gibt sie übrigens tatsächlich, die überambitionierten Mütter, die im zischenden Flüsterton ihren Kindern die letzten Anweisungen zuspielen.

Drittens: Bis auf Emil und noch ein Kind ist jedes Kind beim Fitting entweder ausgestattet mit Ipad oder Iphone.

Viertens: Auf dem Rückweg werden wir wieder nass.

Fünftens: Derweil hat der Hund einen BH, zwei paar Socken und einen Gummistiefel kaputt gebissen.

Sechstens: Ganz egal, wie der Tag war – und für mich war er wirklich doof – Emil hat einen Schritt gewagt, der ihm dann doch schwer fiel. Und er hat nicht wie bei Leichtathletik, beim Eishockey oder Schwimmen direkt aufgegeben, sondern ist einmal über seinen Schatten gesprungen. Und ist mit so viel Kraft und Aufwind, so viel Erleichterung und Stolz über sich selbst nach Hause geradelt, dass ich mich jetzt sogar ein bisschen für ihn freue, in einem Werbefilm mitzuspielen, in dem man ihn wahrscheinlich keine fünf Sekunden sehen wird. Ob er es dann noch mal macht, ist eine andere Geschichte.

Miriam Boettner ist Fotografin, Bloggerin und Autorin. Sie hat zwei Kinder, Emil und Ida. Und einen Mann: Paul. Mehr tolle Geschichten findest du auf ihrem Blog „Emil und Ida“. Wenn sie nicht in ihrer Heimatstadt Hamburg ist, ist sie mit ihren Kindern auf Abenteuerreise durch Deutschland: „Kleine Landstreicher“.

Tamara Müller
Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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