„Mein Kind ist lesbisch – und ich brauche eure Hilfe!“

Was denkt eine Mama, deren Kind ihr von seiner Homosexualität erzählt? Hier das Protokoll einer Mama aus unserer Community, die gerne anonym bleiben möchte:

„Diesen Abend werde ich nie vergessen. Ich saß auf dem Sofa und las, mein Mann war auf Dienstreise. Da kam Marie, meine Zwölfjährige zu mir und kuschelte sich an mich. Das passierte leider nicht mehr sehr oft, deswegen genoss ich es einfach und ,kuschelte zurück‘.

,Mami, ich glaube, ich bin lesbisch!`

sagte sie da auf einmal ganz sachlich. Am liebsten hätte ich sie noch fester gedrückt, ihr gezeigt, dass das kein Problem für mich ist, sie abgeknutscht. Aber ich merkte, dass das Ganze gerade für sie gar keine große Sache war und so zwang ich auch mich zur Gelassenheit: „Okay, Schatz. Danke, das du es mir gesagt hast.“

Unter uns gesagt: Ich habe es schon lange gewusst – oder zumindest vermutet. Auch meine Schwester ist lesbisch und Marie ist ihr in so vielen Dingen so ähnlich. Marie konnte immer wenig mit ,typischem` Mädchenzeug anfangen, sie raufte und tobte lieber mit den Jungs. Sie wirkt nach außen hin nicht so zart und behutsam, wie sie es eigentlich ist. Sie poltert die Treppen hoch, knallt Schubladen mit der Hüfte zu und hatte konnte stundenlang mit ihrem Onkel Fußball spielen. Ich weiß selbst, das hört sich nach vielen, vielen, albernen Vorurteilen an und wenn ich meine Schwester nicht kennen würde, wäre mir das alles gar nicht aufgefallen. Aber ich erkannte sie in so vielen Eigenschaften von Marie wieder.

Aber zurück zu dem Abends des ,Coming-Outs` meiner Tochter.

Da ich das Gefühl hatte, dass es richtig so für sie war, redeten wir schnell wieder über andere Dinge, natürlich musste ich aber zumindest ein ,Ich bin immer für dich da!` anbringen. Als sie ins Bett ging, drückte ich sie etwas fester als sonst und gab ihr sicher mindestens einen Kuss mehr. Aber ansonsten hielt ich mich zurück.

Erst, als ich alleine im stillen Wohnzimmer saß, kamen mir die Tränen.

Und nein, ganz sicher nicht, weil ,Ich jetzt ja gar keine Enkel bekommen würde!` (wirklich die erste Reaktion unserer Familie!) oder weil ich mich meiner Tochter schämte. Im Gegenteil. Sie ist perfekt.

Ich musste an ihre Zukunft denken und an all die Vorurteile, die uns immer noch umgeben. Würde sie Spott und Häme ausgeliefert sein? Würde sie vielleicht sogar tätlich angegriffen werden? Würde ihre Art zu lieben ihr Steine in den Weg legen, was ihre beruflichen Ziele anging? Sie liebte jetzt schon kleinere Kinder, würde es ihr einmal möglich sein, eines zu adoptieren?

Mein Mädchen mit dem großen Herzen, ich liebte sie so sehr.

Wie schön, dass sie all diese Probleme noch nicht sah. Aber war das wirklich so? War sie nicht in letzter Zeit oftmals viel stiller und grüblerischer als sonst gewesen?

Ich ging noch einmal in ihr Zimmer und betrachtete sie beim Schlafen. Wie zart sie jetzt aussah – ich hoffte, dass ihr großes Herz nicht allzu oft verletzt werden würde.

Ich möchte sie beschützen und werde dies nicht ein Leben lang können.

Deshalb brauche ich eure Hilfe.

Wenn ihr Kinder habt, können sie es sein, die meiner Tochter im späteren Leben einmal begegnen werden. Bitte sorgt dafür, dass eure Kinder es sind, die meiner Tochter helfen, wenn sie es mal braucht. Bitte zieht sie zu toleranten, mutigen Menschen mit einer Menge Courage auf, so dass sie meiner Tochter und allen anderen, die offen gemobbt, angefeindet und bedrängt werden, zur Seite stehen.

Denn schon bald werde ich meine Tochter in diese egoistische, hasserfüllte Welt loslassen müssen.

Eines kann ich bedenkenlos versprechen: Marie wird diese Art Mensch sein. Sie wird euren Kindern helfen, wenn sie Hilfe brauchen.

Wir müssen eine Generation von Menschen erziehen, die sich für andere einsetzt und sie schützt.

Denn mein Kind ist lesbisch. Und eure Kinder sind vielleicht schwul, schwarz  oder weiß, zu klein oder zu groß, tragen die falsche Kleidung oder Frisur oder was auch immer. Irgendwie anders als die, die sie umgeben.

Jeder kann ein Opfer werden und braucht dringend jemanden, der ihm dann zur Seite steht.

Laura Dieckmann
Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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2 Comments
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Emil Erpel
Emil Erpel
2 Jahre zuvor

Wer hofft das die meisten Menschen auf die man in seinem Leben trifft einen mit Toleranz begegnen, der wird nur immer nur enttäuscht werden.
Egal was man tut, man wird immer wieder und wieder und wieder auf Leute stossen die damit ein „Problem“ haben. Die Kunst besteht darin sich einen kleinen festen Kreis wirklicher Freunde zu suchen, Die einen so nehmen wie man ist….und auf die breite Mehrheit zu sch….

Diana R.
Diana R.
3 Jahre zuvor

Hallo
Mein Sohn hat sich mit 18 vor einem Jahr „geoutet“. Wir haben nichts geahnt. Aber es gut so. Wir lieben ihn nach wie vor und ich denke er ist jetzt viel freier im Umgang mit uns zuhause. Sein Vater und auch seine Oma auf Vaters Seite wissen noch nicht bescheid. Die Bindung ist nicht so gut wie sie vor Jahren mal war.
Ich hoffe sehr das auch er später genauso viel Toleranz erfährt wie er es jetzt in Schule und Freundeskreis hat.
Ich werde ihn immer lieben, auch wenn ich wohl vorerst keine Enkel bekomme. 😉
Dafür hab ich Neffen und sicher bald noch mehr.
Danke für dein schönen Text.